Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Gernhardt - gereimt und ungereimt

Robert Gernhardt: Gedichte - 1954-1994
Haffmans Verlag, Zürich 1996, 537 S.

Robert Gernhardt: Lichte Gedichte
Haffmans Verlag, Zürich 1997, 264 S.

 

Man hat ihn mit Heine, Ringelnatz und Brecht verglichen. Er hat Kunsterziehung und Germanistik studiert, mit Henscheid, Bernstein, Traxler und Poth Ende der siebziger Jahre die Satirezeitschrift „Titanic“ gegründet: Robert Gernhardt. Mehr als vierzig Jahre lang schreibt er schon Gedichte, mal gereimt sprachakrobatisch, mal ungereimt, nachdenklich und gedankenumwälzend. Kürzlich ist er sechzig geworden. Und er schreibt weiter unverdrossen Gedichte. Anfangs für wenige Leser. Gernhardt brachte es auch pünktlich auf den Reim: „Die große Menge wird mich nie begreifen, / die Pfeifen.“ 1994 dichtete er, weil es eine seltsame Gelegenheit gab, für BILD-Leser, und er tat es mit Reimeifer über alle Maßen. Die dritte Strophe geht so: „Was immer deutsche Dichter schreim, / davon stürzt das Gedicht nicht ein. / Lieb Vaterland magst ruhig bleim - / fest steht und treu die Wacht am Reim.“

Die „Gedichte“ von 1954-1994 zeigen einen vielseitigen Gernhardt, der Kunst, Liebe oder Tod in Knittelverse zwängt, klassische lyrische Formen durch jedem vertraute Banalitäten komödiantisch ab- und aufwertet. Er zeigt sich als glänzender Imitator von Wilhelm Busch und Christian Morgenstern, nähert sich Wortkünstlern wie Lichtenberg dadurch an, daß er zu pointierten Sudelbuchnotizen nur eine komische Zeichnung beisteuert. Seine Cartoons sind mindestens ebenso beliebt wie seine stichelnden, komischen Gedichte. Ein Parodist mit geringem Aufwand. Ein Wortspieler, der gern auch „Kollegen“ eins auswischt. Auf alles und fast alle macht er sich einen Reim: „Der Böll war als Typ wirklich Klasse. / Da stimmten Gesinnung und Kasse. / Er wär’ überhaupt erste Sahne, / wären da nicht die Romane.“

Als Lyriker foppt er die Erzähler und schließt sich selbst nicht aus: „Wer will denn gern hardt landen?“ Dichterruhm und Dichterleid, davon lebt auch Robert Gernhardt. Im Gedicht „Alles über RS“ wird Vers für Vers das Thema Selbstzufriedenheit durchgespielt. Am Schluß heißt es: „Robert Selbstzufrieden stört, / daß er nur Hosianna hört, / und in kühnen Selbstversuchen / sieht man ihn sich selbst verfluchen.“

Spricht er nicht von sich selbst, redet er gern über andere. Immer wieder anders. Als listig-garstiger Lust- und-Leid-Virtuose hat er fast immer was zu sagen. Manchmal ist mit dem knurrend-melancholischen Ich nicht mehr viel zu machen, aber ein Vers gelingt allemal: „Ich horche in mich rein. / In mir muß doch was sein. / Ich hör nur ,Gacks‘ und ,Gicks‘./ In mir da ist wohl nix.“

Ein guter Menschen-Beobachter ist Robert Gernhardt. Er bedichtet sein Alltags-Ich, dichtet unterwegs, im Café, im ICE.

Im Band Lichte Gedichte wird sein Vers immer kunstvoller, aber auch offener für Schwächen am eigenen Vers und an der bedrohlich gerüttelten Gesundheit. Komisch und ernst, und das in einem Gedicht zugleich. In neun Abteilungen teilt er aus, steckt er ein, von „alltäglich“ und „künstlich“, von „lieblich“ und „persönlich“ oder von „endlich“ bis „herzlich“, immer gibt es Überraschungen aus den Unzulänglichkeiten der Poesie und des Alltags. Das Leben zeigt seine unvermeidlichen Wiederholungen, doch wie sich daraus retten? Ganz einfach: „Will ich nicht hadern, kann nicht klagen, / muß lediglich: So sei es! sagen.“ Sich annehmen, poetisch aufstrebend oder physisch abnehmend. Nicht immer den Unmut gleich an die eigene Adresse richtend. „Knastbrüder“ heißt ein knirschendes Gedicht. Bach, Picasso, Thomas Mann und auch Brecht kommen darin vor, obwohl es doch ein Gedicht ist, das nur, hauptsächlich jedenfalls, von Robert Gernhardt handelt. Vor allem der vierte Vers: „Von Brecht gibt es viele Gedichte. / Manche gut und manche nicht schlecht. / Und manche ziemlich daneben. / Aber alle sind von Brecht.“

Dann gibt es einen Einbruch in des Dichters dichtendes Leben: Infarkt. Im Krankenhaus liegt der kranke Dichter, und was treibt er da vor und nach der Operation, er dichtet. Einmal hört er „dem beleibten Arzt“ zu: „Erzähl vom Verschleißen / Erzähl vom Verkalken/ Erzähl vom Verengen / Erzähl vom Verschließen / Erzähl, was du willst, / nur erzähl du mir bitte / bitte nichts vom Verzichten.“

Manfred, Hans-Werner, Max und Günter, sie alle haben schon, sinniert der Dichter in der Klinik, einen Bypass, aber genug gegrübelt, denn: „Kein Wort mehr! / Man schämt sich ja regelrecht ohne!“

Diese Gedichte aus der Klinik sind wie ein Wunder, ein Glanzstück an Erfindung und Erlebnis. Wo der Normalmensch, der nicht dichtet, zagt und zittert, macht Robert Gernhardt einen Vers nach dem andern. Ob Narkose oder Blutabnahme, Eingriff Hoffnung und Neubeginn, immer gelingt ihm etwas, das ihm gehört und jedem, der ähnliches erfuhr, ganz nahegeht. Selbst das OP-Hemd kommt hier vor, es hat „keinerlei Taschen. / Es ist strahlend weiß / und hinten zu schließen. / So, besitzlos und rein, / trät’ man gern vor den Herrgott- / nur bitte nicht gleich und sofort.“

Von Goethe gibt es die Bemerkung, daß poetischer Gehalt immer Gehalt des eigenen Lebens sei. Robert Gernhardt, der alle Register des Reims im späten, artistisch aufgeregten Jahrhundertspiel erprobt hat, weiß, daß das für alle bewältigten und noch bevorstehenden Situationen gilt. Und sein vorläufiges „Fazit“, das den wunderbaren Band Lichte Gedichte abschließt, zeigt im ungereimt-gereimten Vers, was der Dichter, im Komischen wie im Ernsten zu Haus, aus all den Erfahrungen seiner sechzig Jahre in Zukunft zu machen gedenkt: „Das Leben hat mir / die Instrumente gezeigt. / Ich habe genickt, / zum Zeichen, daß ich begriffen habe. / Seither sinne ich, / wie ich das Leben austricksen kann. / Beifällig nickt dazu Gevatter Tod.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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