Eine Rezension von Henry Jonas


Ein Kindgott auf dem Kaiserthron

Louis Couperus: Heliogabal der Sonnenkaiser

Aus dem Niederländischen von Christel Captijn-Müller und Heinz Schneeweiß.

Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998, 470 S.

 

Die Annalen verzeichnen einen römischen Kaiser Heliogabal, der um 218 unserer Zeitrechnung den Thron erklommen hatte. Da zählte er noch nicht einmal fünfzehn Jahre. Das Volk Roms lag ihm zu Füßen. Es liebte und verehrte seinen Kind-Kaiser. Aber drei Jahre später bereits war die Stimmung in Wut und Haß umgeschlagen, und das Kaiserlein wurde von Speeren durchbohrt, durch die Stadt geschleift und in den Tiber geworfen. Was war passiert? Dieser Frage ist Couperus nachgegangen.

Das ist freilich schon eine Weile her. Der Roman ist 1905/06 geschrieben worden. Damals stand der Autor, ein Holländer, 1863 als Sohn eines Kolonialbeamten in Den Haag geboren, in Indonesien aufgewachsen und später weit gereist, hoch im Kurs. Als er 1923 starb, hinterließ er ein vielseitiges und umfangreiches Werk (50 Bände machen seine Gesammelten Werke aus), darunter elf große Romane, die in 15 Sprachen übersetzt wurden. Heute gleicht die Herausgabe von „Heliogabal“ (in einer sorgfältigen Neuübersetzung übrigens) einer Wiederentdeckung. War sie lohnend? Im Ganzen wohl, wenngleich mir Einschränkungen angemessen erscheinen.

Da ist zunächst das stoffliche Interesse, welches das Buch auf sich vereinen kann. Es hängt mit der Figur des Bassanius zusammen, einer selbst in einer Reihe mit Cäsar und Augustus, Nero und Marc Aurel außergewöhnlichen Gestalt. Bassanius war der Sohn des Kaisers Caracalla und wurde nach dessen Ermordung samt Mutter Semiamira und Großmutter Julia Mäsa nach Syrien verbannt. Man weihte ihn in die Mysterien der Magier und in die geheime Wissenschaft der Kabbala ein und machte ihn zum Hohepriester des Sonnengottes Heliogabal. Schönheit und Anmut des Knaben, seine Fähigkeiten als Schauspieler und Tänzer und seine religiöse Inbrunst ließen seine Gottesdienste weithin berühmt werden. 60000 Teilnehmer, zum Teil von weither angereist, waren keine Seltenheit. Die Verbindung von Religion, Wollust und Grausamkeit ließ stets eine Massenhysterie aufkommen, die nicht ihresgleichen hatte. Da war es nicht schwer für die ehrgeizige Julia Mäsa (die der in Ungnade gefallenen Familie wieder zu Macht und Ansehen verhelfen wollte), die in Syrien stationierten römischen Truppen zu bewegen, ihren Enkel zum Kaiser auszurufen. Das unter dem Caracalla-Mörder Macrinus verunsicherte Rom hörte den Ruf. Die entsandten Delegierten wurden von Julia Mäsa bestochen, aber auch durch das Erlebnis des Bassanius (der immer mehr mit dem durch ihn vertretenen Gott Heliogabal gleichgesetzt wurde) erschüttert. Da war der Weg zum Thron bald gebahnt.

Rom empfing den Jüngling enthusiastisch, alle Arme waren weit geöffnet, und die Begeisterung überschritt jedes Maß. Bassanius-Heliogabal war weiterhin, obwohl Kaiser, nur als Hohepriester tätig und überließ die weltliche Herrschaft Julia Mäsa, die ihrerseits allen seinen Launen Raum gab. Mit ihm brach die orientalische Lebensauffassung in das nüchterne Rom ein und mit ihr bisher nicht bekannte Riten und Gebräuche, Farben und Klänge, betörende Sinnlichkeit und berauschende Ausschweifung. Bürgerschaft und Armee waren zunächst offen, interessiert und angetan. Zunehmende Exzesse aber (Bassanius feierte vier öffentliche Hochzeiten, darunter eine mit dem Wagenlenker Hierocles, dem er sexuell hörig wurde), Günstlingswirtschaft und die grobe Mißachtung römischer Sitten und Gebräuche ließen die Stimmung nach einigen Jahren umschlagen. Die Römer brachten Bassanius grausam um und riefen seinen Cousin Alexander zum Kaiser aus.

Die Geschichte wird in einer opulenten Sprache erzählt, die mitunter beinahe berauscht. Wo die Handlung vorwärtsdrängt, nimmt sie einen fast fiebrigen Charakter an. Leider ist das nur selten der Fall. Bestimmend ist die breite Schilderung von Gebäuden, Stadtvierteln, Zeremonien, Festzügen, Kleidungen u. a. In dieser Hinsicht breitet der Autor ein fast lexikalisches Wissen detailliert aus. Dabei gibt es freilich sowohl Redundanz als auch pure Wiederholung. Die Lektüre wird zudem durch eine Überfülle römischer Termini erschwert, die nur durch den Anhang, der 360 Worterklärungen enthält, erschlossen werden können. Denn wer wüßte sonst schon auf Anhieb, was gemeint ist, wenn er liest, daß der Archimagnus, von Argyraspiden begleitet, die Apadana betritt oder daß die Auxilia im Castra praetoria auf die Chrysaspiten treffen? Leider kommen andererseits die Personen der Handlung - es sind ohnehin nicht mehr als knapp zwei Dutzend - zu kurz. Sie werden meist entweder auf ihre Funktion oder gar auf ihren Namen reduziert. Ein paarmal gelingt es dem Autor, Figuren mit ein paar Strichen festen Umriß zu geben, im wesentlichen aber ist alles auf Bassanius-Heliogabal konzentriert.

Der allerdings wird vielfältig changierend und sehr differenziert vorgeführt - als frivoler Kindgott, als gottschöner Priester, der sich rituell prostituiert, als verdorbenes Kind, das seinen Launen die Zügel schießen läßt, und als im Grunde mißbrauchte Figur, die nicht recht versteht, was mit ihr geschieht. Ihm gegenüber steht eine im wesentlichen gesichtslose Masse, die jeden zertrampelt und entleibt, der sich ihr entgegenstellt - bis sie sich am Ende formiert und dem Spuk ein grausames Ende bereitet (oder einen neuen Anfang?). Der Roman konzentriert sich ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Volksmasse und kaiserlichem Hohepriester. Was sonst im Land und außerhalb geschieht, wie es um die Lebensverhältnisse der einfachen Leute bestellt ist, welche Entscheidungen Rom bezüglich seiner Weltherrschaft treffen, welche Kämpfe es zur Selbstbehauptung bestehen muß, wie Julia Mäsa an der Staatsspitze wirkt, das bleibt ganz und gar im dunkeln. In der Beschränkung hat das Konsequenz, aber es ergibt auch eine verkürzte Sicht auf das Bild der Zeit. Ein bißchen läuft schon diese Verengung dem Wesen des Romans zuwider, dem als Großform der Erzählkunst in Prosa eigentlich eine weitverzweigte Handlung zugrunde liegen sollte, die sich durch Tiefe und Vielschichtigkeit auszeichnet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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