Wiedergelesen von Waldtraut Lewin


Stefan Heym: Der König David Bericht

Roman.
Buchverlag Der Morgen, Berlin 1973, 286 S.

Stefan Heym: Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe

Erzählt nach den Aufzeichnungen eines gewissen Josiah Creech.
Buchverlag Der Morgen, Berlin 1978, 90 S.

 

Es ist schon so, daß man sich den Büchern des Stefan Heym inzwischen mit einer gewissen Ehrfurcht nähert; der alte Mann hat zum Schicksal, für so sehr vieles zu stehen in diesem an Ereignissen nicht armen Säculum - eigentlich wurde er ja schon zur Legende, bevor er begann, „wirklich“ zu schreiben; Kreuzfahrer von heute hat alle Nachteile und Vorzüge der Kolportage und machte ihn weltberühmt, das ist sein Fundament. Von seinen Büchern sind mir manche mehr und andere weniger lieb; die, in denen ihm die historische Distanz den Blickwinkel der Verfremdung aufnötigt, halte ich für künstlerisch gelungener, aber eigentlich geht es bei Heym primär um etwas anderes. Er ist ein Unikum in unserem Jahrhundert: ein Mann, ein Autor, dem es gelungen ist, seinen „aufrechen Gang“ zu bewahren, in welche politischen Wirrnisse er auch geriet, jemand, der den Anfechtungen aller Art widerstand, gleich, welche persönlichen Nachteile das für ihn brachte. Sicher nicht ohne Not, und davon zeugen seine Bücher.

Die beiden von mir favorisierten und deshalb ausgewählten Werke thematisieren das, jedes auf eine andere Art, in einer anderen geschichtlichen Realität: Die Diskrepanz zwischen Macht und Geist ist ihr Thema, in ihrer speziellen Form der Diskrepanz zwischen Macht und Autor.

Der König David Bericht hatte für mich, die ich in den 70er Jahren gerade begann, Romane zu schreiben, die in der Geschichte angesiedelt sind, eine ungeheure Faszination; ich bin ihr auch beim Wiederlesen erlegen. Mir war - damals wie heute -, als sei da einer gekommen, der die Tradition Feuchtwangers (speziell die im Falschen Nero gepflegte Linie) mit dem Erzählstil eines Thornton Wilder (Die Iden des März) verband, ironisch und genau, akribisch eruiert (nicht umsonst wird der große Religionswissenschaftler und Mythologe Walter Beltz bedankt) und frei-frech erzählt, in seiner Umdeutung der Überlieferung kühn, in seiner Benutzung des alten Materials für neue Aussagen erstaunlich. Möglicherweise habe ich zu den ganz wenigen gehört, die dieses Werk zunächst einmal als historischen Roman gelesen haben und erst in zweiter Instanz als ein Schlüssel-Buch über Totalitarismus und Herrscher-Größenwahn.

Was geschieht, ist mit wenigen Sätzen zu erzählen: Der Historiker Ethan ben Hoshaja wird nach Jerusalem an den Hof König Salomos zitiert, um - nach Notizen, Augenzeugenberichten, Volksüberlieferungen, Tagebüchern und Mitteilungen Überlebender - die Biographie von Salomos Vater, des Königs David, aufzuzeichnen; ein Heldenepos, das vor allem dem Zweck dienen soll, die legitime Thronfolge des Erben zu sichern und die Erwählung Davids durch Gott persönlich festzuschreiben. Für jeden Schleimscheißer wäre das ein Leichtes, aber Ethan ist in die Wahrheit vernarrt. Er will, wenn er es schon nicht ganz aufschreiben kann, es doch wenigstens ganz wissen. Binnen kurzem hat er nahezu jeden der einander befehdenden Hofkamarilla zu irgendwelchen Konfessionen gebracht, aber beinah jedem auf die Zehen getreten, und so leisetreterisch er sich auch anzustellen versucht, es gelingt ihm nicht. Wer mit dem Teufel frühstückt, muß einen langen Löffel haben. Ethan ist nur ein kleines Licht. Man ist mißtrauisch geworden.

Natürlich ist die Geschichte Davids ganz anders und David ganz anders, als die offiziellen Apotheotiker es wahrhaben möchten; er hat skrupellos alles und alle aus dem Weg räumen lassen, die sich seiner Macht widersetzten, und ist überhaupt an Fiesheit kaum zu überbieten. Ethan spricht mit den Opfern und mit den Tätern. Was er aufschreibt, findet, so sophisticated es auch formuliert sein mag, so sehr er sich auch dreht und wendet, nicht den Beifall der Oberen. Er kommt mit Mühe mit dem nackten Leben davon und verläßt Jerusalem geschröpft, verarmt, in Ungnade und im Unglück.

Das hat er nun davon. Denn, wie der Hauptmann der Torwache sagt: „Weder gehörst du zum Volk, noch bist du GOttes. Du zählst nicht zu den Herrschenden, und bei den Beherrschten findet man dich auch nicht.“ Der Außenseiter, der, der sich nicht einordnen läßt, ist allemal verdächtig, und schon gar, wenn er versucht, das Gras abzufressen, das über altem Dreck gewachsen ist.

Nein, es geht nicht um die „Rolle des Intellektuellen“. Ich glaube, die war Heym ziemlich egal. Es geht ganz konkret um die Stellung des Schreibenden, dessen, der Wahrheit bewahren soll, und um die Vergeblichkeit seines Strebens. Ethan ist schwach und halbherzig, und die Furcht, die ihn beherrscht, ist nur zu begründet, „gefangen in... (seiner) Zeit und ausserstande, ihre Begrenzungen zu durchbrechen“. Er sitzt zwischen allen Stühlen, und er geht kaputt an seinem Drang nach Wahrheit; nicht nur, daß seine physische Existenz praktisch vernichtet wird; auch sein Glaube an menschliche Werte (und nun schon gar in der Politik) bricht zusammen, und zurück bleibt nur eine tiefe Traurigkeit und ein Mitleid mit den Geschundenen - die allzuoft auch selbst einmal Schinder gewesen waren.

„Wie lange dann, (...) bis selbst ein kühler Kopf in jeder zufälligen Ansammlung eine Gruppe sieht, in jedem geflüsterten Wort eine Verschwörung? Wie lange, bis er den Staat, errichtet im Namen des HErrn, in einen Moloch verwandelt, der gespeist wird mit dem Fleisch der Unschuldigen?“ Solche Sätze drangen uns damals bis ins Mark; es war noch keine Morgenröte aufmüpfigen Neu-Denkens, sondern die immer noch nur halbherzig durchgeführte Aufarbeitung der Schrecken der Stalinschen Vergangenheit, mit denen, die „kommen, um einen festzunehmen, diese klopfen bei Morgengrauen ans Tor“ wie in Jewtuschenkos Gedicht „Ängste“.

Diese Parallelen machten die Brisanz des Buches aus - und, wie letztlich jede Zweckmanipulation - seine Schwächen. Um sein Jerusalem der Zeit Davids und Salomos zum Gleichnis der Schreckensherrschaft unserer Tage zu machen, greift Heym rigoros ins Tradierte ein, interpretiert, interpoliert. Die biblische Erzählung über David ist ja alles andere als eine Schönfärberei, sie zeigt den Mann in seinem ganzen Widerspruch und vermittelt eigentlich - Heym möge mir verzeihen - ein viel stärkeres, ruppigeres, weil nicht tendenziöses Bild dieses Herrschers, ein Bild mit Rissen, Sprüngen, großen Schönheiten und großen Schrecken, Unverständlichkeiten und zutiefst menschlichen Unzulänglichkeiten. Heym wollte etwas anderes, und er hat es erreicht. Daß die Autoren der Bibel eigentlich besser waren als er, sollte er gelassen hinnehmen.

Fünf Jahre später greift der Autor „sein Thema“ noch einmal auf, verpflanzt es in eine andere Epoche. Die Schmähschrift spielt 1702 und hat den uns allen als späteren Verfasser des Robinson Crusoe bekannten Daniel Defoe zum Helden - diesmal ist es - ein wirklicher „Held“. Im Gegensatz zu seinem halbherzigen Vorfahren Ethan in Jerusalem kneift Defoe in London nicht den Schwanz ein; sein mutiges Auftreten gewinnt ihm die Gunst der redlichen kleinen Leute und des wohlgesinnten Bürgertums und bewahrt ihn sogar am Pranger vor der Wut des (von höchster Stelle angestachelten) Mobs.

Uferte Der König David Bericht in (historisch vorgegebener) Stoffmasse aus und drohte teilweise in Informationsfülle zu ersaufen, so ist Die Schmähschrift ein straff gestricktes Meisterwerk von nur 90 Seiten. Der Buchverlag Der Morgen hat hier außerdem eine bibliophile Kostbarkeit hervorgebracht, ein der Insel-Reihe nachempfundenes Büchlein feinster Aufmachung, geziert von graziös-skurrilen Illustrationen Horst Hussels, ein wahrer Leckerbissen für Bücherfreunde, aber nicht nur des Exterieurs wegen. Heym schafft, um uns zu seinem Helden vordringen zu lassen, zwei Soffitten wie im Theater jener Zeit: Die erste ist sein Vorwort, in dem er behauptet, ein altes Originalmanuskript aus Familienbesitz eingesehen zu haben. Als er es nach durchlesener Nacht der Besitzerin zurückgeben wollte, „waren das Haus (...) und sie selbst verschwunden“. Was sich so mystisch anhört, gewinnt seinen perfiden Doppelsinn, wenn man erfährt, daß dies 1944 in London, also zur Zeit der Luftangriffe, geschah. Die zweite „Soffitte“ ist die Figur des Erzählers. Josiah Creech ist die Kreatur des Staatssekretärs Lord Nottingham (kein Zufall, daß er heißt wie der schurkische Sheriff-Gegner Robin Hoods!), der die Ermittlungen gegen den Verfasser einer anonymen Satire leitet - übrigens dauert es eine Weile, bis die tumben Behörden überhaupt mitkriegen, daß es sich um eine solche handelt. Josiah Creech ist ein Schweinehund, aber einer mit Scharfblick, und seine Art, auf Daniel Defoe zu sehen, ist die eines Okulars: Die wenigen Striche, mit denen er die Reaktionen, Reden, Taten des Schriftstellers umreißt, sind präzis, klar, bösartig - und gerade darum so überzeugend. In der ganzen beißenden Zeitpersiflage steht Defoe wie ein Ausschnitt aus einer anderen Welt: tapfer und furchtsam zugleich, fühlend und liebenswert, klug, feurig und nicht kleinzukriegen im Umglück. Den Tritt in den Hintern, den Ethan in Jerusalem bekam, fängt hier nicht der Schriftsteller ein, sondern nur der „Verfasser“ der Aufzeichnungen. Creech wird zum Schluß wegen seines Versagens in der Sache „Königin gegen Defoe“ in Ungnade entlassen.

Das Büchlein hat nichts von seinem Zauber eingebüßt, es ist ein kleines Meisterwerk. Die leicht antikisierende Sprache, voll schöner Bildhaftigkeit und ironischer Nonchalance, ist weit von jedem Alltagsnaturalismus entfernt und zeigt Stefan Heym auf der Höhe seiner Kunst, und zwischen all den anderen, mit sparsamen Farben gemalten Charakterstudien geht von der Figur des Defoe eine große ungebrochene, fast erotische Faszination aus.

Ethan im König David Bericht und Daniel Defoe in Die Schmähschrift - das sind zwei Seiten einer Medaille. Sie legen Zeugnis davon ab, daß Heyms aufrechte Haltung im persönlichen Leben, seine mustergültige Integrität durchaus keine Selbstverständlichkeit waren, daß für ihn die Position des Autors zur Welt und in der Welt Gegenstand des Nachdenkens für und für war, daß seine moralische Entscheidung ein Sieg war, keine Prämisse, daß schmerzvolles Grübeln über die vertrackte Außenseiter-Situation des Schreibenden in einer mehr und mehr instrumentalisierten Welt die Basis seiner Existenz war und ist. Der Schriftsteller als moralische Anstalt - und gerade deshalb als das verletzbarste, das angefochtenste und geschmähteste Wesen der in ihren Strukturen verfestigten Gesellschaft, als Dorn im fetten Fleisch der Selbstzufriedenheit und Gemütsruhe der Herrschenden, hier tritt er uns vielleicht zum letztenmal in unserem Jahrhundert in so reiner Ausprägung entgegen. Im Werk. Im Leben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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