Eine Annotation von Horst Wagner


Bischoff, Joachim/Deppe, Frank/Kisker, Klaus Peter (Hrsg.): Das Ende des Neoliberalismus

Wie die Republik verändert wurde.

VSA-Verlag, Hamburg 1998, 232 S.

 

Neoliberalismus - ein fast schon zum Schlagwort gewordener Begriff, der von Politikern, Experten und Massenmedien unterschiedlicher Couleur tagtäglich zur Beschreibung heutiger Zustände und Zielvorstellungen benutzt wird. Mitherausgeber Bischoff erklärt ihn als eine Ende der 70er Jahre einsetzende politische Bewegung zur „Revitalisierung der kapitalistischen Ökonomie“, die „zunächst als neokonservative Revolution“ bezeichnet wurde. „Erst später verbreitete sich die Bezeichnung Neoliberalismus, obgleich die Aufwertung der kapitalistischen Marktsteuerung keineswegs mit einem Engagement für die individuellen Bürgerrechte verknüpft war.“ Der Begriff Neoliberalismus sei deshalb „so irreführend wie die Kennzeichnung der restaurativen Umbauschritte als ,Reformen‘“. In Wirklichkeit gehe es darum, „im Namen der Anpassung an das Diktat der deregulierten Finanzmärkte eine Transformation der spätkapitalistischen Gesellschaften durchzusetzen“. (S. 55-58)

Das vorliegende, sich kritisch mit Theorie und Praxis dieses Neoliberalismus auseinandersetzende Buch vereinigt 13 Beiträge von acht Uni-Professoren (Ökonomen, Politologen, Soziologen), zwei Redakteuren der in Hamburg erscheinenden Zeitschrift „Sozialismus“, einer freien Publizistin sowie eines Jurastudenten. Es beleuchtet die Widersprüche in der Ideologie des heutigen Konservatismus, untersucht die materielle Macht und die Massenwirksamkeit des reaktionären Wirtschaftsliberalismus, hinterfragt die Lehren von Marx und Keynes und stellt diesen die heutigen neoliberalistischen Ansichten gegenüber. Wir erhalten einen schockierenden Einblick in Ausmaß und Maßlosigkeit internationaler Finanzmärkte sowie gegenwärtiger Finanzkrisen und die sich dadurch verschärfenden Widersprüche zwischen armen und reichen Ländern. Wir werden vor den unter dem Schlagwort innere Sicherheit laufenden Bestrebungen zur Einschränkung der liberalen Freiheitsrechte gewarnt und erfahren von Mechthild Jansen, der einzigen Frau unter den Autoren, wie sich das reaktionäre Frauenbild der drei K - Kinder, Küche, Kirche - in das von der verflossenen CDU-Frauenministerin Nolte propagierte Leitbild der fünf K - Kinder, Knochenarbeit, soziale Kompetenz, Karriere und Kniefall vor der Gemeinschaft - gewandelt hat. Wobei Mechthild Jansen interessante Vorschläge für einen neuen Geschlechter- und Gesellschaftsvertrag macht. Eine Stärke des Buches ist überhaupt, daß die meisten Autoren konkrete und nachvollziehbare Alternativen zu den gegenwärtigen, die Existenz auch des kapitalistischen Systems in Frage stellenden Zuständen aufzeigen. Priorität einer demokratischen Politik gegenüber den vom Share-holder-Kapitalismus gesetzten sogenannten ökonomischen Zwängen, Umverteilung von Reichtum und Arbeit, öffentlicher Beschäftigungssektor, eine sozial gesteuerte und ökologisch verträgliche Wachstumspolitik, schrittweise Herauslösung des Gesundheitswesens aus dem Marktmechanismus sind nur einige der Stichworte. Ist nun mit dem Regierungswechsel, so bleibt zu fragen, das Ende des Neoliberalismus in Deutschland erreicht? Die Lektüre des Buches läßt eher den Schluß zu, daß Schröders „neue Mitte“ versuchen wird, neoliberale Politik zu modernisieren, sie mit traditionell sozialdemokratischen und liberal-bürgerrechtlichen Elementen zu verbinden und ein bißchen Öko-Grün darunter zu mischen, um dem Ganzen, wie es der Frankfurter Professor Hirsch in seinem am Ende des Bandes stehenden Aufsatz beschreibt, „soziale Nachhaltigkeit und politische Akzeptanz zu verleihen“. (S. 221)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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