Eine Annotation von Bertram G. Bock


Scholten, Jaap: Achtzig

Roman.
Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens und Andreas Ecke.

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 252 S.

 

Frederik, Sohn einer Twenter Familie, die es durch ihre Textilfabrik zu Geld gebracht hat, ist mit seinen dreiundzwanzig Jahren in eine Phase gekommen, in der er über seinen bisherigen Lebensweg ins Grübeln gerät. Plötzlich ist das, was er macht, für ihn nicht mehr wichtig, nicht mehr ausreichend genug. Und so sucht er eine neue Orientierung, weiß derzeit aber nur eins: Was er gerade macht, ist sinnlos, also macht er es nicht mehr. Zum Erschrecken natürlich seiner Mutter und Brüder, auch der restlichen Familienangehörigen.

In 61 Kapitel(chen) erzählt der 1964 geborene Scholten vom Leben seines unzufriedenen, desorientierten Protagonisten, der einige Tage, von einem Dienstag bis zum darauffolgenden Sonntag, im elterlichen Haus verbringt, wobei er aber - bis auf die beiden Hunde - alleine ist. Die Mutter mußte für ein paar Tage weg, ist jedoch pünktlich zum 80.Geburtstag der Großmutter wieder zurück. Um es vorwegzunehmen: Auch am Endes des Romans ist keine weitreichende Entscheidung gefallen. Ob Frederik weiterhin mit seiner Freundin Calanda zusammenbleiben wird, steht genauso in den Sternen wie die Lösung all der anderen Probleme, die im Verlauf des Geschehens angesprochen werden.

Da ist das schwierige Verhältnis mit Calanda, die Frederik der Untreue bezichtigt, obwohl er selbst, wenn es ums Treusein geht, auch nicht gerade das Vorbild ist; da ist die Frage nach seinem Vater, der, als Frederik noch klein war, plötzlich verschwand; da ist eine Nachbarin, die ihn erotisch anzieht; da ist eine Fete, in deren Verlauf er etwas zuviel trinkt und in eine ungewöhnliche Situation gerät. Aber Spektakuläres, Aufhellendes oder gar Erklärendes geschieht nicht. Frederik bleibt, egal, was er tut, wie oft er nachfragt, in sich und seiner Geschichte gefangen, erhält keine Aufklärung.

Es ist ein Buch über die Verstrickungen, in die sich Menschen hin und wieder hineinbegeben (müssen) und denen sie erst mit viel Mühe wieder entkommen können. Eine Zustandsbeschreibung, die aber auf nichts weiteres hinweist, die, so scheint es, keine weitere Botschaft transportieren will, die für nichts stehen will - außer - natürlich - für die niederländische Jugend.

Der Umschlagtext behauptet: „Jaap Scholten erzählt Frederiks Geschichte wie einen Film.“ Nun, der Autor ist, nach Industriedesignstudium, nicht nur Graphikdesigner, sondern auch Drehbuchautor und Filmemacher. Das erklärt in gewisser Weise die Zurückhaltung in seinem ersten Roman. Denn wenn man sich die Mühe macht, sich den Roman als Film vorzustellen, wenn man sich Kamerafahrten oder Perspektiven überlegt, gewinnt die Geschichte plötzlich an Reiz. Hier und da blitzen Witze auf, hier und da ist eine Groteske nur schwer zu übersehen. Vor allem aber: Wer sich diesen Roman als Film vorstellt, gewinnt eine Ahnung über die Stimmungslage des „Helden“, wie sie der Text an sich nicht hergibt. Unter dieser Prämisse hat Achtzig wirklich etwas zu bieten, so daß zu vermuten ist, daß die Geschichte als Film überzeugender wäre als der vorliegende Roman. Die Story erscheint etwas dünn, und die erzählerische Umsetzung der Bilder und Gefühle ist etwas zu schwach - natürlich mit Ausnahmen. Das soll aber nicht heißen, daß Scholten gescheitert sei. Ein Erstling, der gute Anlagen hat. Warten wir die nächsten Veröffentlichungen ab ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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