Eine Annotation von Bernd Heimberger


Bronnen, Barbara (Hrsg.): Geschichten vom Überleben. Frauentagebücher aus der NS-Zeit

Verlag C. H. Beck, München 1998, BR 1264, 251 S.

 

Das war zu erwarten! Auch Lore Walb ist mit dabei. Das Zwiegespräch mit ihren Jung-Mädchen-Tagebüchern der Jahre 1933-1945, 1997 veröffentlicht, holte Zeitgeschichte in die Gegenwart, wie das Monate zuvor mit dem Tagebuch-Monument des Victor Klemperer geschehen war. Zeitgeschichte aus unterschiedlichster Sicht bietet auch der von Barbara Bronnen herausgebrachte Band Geschichten vom Überleben. Frauentagebücher aus der NS-Zeit. Als Originalausgabe ausgewiesen, ist die Idee der Publikation so wenig neu wie die Mehrzahl der Beiträge. Neben Walb ist die Rinser ebenso vertreten wie die Kardorff, wie Bella Fromm und Ruth Andreas Friedrich. Was sie schrieben, wo und wann sie schrieben, hat sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte bei allen herumgesprochen, die es wirklich wissen wollten. Warum dann die Auswahl der bekannten wie unbekannten Texte? Weil so die verschiedensten Meinungen, Erfahrungen, Situationen zu einer gemeinsamen Zeit am dichtesten nebeneinander sind? Weil so Zeit am deutlichsten differenziert wird? Gründe, die genügen dürften, um wieder und wieder vergleichbare Editionen anzubieten. Die wesentlichere Frage ist: Wem anbieten? Immer weniger denen, die die Erinnernden, die Sich-Erinnernden sind. Bronnens Herausgabe ist zuerst für die Nachgeborenen da, für die Geschichte auf Daten wie 30. Januar 1933, 9. November 1938, 1.September 1939, 8. Mai 1945 zusammengeschrumpft ist. Vom Tag weiß wirklich nur was, wer weiß, wie der Tag in seinen 24 Stunden gewesen ist. Der Band nimmt mit hinein in die Tage der NS-Zeit. „Wir rennen mit der Geschichte um die Wette“, schreibt Ruth Andreas Friedrich am 22. Januar 1945. Die gesamte Zeit überschaut, heißt das, die Frauen berichten vom Mitrennen, Dagegenrennen, Nachrennen, Ver rennen. Ungefiltert. Also unverlogen. Geschichte kommt nicht am kurzgehaltenen Halsband der Historiker daher!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 3/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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