Eine Rezension von Rainer Bert


Fast nie Erster, aber Weltmeister

Alexej Suetin: Tigran Petrosjan
Die Karriere eines Schachgenies.

Verlag Bock & Kübler, Fürstenwalde 1997, 352 S.

 

Ein Buch über einen Schachweltmeister hat eine Gratwanderung zu bewältigen: einerseits dem Laien die Biographie zu vermitteln, ohne ihn mit allzuviel Schachspezifik zu quälen, andererseits dem (Hobby-)Schachspieler nutzbares Schachmaterial zu geben, ohne ihn mit sowieso bekannten Lebensdaten zu überfüttern. Vorliegender Band bewegt sich in diesem Spektrum, er bringt sowohl dem Laien als auch dem Schachspieler etwas. Der Schach-Teil soll im Folgenden ausgeklammert werden, der Schachamateur möge sich selbst in die 234 Partien vertiefen und entsprechenden Gewinn daraus ziehen. Der Autor, der Seniorenweltmeister Alexej Suetin, war eng mit Petrosjan verbunden, war seit 1950 sein Freund und Spielpartner, später auch Trainer und Sekundant. Daher ist auch viel von den persönlichen Begegnungen eingeflossen.

Petrosjan wurde 1929 in einer kinderreichen armenischen Arbeiterfamilie in Tbilissi geboren. Als Elfjähriger lernte er Schach und spielte sich innerhalb eines Jahres in die Leistungsklasse 2. Als Minderjähriger bereits Vollwaise, mußte er neben dem Schulbesuch in den damaligen Kriegszeiten hart für seinen Lebensunterhalt arbeiten. Nachdem er 1944 die Jugendmeisterschaft Georgiens gewonnen hatte und Meisteranwärter wurde, schnitt er auch bei den Männermeisterschaften mit dem 5. Platz gut ab. 1945 erreichte er bei den Jugendmeisterschaften der UdSSR bereits den 1.-3. Platz. Schon in dieser Zeit verband sich bei ihm positionelles Gespür mit taktischer Kunst und präziser Variantenberechnung. 1947 erfüllte er die Norm für den Titel eines „Meisters des Sports“. Als er 1949 erstmals an einer Unionsmeisterschaft teilnahm, erlitt er eine deprimierende Schlappe. Petrosjan siedelte sich nun in Moskau an, da er meinte, daß man nur gut Schach spielen könne, wenn man auch in einem starken Schachzentrum lebe. 1951 kam der erste Durchbruch. Petrosjan wurde hinter Keres Zweiter der Unionsmeisterschaft und ließ namhafte Spieler, wie Botwinnik hinter sich.

Die Spielstärke der sowjetischen Schachspieler war in den 50er Jahren überragend, die Unionsmeisterschaften wurden in ihrer Wertigkeit damals gleich nach einer Weltmeisterschaft eingeordnet und hatten den Rang eines Zonenturniers, einer den Interzonen- und Kandidatenturnieren vorausgehenden Qualifikation zur Weltmeisterschaft. 1958 nahm Petrosjan als zweiter Ersatzmann an der 13. Schacholympiade (der Mannschaftswelt-meisterschaft) teil, 1959 wurde er erstmals UdSSR-Meister. Allgemein wurde über den Turnierspieler Petrosjan gesagt, er spiele stark und sicher, errang ständig gute Plätze, wurde aber fast nie Erster. Seit dem Zweiten Platz beim Interzonenturnier 1952 hatte sich Petrosjan wiederholt die Teilnahmeberechtigung für Kandidatenturniere erkämpft. Das Turnier von 1952 sorgte jedoch in anderer Hinsicht für Ärger, denn alle teilnehmenden sowjetische Spieler hatten „ohne die Spur eines Kampfes“ gegeneinander unentschieden gespielt, weshalb es in der ausländischen Presse rumorte. Wie Suetin schreibt, war hingegen die stalinistische Sportführung zufrieden und lobte die sowjetischen Schachspieler für diese abgesprochene Taktik. Die internationale Schachföderation limitierte dann die Teilnahme sowjetischer Spieler an den Weltmeisterschafts-Qualifikationen, um ein noch deutlicheres Übergewicht zu verhindern. Aber erst 1962 drohte der sowjetischen Schachschule Gefahr von „außen“, und zwar durch den 18jährigen US-Amerikaner Bobby Fischer, der das Interzonenturnier vor Petrosjan gewann. Für das Kandidatenturnier 1962 hatten sich die fünf sowjetischen Spieler für die Partien mit Fischer bestens präpariert. Petrosjan gewann das Turnier, Fischer verlor in der ersten Turnierhälfte alle Chancen auf den Sieg, die sowjetischen Kontrahenten bestraften erbarmungslos seine Mängel in der Eröffnungsphase. Für den WM-Kampf 1963 gegen Botwinnik engagierte Petrosjan neben seinem ständigen Trainer Boleslawski auch A. Suetin sowie zeitweise Simagin. Er gewann den Titel, und 1966 gelang die Verteidigung gegen den aufstrebenden Spasski. Das bescheidene Honorar für den Weltmeister: 2000 Rubel (heutzutage geht es um siebenstellige Dollar-Gagen). Petrosjan war ein würdiger Weltmeister, war doch sein Positionsstil dadurch geprägt, daß er winzigste Vorteile nutzen konnte, sich erstklassig in schlechteren Stellungen verteidigte und minimales Riskko mit hervorragender Technik und taktischer Scharfsicht verband.

Der Buchautor berührt öfter die Lebensbedingungen der Schachspieler in der Sowjetunion, aber erst am Ende des Bandes wird klar ausgesprochen: Schachprofi zu sein war in den 40er Jahren riskant, da nur die wenigsten auf eine gesicherte Existenz rechnen konnten, so daß die Zahl der echten Berufsspieler in der Sowjetunion noch gering war. Petrosjan gehörte zu den ersten, die sich mit Schach ihren Lebensunterhalt verdienten. Suetin charakterisiert Petrosjan als „sehr lebhaften, fröhlichen Menschen“, der „ausgesprochen umgänglich und mit einem natürlichen, äußerst originellen Humor ausgestattet“ war. Doch galt er „außerhalb des Brettes“ als überempfindlich, bei Mißerfolgen nach seiner Weltmeisterschaft gar als launenhaft, unzufrieden, mißtrauisch. Sein Hobby war die Musik, seine Leidenschaft reichte von der Klassik bis zu Chansons und galt vor allem der Oper. Eine wichtige Rolle im Leben Petrosjans spielte seine Frau Rona, sie habe seine Kräfte zu mobilisieren verstanden, sich in seine „beruflichen Probleme“ eingemischt, für ihn die alltäg-lichen Dinge geregelt.

Offenbar war mit dem Weltmeistertitel der Zenit der Laufbahn von Petrosjan erreicht, die Weltmeisterkrone wirkte auf ihn belastend, es begann eine - für einen Weltmeister - recht erfolglose Zeit. In einem erneuten Aufeinandertreffen mit Spasski verlor Petrosjan 1969 seinen Titel. Im Finale des folgenden Kandidatenturniers unterlag er gegen Fischer. Die Niederlage zu Beginn des nächsten Kandidatenturniers gegen Kortschnoj hatte damals eine gewisse politische Brisanz, da dieser kurz zuvor nicht in die Sowjetunion zurückgekehrt war. Der Abwärtstrend in Petrosjans schachlicher Laufbahn setzte sich fort, obwohl er bei einigen Turnieren noch gut spielte. Zunehmend machten sich die Anzeichen seiner Krankheit bemerkbar. Immerhin hat er noch Partien gegen Karpow und Kasparow, die Weltmeister der 80er und 90er Jahre, gespielt. 1984 verstarb Petrosjan im Alter von 55 Jahren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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