Eine Rezension von


Keine „Heimstatt der jüdischen Bürger“

Ulrike Offenberg: „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“

Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945-1990.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 334 S.

 

„Die jüdischen Gemeinden, die zuletzt kaum 400 Mitglieder hatten, bildeten nur ein sehr kleines Segment der DDR-Gesellschaft, doch ihre Geschichte und die Konflikte, mit denen sie konfrontiert waren, erhellen Wesenszüge des SED-Staates. Entgegen der offiziellen Propaganda und den bis heute nachwirkenden Mythen ordnete die SED einen politischen und moralischen Wert wie Antifaschismus stets ihrer Machtpolitik und ihren Legitimationsbedürfnissen unter“ (S.274). Dieses Urteil steht am Ende einer bemerkenswerten Untersuchung über die jüdischen Gemeinden in der DDR, mit der Ulrike Offenberg an der Freien Universität Berlin promovierte.

Die Wiederbegründung jüdischer Gemeinden nach dem Mai 1945 wird vor allem am Beispiel der Berliner Gemeinde aufgezeigt. Dafür spricht nicht nur eine relativ gute Quellenlage, mehr noch der Fakt, daß in der Anonymität der Großstadt von der 1933 mit über 160000 Juden größten Gemeinde Deutschlands exakt 5 537 Juden (davon 4 121 in „Mischehen“ und 1416 im Untergrund) die Transporte in die Vernichtungslager überlebt hatten. Noch bedrückender fiel die Bilanz in den Ländern und Städten der SBZ aus. In Mecklenburg und Thüringen fanden sich etwa 100, in Halle 87, in Magdeburg und Chemnitz rund 50 und in Leipzig (vor 1933 die sechstgrößte deutsche Gemeinde) sage und schreibe 15 Juden zusammen, um ihre Synagogen-Gemeinden neu zu organisieren. An diesen Zahlen änderte sich auch später nicht viel. KZ-Rückkehrer gingen gleich in den Westen, von wo aus sie günstige Auswanderungsmöglichkeiten nach Palästina hatten. Bedingt durch Todesfälle und Abwanderung, fiel die Mitgliederzahl der zwölf jüdischen Gemeinden in der SBZ - außer Berlin - von rund 2 100 im Jahre 1946 auf rund 970 im Jahre 1952. Die Gemeinden verfügten zudem über keine eigenen sozialen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Altersheime und konnten auch nicht auf entsprechende staatliche Hilfe hoffen. So beschied man sich früh mit der Ausübung eines religiösen und kulturellen Gemeindelebens, das kaum in die Öffentlichkeit drang. Das war zugleich der staatlich verordnete Rahmen, innerhalb dessen Judentum in der DDR zugelassen war.

Ulrike Offenberg hebt die Sonderstellung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zu Recht hervor. Sie war nicht nur die mitgliederstärkste, sondern in der Zeit des Kalten Krieges auch „eine sektorenübergreifende Institution“ (S. 42), was den Gemeindemitgliedern gewisse Freiräume verschaffte und den östlichen Machthabern Rücksichtnahme abverlangte. Daran änderte sich auch nichts, nachdem im Gefolge der Spaltung sich der Schwerpunkt des Gemeindelebens nach Westberlin verlagerte und die in Ostberlin verbliebenen Mitglieder sich neu konstituierten. Richtungweisend wurden die Kriterien für die Anerkennung als „Opfer des Faschismus“, die der Berliner „Hauptausschuß Opfer des Faschismus“ schon im Sommer 1945 festlegt hatte. Danach wurden vielen Opfern der NS-Sondergesetzgebung von Nürnberg ein Verfolgten-Status und somit eine VdN-Rente verweigert. Später kamen die Ablehnung einer materiellen Wiedergutmachung oder einer Rückerstattung des von den Nazis „arisierten“ Eigentums seitens des DDR-Staates hinzu. Die Rückkehr der meisten rassisch Verfolgten ins „normale“ Leben in der SBZ/DDR war daher durch Ab- und Ausgrenzungen gekennzeichnet, in der Provinz noch mehr als in Berlin. Die offizielle Reduzierung von Judentum auf Religionsgemeinschaft, die antisemitischen Schauprozesse im Ostblock zu Beginn der fünfziger Jahre und nicht zuletzt ein unterschwellig fortbestehender Antisemitismus in der Bevölkerung führten dazu, daß viele über Westberlin in den Westen gingen oder sich resigniert ins Private zurückzogen.

Die Rekonstituierung des „Verbandes der jüdischen Gemeinden in der DDR“ nach der Fluchtwelle von 1952/53 legte die SED in die Hände konformistischer Kräfte, die meist selbst Mitglieder der Staatspartei waren. So wurde für die nächsten Jahrzehnte das Verhältnis zwischen jüdischen Gemeinden und sozialistischem Staat vorgezeichnet. Die „neuen Gemeindefunktionäre“ (S. 96), allen voran der Berliner Landesrabbiner Martin Riesenburger, erwiesen sich in jeder Hinsicht unterwürfig, sie verfaßten zu staatlichen Anlässen die gewünschten Ergebenheitsadressen und „akklamierten die SED-Poltik selbst dann, wenn diese den eigenen Erfahrungen zuwiderlief“ (S. 275). Für eine staatskonforme Führung der jüdischen Gemeinden sorgte nicht zuletzt das Ministerium für Staatssicherheit, das im Zusammenspiel mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen viele Personal- und Sachentscheidungen steuerte und die „Bürger jüdischen Glaubens“ direkt und mittels „Inoffizieller Mitarbeiter“ kontrollierte. So nahm es nicht wunder, „daß die jüdischen Gemeinden wie kaum eine andere Religionsgemeinschaft das DDR-System bis zum Herbst 1989 stützten“ (S. 275).

Im weiteren geht Offenberg der Frage nach, inwieweit sich im Innenleben der jüdischen Gemeinden und in deren Positionierung zur SED/DDR-Politik eigenständige und gar gegenläufige Auffassungen formulieren konnten. Schon in den Debatten um Anerkennung als OdF nach 1945 und um Wiedergutmachung nach 1949 hatte sich gezeigt, daß aus verschiedenen Gründen unter den rassisch Verfolgten kein Gefühl der Gruppenidentität entstanden war, wie es kollektiv zur Durchsetzung von Gleichbehandlungs- und Wieder-gutmachungsansprüchen notwendig gewesen wäre. Partei und Staat konnten daher zum Wohle ihrer „sozialistischen Staatsbürger jüdischen Glaubens“ - ein vom SED-Politbüromitglied Albert Norden 1972 geprägter Begriff - nach Gutdünken schalten und walten. Kritische Regungen gegen zionistische Denunziationen und gegen einen latenten Antisemitismus in der DDR-Bevölkerung wurden niedergehalten, antijüdische Ausschreitungen drangen nie an die Öffentlichkeit, und die antiisraelische Grundhaltung der DDR in der Nahostkrise ließ keinen Widerspruch zu.

Ein offizielles Papier von 1982 qualifizierte „das Judentum in der DDR als eine aussterbende, museale Größe“ (S. 208). Wenige Jahre später bahnte sich für viele Außenstehende überraschend ein Umschwung im Umgang mit jüdischer Geschichte und Kultur an, der sich am Wiederaufbau der Synagoge in Oranienburger Straße in Berlin manifestierte. Daß dem nüchterne außenpolitische und legitimatorisch-propagandistische Gründe der DDR-Führung zugrunde lagen, wird von Ulrike Offenberg überzeugend herausgearbeitet. Mit einer Betrachtung der jüdischen Gemeinden in der Wendezeit 1989/90, der neuen Hoffnungen und der Zuwanderung von Juden aus der Sowjetunion, aber auch der Probleme des Vereinigungsprozesses endet die Darstellung. Es ist ein sorgfältig recherchiertes und zeitgeschichtlich verdienstvolles Buch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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