Eine Rezension von Horst Wagner


Das Trampolin des Kanzleramtsministers

Bodo Hombach: Aufbruch Die Politik der Neuen Mitte.

Mit einem Nachwort von Gerhard Schröder.

Econ Verlag, München 1998, 229 S.

 

Der Sozialstaat, so meint Bodo Hombach, langjähriger Berater Gerhard Schröders, von Juni bis Oktober 1998 Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und seit dem Regierungswechsel in Bonn Kanzleramtsminister, müsse „vom Sicherheitsnetz zum Trampolin, von der Hängematte zum Sprungbrett“ umgebaut werden. Das Bild scheint dem Autor so gut gefallen zu haben, daß er es gleich dreimal im Text vorkommen läßt und auch noch eine Kapitelüberschrift daraus gemacht hat. Wen der Vergleich schockiert, dem sei gesagt: Er ist durchaus positiv gemeint. Aber er ist charakteristisch für die unkonventionelle und unverblümte Herangehens- und Schreibweise Hombachs. Sein Buch ist - Zufall oder gutes Timing - fast zeitgleich mit der rot-grünen Koalitionsvereinbarung und Schröders Regierungserklärung erschienen. Dies, die neue einflußreiche Funktion des Autors und auch der vielversprechende Titel wecken die Erwartung, hier so eine Art Kompendium zur Strategie der neuen Bundesregierung vor sich zu haben. Das ist es nicht, kann und will es wohl auch nicht sein. Aber es bietet interessante Informationen, zeigt neue Sichten, erklärt manchen schon zum Schlagwort erstarrten Begriff, wirft neue Fragen auf und reizt zuweilen auch zum Widerspruch.

Der Autor hat sich auf das konzentriert, wovon er am meisten versteht: die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Die gerade in den ersten Wochen nach der Regierungsübernahme heftig umstrittene Finanzpolitik bleibt weitgehend ausgespart, ebenso Fragen der Innen- und Außenpolitik. Die sieben Kapitel des Buches durchzieht ein Grundgedanke: Die staatliche Politik der „Neuen Mitte“ muß Katalysator für wirtschaftliche und wissenschaftliche Innovationen und für die Schaffung Lebenschancen bietender Arbeitsplätze sein. Gleich im Vorwort erläutert Hombach, wie er sich das mit dem „Trampolin“ vorstellt. Es müsse den vom Arbeitsmarkt Ausgestoßenen zurückfedern „in das Arbeitsleben, in Eigenverantwortung, in die Teilhabe an der Gesellschaft“. Er unterstreicht die These, daß es besser ist, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit (sie kostete der Bundesrepublik 1997 180 Milliarden Mark), schreibt über ein „neues, kreatives Steuerungsmodell“ arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, erwähnt in diesem Zusammenhang Qualifizierung und Umschulung ebenso wie verschiedene Formen des Kombilohnes. Es dürfe „gar keine Phase der Arbeitslosigkeit mehr geben, sondern nur noch Phasen der Neuorientierung, Qualifizierung, Weiterbildung oder der familiären und Ehrenarbeit“. (S.198) Wie das funktionieren könnte? Einige von Hombach ausgewählte Beispiele aus Nordrhein-Westfalen lesen sich gut. Überlegungen zur besonderen Situation in den ostdeutschen Ländern fehlen aber ebenso wie weitergehende Ausführungen zum Thema öffentlicher Beschäftigungssektor. Unbedingt zuzustimmen ist natürlich Hombachs Forderung, daß jede Maßnahme darauf abgeklopft werden müsse, wie sie dazu beiträgt, Arbeitsplätze zu schaffen. Ebenso seiner These: „Ohne die Bekämpfung der europäischen Massenarbeitslosigkeit gibt es auf die Dauer keinen stabilen Euro.“ Wobei sich Hombach zu diesem Zweck für eine „Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken“ in Europa einsetzt. (S.40f) Als vordergründige Erfolgspropaganda muß dagegen Hombachs Jubel über die steigende Zahl von Existenzgründungen angesehen werden. Abgesehen davon, daß er sich auch hier auf westdeutsche Zahlen beschränkt; es fehlt auch eine Analyse darüber, warum z.B. den 530 000 Firmengründungen, die es 1997 in den alten Bundesländern gab, 440 000 Konkurse gegenüberstanden.

Im Zusammenhang mit dem arbeitsmarktpolitischen „Trampolin“ steht ein anderer Lieblings- oder Schlüsselbegriff Hombachs, der vom „aktivierenden Staat“. Der Wegfall der „Ordnung stiftenden Kraft der Systemkonkurrenz“ habe sowohl traditionelle linke Auffassungen als auch ihr rechtes Pendant untauglich gemacht. Weder die Losung „Mehr Planung und Dirigismus“ könne zum Ziel führen noch das neoliberale Konzept der „Deregulierung um jeden Preis“. Als Ausweg bietet Hombach das Rezept Tony Blairs an: „Die Rolle der Regierung besteht heutzutage in dem Versuch, in Schlüsselgebieten wie Ausbildung, Technologie, Infrastruktur, Hilfe für Kleinunternehmen die Wirtschaft und die Menschen auf Veränderungen vorzubereiten.“ (S. 63) Der aktivierende Staat müsse Modernisierungsimpulse bündeln, Innovationen in die Gesellschaft tragen und sich an den Reserven und Fähigkeiten der Menschen orientieren. Leider fehlen weitere Überlegungen, wie dabei Intressen-konflikte zwischen einzelnen Teilen der Gesellschaft ausgetragen oder wie die bisher erfolgte Umverteilung von unten nach oben wirkungsvoll korrigiert werden könnte. Bedenklich stimmt, wenn Hombach bestimmte US-amerikanische Praktiken herausstellt und unterstreicht: „Die radikale Streichung von Leistungen sorgt für materiellen Leidensdruck, der wiederum die Arbeitsaufnahme beschleunigen soll.“ Eine Logik, die er „soziale Unsicherheit als Entwicklungsmotor nennt“. (S.181)

Bedenkenswert, nicht nur für die SPD, ist, was Hombach in seinem Kapitel über die Zukunft der Parteien schreibt. Sicher wird der Satz: „Wer zu hundert Prozent hinter jedem Beschluß und zur Parteiprogrammatik in jedem Nebensachverhalt steht, ist ein Fall für die Therapie“ (S.97), in seiner eigenen Partei Staub aufwirbeln. Aber Hombach hat wohl recht, wenn er meint, daß die Bürger ihre politischen Präferenzen an ihren konkreten Erfahrungen im beruflichen und wirtschaftlichen Bereich, am Verhältnis zwischen den Generationen sowie an Erfahrungen im Privat- und Freizeitleben orientieren, und daraus den Schluß zieht: „Wer es schafft, Visionen mit radikal pragmatischen Konzepten zu verbinden, und konkrete, spürbare Verbesserungen durchsetzt, hat Erfolg.“ (S.105) Ausführlich beschäftigt sich Hombach mit der Aufgabe, Wirtschaft und Wissenschaft näher zusammenzubringen. Er beleuchtet kritisch, daß „keine Industrienation im Staatshaushalt weniger für Bildung ausgibt als Deutschland“ (S.165), und fordert, „jedem Jugendlichen, der einen Ausbildungsplatz will, auch einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen“ (S.162). Die Hochschulen brauchten „sehr viel mehr Wettbewerb“, sollten sich „stärker spezialisieren und profilieren“. Dazu müsse ihre Entscheidungskompetenz, auch in finanziellen Fragen, gestärkt und die Bezahlung der Hochschullehrer leistungsabhängig gestaltet werden. (S.161) In einem abschließenden Kapitel wendet sich Hombach gegen die „Denkblockaden in der Alterssicherung“ und setzt sich für ein dreistufiges Rentenmodell ein, das aus einer beitragsfinanzierten „Garantierente“, einer tarifvertraglich zu vereinbarenden Betriebsrente und der Eigenvorsorge zum Beispiel durch eine Kapitallebensversicherung oder auch durch die Teilhabe am Produktivvermögen bestehen könnte. Wobei er einräumen muß: „Voraussetzung wäre allerdings neben der Bereitschaft der Tarifpartner erst einmal ein durchgreifender Reformimpuls der Sozialpolitik, um den Menschen Luft für die Vorsorge zu verschaffen.“ (S.216)

Bleibt die Frage: Was ist nun eigentlich die „Neue Mitte“? Eine klare Definition gibt Hombach nicht. Er spricht von einer Politik „jenseits von Marktliberalismus und etatistischem Wohlfahrtsstaat“ (S.25), von einem „neuen Gesellschaftsvertrag, der eine „Synthese von Ökono mie und Arbeitsmarkt“ (S.27) bringen soll. Er beruft sich auf Ludwig Erhard, der der Parole „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ sein „Wohlstand für alle“ entgegengesetzt habe. Das werde die „Brücke sein, die liberale Prinzipien und die Grundwerte der Sozialdemokratie zu einer vernünftigen und durchschlagkräftigen Synthese verbindet“. (S.54) Man darf gespannt sein, was daraus wird. Wo es eine Mitte gibt, gibt es auch ein Oben und Unten. Um Interessengegensätze wird man sich nicht herummogeln können. Wird man nicht auch daran denken müssen, Reichtum zu beschränken, um Armut zu bekämpfen?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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