Eine Rezension von Helmut Caspar


Holocaust-Mahnmal im Widerstreit

Michael S. Cullen (Hrsg.): Das Holocaust-Mahnmal - Dokumentation einer Debatte

Pendo Verlag, Zürich 1998, 296 S.

 

Die Debatte um das Berliner Holocaust-Mahnmal ist in die Jahre gekommen. Dicke Leitzordner füllen die zu Tausenden in den Feuilletons veröffentlichten Beiträge. Michael S. Cullen, ausgewiesener Architektur-Historiker und Spiritus rector von Christos Aktion „Verhüllter Reichstag“, hat aus der überbordenden Menge der veröffentlichten Meinungen32Beiträge gewählt und präsentiert sie in dem Sammelband mit der ersten und der zweiten Wettbewerbsausschreibung sowie einer Chronik, die noch einmal den Verlauf des bisher ergebnislos verlaufenen Projekts rekapituliert. 1983/84, noch zu Zeiten der Teilung Berlins, war das Thema mit ersten Ideen für die Umgestaltung des ehemaligen Gestapo-, SD- und SS-Geländes an der Prinz-Albrecht-Straße, der heutigen „Topographie des Terrors“, ins Gespräch gekommen. Ein Areal, das noch heute von vielen Befürwortern des Denkmals für die ermordeten Juden als besser geeignet angesehen wird als der riesige Platz am Brandenburger Tor, der den Initiatoren vom damaligen Bundeskanzler Kohl in generöser Geste angeboten wurde, auf daß er gefüllt werde.

Daß die Wettbewerbsentwürfe oder wenigstens eine Auswahl in dem Buch nicht abgebildet werden und vom Leser nur aus Beschreibungen der Berichterstatter erschlossen werden müssen, erweist sich als großes Manko. Der Verlag gibt Termin-, Kosten- und Organisationsprobleme für den Verzicht an. Cullen verweist auf kommende Veröffentlichungen, aus denen man dann auch im Bild ersehen kann, welche Ideen eingeliefert wurden und welche, obwohl geeigneter, nie in die nähere Betrachtung der Juroren kamen. Einzige Illustrationen des Taschenbuchs sind Übersichtskarten mit den Denkmalstandorten im Bereich der „Ministergärten“ und an anderen Stellen der Berliner Innenstadt.

Man nimmt es dem Herausgeber gern ab, daß er bedeutend mehr Autoren noch einmal das Wort gegeben hätte. Ihm lag aber daran, die wichtigsten Standpunkte nicht zuletzt auch für die erst jetzt erstmals in die Diskussion einbezogenen „Entscheidungsträger“, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, in einem handlichen und erschwinglichen Band verfügbar zu machen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verweist denn auch im Vorwort auf die Verantwortung der Volksvertretung für das geplante Holocaust-Mahnmal und verspricht, daß die Debatte nicht „isoliert“ geführt werden soll. Die öffentliche Kontroverse sei bereits ein wichtiger Teil intellektuell-moralischer Erinnerungsarbeit.

Deutlich wird in den Beiträgen der Wunsch, authentische Plätze wie die „Topographie des Terrors“, die Villa der „Wannseekonferenz“ und die Gedenkstätten auf dem Gelände der ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen und Ravensbrück sowie die mit der Darstellung des Schicksals der Juden befaßten Museen und Forschungseinrichtungen besser mit Mitteln und Personal auszustatten als eine monströse „Kranzabwurfstelle“ für durchreisende Staatsgäste zu schaf fen, ob sie nun aus einer mit Millionen Namen beschrifteten Grabplatte (die eher in die christliche Ikonographie paßt) oder einem Wald aus Betonstelen besteht.

Dem in dem Buch aus Zeitgründen nicht mehr berücksichtigten neuen Vorschlag des Architekten Peter Eiserman bescheinigte der Herausgeber übrigens bei der Buch-Präsentation den Charme von „Lego-Blöcken“. Cullen hält es für ausgeschlossen, daß diese vom Kulturstaatsminister Michael Naumann (und sonst kaum noch einem!) unterstütze Idee verwirklicht wird, und hält es außerdem für fraglich, daß er und die Urheberin des Denkmalplans, Lea Rosh, Bau und Fertigstellung überhaupt erleben werden.

Viele der in dem Buch veröffentlichten Beiträge zweifeln an der Fähigkeit von Künstlern und Architekten, dem millionenfachen Mord mit gestalterischen Mitteln beizukommen. Die pessimistische Grundhaltung gipfelt in der Forderung des Jury-Vorsitzenden Walter Jens, sich auf das „Kleine und demütig Bescheidene“ zu verständigen und von dem „makabren Reichsopferfeld“ Abstand zu nehmen, oder, wie György Konrád schreibt, statt des bisher präsentierten „gnadenlosen oder didaktischen Kitsches“ ein „flüsterndes“ Denkmal, einen Garten des Spiels und der Besinnung, einen Garten der Freuden zum Gedenken an jene Kinder und ihre Eltern anzulegen, die im Gas ums Leben kamen. In diesem Park sollte „irgendwo“ ein Schild angebracht werden, daß es sich hierbei um ein Geschenk der vernichteten Juden an die Berliner handelt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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