Eine Rezension von Friedrich Kleinhempel


Das neueste Kirchen-ABC

Hans-Joachim Beeskow: Führer durch die evangelischen Kirchen des Kirchenkreises Lübben.

Heimat-Verlag Lübben, Lübben 1998, 264 S.

 

Zuerst und am meisten bestechen die Color-Fotografien: ausnehmend schöne, herzhaft-farbige, aber ruhige Bilder der zumeist alten Dorf- und Stadtkirchen in niederlausitz-spreewäldischer Landschaft. Man wähnt sich beim Betrachten, als ob man selbst über die niedrige Kirchhofsmauer, die hölzerne Latteneinfriedung oder den umgebenden Anger schaue, als schweife wirklich der Blick durch herbstliches Strauchgezweig oder sommerliches Baumlaub oder über Grabmale hin auf malerischen Kirchenbau. Der Autor des sehr hübschen, handlichen, für die Tasche kleinen Buches erweist sich hier als wahrer Meister der Fotokunst mit dem sicheren Blick für das Anmutige dieser überwiegend volkstümlichen, teils jahrhundertealten Architektur hiesiger evangelischer Kirchen. Er erinnert (S. 6) an Bischof Albrecht Schönherrs Worte von 1975: „Brandenburgische Dorfkirchen zählen nicht zu den weltbekannten Kostbarkeiten kirchlicher Kunst. Aber wer ein Auge hat für die Stille eines märkischen Waldsees, für die spröde Schönheit eines Feldweges, wer die Verhaltenheit des Wanderers durch die Mark, Theodor Fontane, liebt, für den können die Dorfkirchen unseres meist kargen Landes neben den Domen von Brandenburg und Havelberg, den Klosterkirchen Lehnin und Chorin, neben St. Marien in Prenzlau und St. Katharinen in Brandenburg wohl bestehen. Man muß sich nur ein wenig Zeit gönnen, der Geradheit der Fugen zwischen den sorgfältig geschichteten Feldsteinmauern der ältesten Kirchen mit den Augen nachzugehen, die Proportionen der Ziegelflächen, die Buntheit des Fachwerks und die Wucht der Westtürme auf sich wirken zu lassen ... Wer sich die Zeit nimmt einzutreten, der entdeckt bei vielen dieser alten und neueren Gemäuer, daß auch heute noch eine Gemeinde ihre Kirche mit Liebe pflegt und zum Festraum des Dorfes gestaltet hat. Die Gemeinde sieht sich durch ihre Kirche mit ihrer eigenen Vergangenheit lebendig verbunden ... Darum haben die Väter ihre Kirchen als das schönste und größte Haus des Dorfes gebaut ...“

Hans-Joachim Beeskow, Theologe und ausgewiesener Kirchenkunsthistoriker, hat speziell für den vorliegenden alphabetischen Kirchenführer über Monate hin sämtliche 89 evangelischen Kirchen des seit kurzem vergrößerten Kirchenkreises Lübben aufgesucht, hat recherchiert, fotografiert und dokumentiert, gefragt und geforscht - auch wirtschaftliche und soziale Verhältnisse erkundet und mit vielen Menschen geredet, natürlich auch mit den Pfarrerinnen und Pfarrern. Nach wie vor stehen deren Kirchen „mitten im Dorf“ - in den Landschaften der Wälder, Felder, Wiesen und Seen, zwischen Braunkohlentagebau-Kratern - und in den nicht nur ansehnlichen Städten des Kirchenkreises. Eine große Zahl der Gemeinde-Glieder kommt heute als Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger in ihre Kirchen, an manche Jungen erinnern Holzkreuze neben den dicht und schnell befahrenen Chausseen.

Nach einem Geleitwort des Superintendenten Christoph Kindler (S. 5) und einer Einführung (S. 6/7) stellt der Verfasser die evangelischen Kirchen des Kirchenkreises von A bis Z auf 250 Seiten vor: von Altdöbern ganz im Süden des Kreises am Lausitzer Höhenrücken bis Zützen an der alten Fernverkehrsstraße 96 zum Niederen Fläming hin. Die Liste der 89Kirchen (S. 8), eine Übersichtskarte (S. 9) und Literaturhinweise (S. 262) machen das Büchlein recht praktikabel.

Der Kirchenkreis dehnt sich östlich aus bis Mochow und Zaue, nach Süden bis Bronkow und Pritzen, im Westen bis Mahlsdorf und Altgolßen, nördlich bis Pretschen und Neu Schadow, darin die Städte Calau, Luckau, Lübben, Lübbenau, Vetschau. Jede der Kirchen ist im Buch mit einem Farbfoto aus eindrucksvoller Perspektive und durch Schwarzweißaufnahmen mit Blick auf Details im Inneren dokumentiert. Hinzu fügt der Autor jeweils Notizen „Zur Baugeschichte“ und „Zur Ausstattung“ in knapp gehaltenem Text in einfacher Sprache.

Die Entstehung der vorgestellten Kirchen geht historisch teils zurück bis in die romanische Baustilzeit (Beispiel: die kleine, behäbig wirkende Feldsteinkirche zu Riedebeck, Errichtung ab 1192, S. 192) und reicht bis zum Jugendstil am Anfang unseres Jahrhunderts (wie die schmucke Kapelle zu Falkenberg, Einweihung 1914, S. 53) und bis 1939, als in Neu Lübbenau die jüngste der Kirchen eingeweiht worden war - mit ihrem originellen Dach in der Form eines kieloben liegenden Bootes. - Nach mannigfaltigen zeit-, witterungs- und kriegsbedingten Schäden an vielen der Gotteshäuser waren immer wieder Reparaturen und Erneuerungen vorzunehmen gewesen, auch Erweiterungsbauten und neue Ausschmückungen. Die erhaltenen Werke weitgehend unbekannter Baumeister und Schmuckkünstler der Kirchen zeugen noch heute von beachtlichen Fähigkeiten und Talenten brandenburgischer Handwerker. Viele Kirchenbauschöpfer sind dennoch urkundlich belegt, zum Beispiel die der neogotischen Backsteinkirche in Freiwalde von 1871 (S. 59): Die Entwürfe stammen vom Luckauer Maurermeister Degner, der mit seinen Gesellen auch den Bau ausführte. Mit den Zimmermannsarbeiten beteiligte sich der Luckauer Zimmermeister Richter samt seiner Gesellen. Für das Dach war der Golßener Zieglermeister Stuk mit seinen Ziegeldeckern verantwortlich. Orgelbaumeister Glietsch aus Luckau schuf die Orgel.

Doch auch Baukünstler von außerhalb und solche von höchster Reputation hinterließen hier ihre Werke, beispielsweise kein Geringerer als der Königlich-Preußische Geheime Oberbaurat Karl Friedrich Schinkel zu Berlin, nach dessen Originalplänen 1828 bis 1832 die 1700 Personen fassende Kirche in Straupitz (S. 211) errichtet wurde. Der hochaufstrebende typische Schinkelbau beherbergt unter anderem Gemälde der bedeutenden Dresdener Maler Johann Friedrich Matthäi und Johann Carl Baehr aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Bescheidene Dorfkirchlein und bedeutendere Stadtkirchen weisen originelle Baustrukturen und künstlerisch einzigartigen Schmuck auf. Die Kirche zu Cahnsdorf beispielsweise (S.34), die vom Anfang des 14. Jahrhunderts stammt, besitzt aus dem 15. Jahrhundert faszinierend künstlerisch gemauerte Sternennetzgewölbe über ihrem Chorraum. Kirchtürme - dieses wichtige, sprichwörtliche äußere Kirchen-Merkmal - werden in ihrer Vielfalt dargestellt: von archaischem Feldsteinbau (z. B. Gießmannsdorf, 14. Jahrhundert, S. 67) über Granitquadermauern von mitunter beträchtlichen Ausmaßen (z. B. der mächtige Unterbau der Westtürme der Nikolai-und-Marien-Kirche in Luckau von 1291, S. 147), Holzfachwerk (z. B. in Duben, 17. Jahrhundert, S. 48), unverputzte und verputzte Backsteinwände (z. B. Neu Schadow, 1856, S. 164, bzw. Golßen, 1820, S. 71) bis zum vornehmen, eigentlich turmlosen neogotischen Klinkerbau (Kapelle in Buchwäldchen, 1896 aus Buchwäldchener Klinkersteinen erbaut, S. 27). Teils detailliert beschrieben werden in den Kapiteln auch Turmdächer, Turmlaternen und Turmspitzen, ferner Glockenstühle und Glocken, Portale, Säulen und Kapitelle, Mittel- und Seitenschiffe, Deckengewölbe, Apsisbögen, Sakramentsnischen, Fenster, Bleiverglasungen, Wand- und Glasmalereien, Gemälde, Grabmale und Inschriften, Kriegerdenkmale, Metallgitter, Orgelprospekte, Orgeln, Pfarrstühle, Kanzeln, Lesepulte, Emporen, Gestühl und Gestühlslauben, Leuchter, Wandteppiche, Kreuze, Kreuzigungsskulpturen, Engelsfiguren und andere sakrale Gegenstände. Altäre zeigen vielgestaltige Formen und Bemalungen (wie der Pracht-Altaraufsatz mit Weinlaubsäulen und Akanthusornamenten vom Beginn des 18. Jahrhunderts in Waldow/Brand, S. 230). Taufbecken ruhen auf den unterschiedlichsten Säulen aus Holz oder Sandstein. Die Taufe der Kirche zu Laasow wurde im 16. Jahrhundert aus Backsteinen künstlerisch fein gemauert (S.125).

Neben der attraktiven Schinkelschen Kirche in Straupitz (S. 211) und der historisch und gemeindepolitisch einzigartigen Wendisch-Deutschen Doppelkirche zu Vetschau (S. 222), die beide ausführlicher vorgestellt sind, widmet H.-J. Beeskow größeren Raum der Paul-Gerhardt-Kirche in Lübben (S. 130). Diese große, dreischiffige, spätgotische Pfarrkirche (erst 1930 von St. Nikolai in Paul-Gerhardt-Kirche umbenannt - nach dem berühmten Pfarrer und Liederdichter, der nach seinen letzten Wirkungsjahren hier 1676 gestorben war) ist nach Kriegsbeschädigung bis 1988 wiederaufgebaut worden. 1994 hatte sie im südlichen Turmraum eine moderne Gedenkstätte für die Opfer von Krieg, Gewalt und Terror bekommen. Auf dem Kirchenvorplatz steht seit 1907 als Bronzeplastik auf hohem Kalksteinsockel das Paul-Gerhardt-Denkmal des Berliner Bildhauers Friedrich Pfannschmidt. Es wurde nach umfassender Restaurierung am 12. April 1998 feierlich wiedereingeweiht.

Unvergleichlich vieles hat der Buchautor zusammengetragen und das bunte Mosaik des Lübbener Kirchenführers geschaffen. Auf Vollständigkeit war er allerdings nicht bedacht, wie er mitteilt (S. 7). Es bleibt darum genügend Raum für Phantasie, um sich selbst auf Entdeckungsreise in den Kirchenkreis zu begeben. Der Kirchenführer soll dazu als Einladung verstanden werden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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