Eine Rezension von Helmut Eikermann


Die immerwährende Lüge

Hadassa Ben-Itto: „Die Protokolle der Weisen von Zion“

Anatomie einer Fälschung.
Aus dem Englischen von Helmut Ettinger und Juliane Lochner.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 420 S.

 

Vor einigen Jahren überraschte mich ein in Riga lebender Freund - der in Baku geboren, tatarisch-ukrainischer Herkunft und mit einer Jüdin verheiratet ist und in Lettland als unerwünschter Russe gilt - mit der Mitteilung, man gebe in den Nachfolge-Staaten der einstigen Sowjetunion alle Schuld an der gegenwärtigen Misere den Juden und den „mason“. Das Wörterbuch klärte mich darüber auf, daß damit die Freimaurer gemeint waren, von denen meinem Freund in seinem über fünfzigjährigen Leben in vielen Teilen der UdSSR allerdings nie ein einziger begegnet war.

Die Unsinnigkeit dieser Schuldzuweisung fiel mir wieder ein, als ich die ersten Seiten in Hadassa Ben-Ittos Buch las, das einer auch in Deutschland hinreichend bekannten Fälschung gewidmet ist, aus der jene leicht durchschaubare Lüge von der Schuld der Juden und der Freimaurer resultiert. Die aus Polen stammende Autorin, jahrzehntelang Richterin am Bezirksgericht von Tel Aviv, hat in sechs Jahren in aller Welt das Material für ihr Buch zusammengetragen, das bisher offensichtlich nur in der deutschsprachigen Fassung vorliegt. Im Verlauf ihres Lebens kam Ben-Itto immer wieder mit den berüchtigten „Protokollen“ in Berührung, bevor sie nach deren gründlichem Studium den Entschluß faßte, die Öffentlichkeit ein weiteres Mal über die anscheinend unsterbliche Lügengeschichte von der jüdischen Weltverschwörung aufzuklären. The Lie That Wouldn’t Die lautet denn auch der Originaltitel.

Die „Protokolle“ werden in Ben-Ittos Buch nämlich keineswegs zum erstenmal als das entlarvt, was sie sind: ein antisemitisches Machwerk, pikanterweise noch dazu ein Plagiat, von der zaristischen Geheimpolizei Ochrana in Auftrag gegeben und von deren Pariser Agenten auf der Basis einer gegen Napoleon III. geschriebenen Aufklärungsschrift verfertigt. Hinzugetan haben die Fälscher neben allerlei eigenem Gift auch eine „Rede des Rabbi“, die auf ein Kapitel aus dem zwölfbändigen Roman „Biarritz“ von Sir John Retcliffe zurückgeht. Hinter diesem klingenden Pseudonym verbarg sich der schlesische Postbeamte und spätere Chefredakteur der „Kreuzzeitung“ Hermann Goedsche (1816-1878).

Die einigermaßen plumpe und in ihrer Absicht leicht zu durchschauende Fälschung wurde bereits 1921 vom Times-Korrespondenten Philip Graves und von dem amerikanischen Journalisten Herman Bernstein aufgedeckt. Bernstein war es auch, der 1927 Henry Ford zwang, die auf der Basis der Protokolle in Zeitungen und Büchern erhobenen antisemitischen Ausfälle zu widerrufen. Und dennoch: Obwohl die dubiose Herkunft der Protokolle seit fast achtzig Jahren bekannt ist, wurden sie nicht nur von den Ideologen des Nationalsozialismus für ihre verstiegenen Rassentheorien verwendet, sondern auch in aller Welt immer wieder in neuen Bearbeitungen und Auflagen verbreitet. Wie zäh sich die Lügen bis heute gehalten haben, belegt Ben-Itto mit zahlreichen Beispielen.

Entstanden um 1895, wurden die Protokolle zuerst in hektographierten Kopien in Rußland verbreitet. Der Fanatiker Sergej Nilus brachte 1905 die erste russische Buchausgabe heraus, auf der alle späteren Übersetzungen und zumeist mehr oder weniger stark bearbeiteten Ausgaben beruhen. In Deutschland erschien die erste Ausgabe 1919, übersetzt und herausgegeben von dem Berufsantisemiten Theodor Fritsch (1852-1933), der in seinem Leipziger Hammer-Verlag ausschließlich antijüdische Pamphlete publizierte, darunter nach Henry Fords Widerruf und entgegen den Anweisungen des Autors auch Fords Buch Der internationale Jude, von dem sich Hitler inspirieren ließ. Auf Fritsch beriefen sich auch die Beklagten im Berner Prozeß von 1934/35.

Mit diesem zweiten Prozeß um die Protokolle - einen ersten hatte es 1934 in Südafrika gegeben - beschäftigt sich die Juristin Hassada Ben-Itto besonders ausführlich. Sie hat die wenigen überlebenden Teilnehmer aufgesucht und die 8000 Seiten Gerichtsprotokolle gründlich ausgewertet. Die Kapitel über den Prozeß, der zwar mit der eindeutigen Brandmarkung der Protokolle als Fälschung, jedoch in der zweiten Instanz mit einem windelweichen juristischen Hakenschlag endete, nehmen den Hauptteil des Buches ein, dessen sympathischer Held der junge Berner Rechtsanwalt Georges Brunschvig ist.

Leider hat sich Hadassa Ben-Itton weder zu einem echten Roman noch zu einem reinen Sachbuch entschließen können, und so beeinträchtigen die erzählenden Einschübe über das Handeln und die Gedanken realer Personen die Qualität unnötig. „Mit einer gewissen inneren Erregung begab sich Ratschkowski auf den Spaziergang mit dem Baron in den lichtdurchfluteten Straßen von Paris“, heißt es beispielsweise auf Seite 245. Der literarische Erzählton gehört offensichtlich nicht zu den Stärken der Autorin und scheint dem Stoff und der Stoffülle kaum angemessen. Das Buch ist immer da am stärksten, wo Fakten zitiert und erläutert werden, obwohl Übersetzer und Lektorat wenig dazu getan haben, falsche Personenbezüge zu korrigieren oder den Text exakt zu formulieren: „Andere Fälschungen wurden entlarvt und verschwanden, aber ausgerechnet Die Protokolle der Weisen von Zion blieben hartnäckig bestehen“ (S. 52) ...

Ein weiterer Mangel besteht in der schwer zu durchschauenden Chronologie des Textes; abschweifende Darstellungen der Geschichte der Romanows und anderer russischer Würdenträger belasten die Eingangskapitel. Um den religiösen Wahn der neuerdings wieder heftig verklärten letzten Zarin zu belegen, bedarf es kaum der von Ben-Itto immer wieder zitierten bösartigen montenegrinischen Prinzessinnen und ihrer finsteren Machenschaften. Andererseits erklären die Kapitel über das zaristische Rußland und dessen geheimdienstliche Aktivitäten im In- und Ausland manche historische Entwicklung auch in der späteren Sowjetunion, wo sie - wie eingangs erwähnt - noch immer böse Nachwirkungen zeitigen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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