Eine Rezension von Hans-Rainer John


Fortsetzung folgt

Peter Zadek: My Way

Eine Autobiographie 1926-1969.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, 608 S.

 

My Way? Ja, das hat Zadek gemeinsam mit Harald Juhnke: die Liebe zu Franky Boy und die Meinung, „Strangers in the Night“ sei das größte. Da aber enden schon die Gemeinsamkeiten. Zadek hat es mitunter erreicht, daß sich Darsteller und Zuschauer im Protest gegen seine Inszenierungen vereinten („Gerettet“ von Bond) und Dramatiker sich erzürnten, weil sie ihre Stücke nicht wiedererkannten (Genet, der Autor von „Der Balkon“, fiel gar mit dem Revolver über Zadek her). Zadek war lange das Enfant terrible des deutschen Regietheaters. An Othello, erinnere ich mich, interessierte ihn eben nicht die Lauterkeit und menschliche Größe, durch die er Desdemona gewann, oder das strategische Genie, das ihn Venedig unentbehrlich machte. Othello sah Zadek nur als King Kong. Und die Intrige zettelte Jago quasi aus Spieltrieb an, und er präsentierte sie so attraktiv über die Rampe hinweg, daß der Zuschauer zum lüsternen Komplizen seines Experimentes wurde. Da gab es Elemente des Comic strips (die schwarze Schminkfarbe Othellos drückte sich auf Desdemonas nackten Leib und ihren Bikini ab; Cassio wurde ein Bein abgeschlagen, und als er mit blutendem Stumpf schreiend abgeschleppt wurde, prügelten sich Emilie und Bianca mit dem abgehauenen Teil; Blut floß aus vielen Schweinsblasen, als Desdemona viehisch abgeschlachtet wurde). Vulgärsprachliche Ausdrücke wurden eingefügt („Scheiße“, fluchte Desdemona, als sie den Verlust des Taschentuchs bemerkte), und vieles wirkte wie eine Parodie. Rodrigo trug Pappnase, Cassio lispelte, der Herold des Dogen kam als kleiner alter Bürobote mit Fahrrad und Aktentasche daher und Lodovico mit Pelzmantel und Diplomatenkoffer, man trug Sonnenbrillen und Fotoapparate - lauter komische, beschränkte Menschen. Ironisch gebrochenes, anarchisches Volkstheater - das war 1976 in einem sehr klassikbewußten Deutschland eine offene Rebellion. Das Publikum grölte und schimpfte.

Aber Zadek hat viele Gesichter. Thomas Valentins Roman Die Unberatenen zum Beispiel hatte er 1965 sehr sensibel und streng realistisch auf die Bühne gehoben und bei Tschechow, Ibsen und Strindberg hat er bewiesen, daß er sich auch einem Text unterordnen kann. Später war die deutsche Bühne inzwischen einerseits ohnehin vieles gewohnt und der Zuschauer toleranter geworden, andererseits hat Zadek auch seine Mittel sublimiert, seinen Protest besser integriert. Das Publikum war fast immer von ihm angezogen, aber jetzt wuchsen Zustimmung und Begeisterung. Falladas Jeder stirbt für sich allein (1981) und Sobols Ghetto (1984) gehörten auch für mich zu den spannendsten Theaterereignissen, und auch die jüngste Zadek-Periode am Berliner Ensemble (u. a. „Das Wunder von Mailand“ 1993 und „Antonius und Cleopatra“ 1994) blieb frei von Skandalen. Schauspieler wie Ulrich Wildgruber, Eva Mattes, Angela Winkler, Edith Clever, Ilse Ritter, Hannelore Hoger, Rosel Zech, Gert Voss, Ignaz Kirchner und Hans Mahnke bekannten sich zu Zadek und wirkten immer wieder in seinen Inszenierungen, die Abenteuern gleichkommen, mit: „Wenn Leute meinen, bei mir einen Stil zu erkennen, dann frage ich mich, was ich falsch gemacht habe.“ (Zadek)

Jetzt liegt also der erste Teil seiner Memoiren vor, und man erfährt, daß er 1926 in einer gutbürgerlichen, unorthodox jüdischen Berliner Familie zur Welt gekommen ist. Es gab mehrere Hausangestellte und ein bißchen hochnäsigen Standesdünkel, auf die Ostjuden blickte man herab. Angesichts des Faschismus emigrierte die Familie 1933 nach London, der Bomben wegen zog man während des Krieges dann nach Oxford. Dem Schulbesuch folgte Zadeks Versuch des Studiums und einer Lehrertätigkeit, die Begegnung mit dem Amateurtheater führte aber zum Entschluß, Regisseur zu werden. Die Ausbildung zu diesem Beruf muß erstaunlich intensiv und vielseitig gewesen sein, sie umfaßte sowohl Sprechen und Spielen, Tanzen und Singen als auch Pantomime, Beherrschen eines Musikinstruments, Grundrißzeichnen und Modellbau.

Mit 21 Jahren stellte Zadek seine erste Inszenierung in London vor: Salome von Oscar Wilde. Es folgten zehnjährige Bemühungen, im englischen Theaterleben Fuß zu fassen, die nie recht gelangen. Um etwas zu lernen, ging er auf Ochsentour in die Provinz. In Swansea und Pontypridd hatte er jede Woche eine Inszenierung herauszubringen. Nach London zurückgekehrt, hatte er bei Rundfunk, Fernsehen und Film zu tun, inszenierte er in Fringe-Theatern, aber das Zentrum blieb ihm verwehrt.

Da erreichte ihn 1958 eine Einladung aus Köln. Er ist nun 32 Jahre alt, die deutschen Theater sind technisch und personell weit besser ausgestattet, es gibt mehr Probenzeit, und das schlechte Gewissen der Deutschen den Juden gegenüber läßt sie auch Zadek höflicher und duldsamer begegnen. Als er „Kaufmann von Venedig“ inszeniert, wird ihm Antisemitismus vorgeworfen, weil er sich weigert, Shylock „zu veredeln“. Zadek, dem Philosemitismus unerträglich ist, erwidert: „Solange die Deutschen nicht die schlechten Seiten von Juden aussprechen, haben sie nicht begonnen, sich mit ihrem Antisemitismus auseinanderzusetzen.“ Er trifft auf den Intendanten Kurt Hübner und geht mit dem für drei Jahre nach Ulm und anschließend für fünf Jahre nach Bremen. Von dort sorgt er für Aufsehen in ganz Deutschland („Bremer Stil“). Die weiteren Stationen - Bochum, Hamburg, Berlin, Wien - sollen in einem zweiten Band behandelt werden.

Die Bühnenkunst ist eine flüchtige, deshalb gilt hier besonders: Wer schreibt, der bleibt. Die Zeit von Barnay und Winterstein, die selbst zur Feder gegriffen haben, ist vorbei. Heute besorgt man sich den Mitautor für die Schreibarbeit, Harald Juhnke, Kurt Böwe und Rolf Ludwig sind so verfahren. Zadek dagegen vertraute sich dem Tonband an und redigierte lediglich den gesprochenen Text, im Bemühen allerdings, den lockeren Plauderton zu bewahren. Bei dieser Methode ist die Auswahl des Mitgeteilten sicher weniger streng (man referiert alles, was im Gedächtnis gespeichert ist), und der Text gerät improvisiert und unliterarisch. Anfangs stört es, dann gewöhnt man sich daran. Es gibt viele Fotos, an den Text angefügt sind 88 Seiten „Materialien“, ein Verzeichnis der Insenierungen (28 Seiten), ein Register (21 Seiten).

Es gibt vieles, was mir an dem Buch gefällt. Erstens, daß der Verfasser sich nicht beweihräuchert (Selbstlob oder Rechtfertigung hat er nicht nötig), daß er kritisch mit sich selbst umgeht und Niederlagen eingesteht. Daß er das Buch nicht nutzt, um mit Widersachern abzurechnen. Natürlich sieht man, daß die ihn begleitenden Frauen nach Zeitwert, die Mitarbeiter nach Nützlichkeit geschätzt werden, aber es gibt viele gute Worte und kaum abfällige Bemerkungen. Zweitens, daß er seine unpolitische Haltung so ungeschminkt offenbart: Hitler, der Krieg, die zornigen jungen Männer in England, die 68er Bewegung in Deutschland, die deutsche Einheit - „Nicht mein Problem“. Zadek umreißt seine Stellung als Individualist („Ich gehöre nirgends richtig dazu“), als andauernder Emigrant mit der Sehnsucht nach einem Zentrum, einer Heimat, aber am besten und liebsten lebe er doch in exklusiven Hotels, wenn auch manchmal introvertiert und deprimiert. Aus seinem „chaotischen Weltbild“ (wie er es selbst nennt) leitet er sein Antiheldenkonzept ab: Drittens, daß er seine Kunstauffassung und seine Arbeitsmethoden so ausführlich darstellt, daß sie einsichtig werden. Da ist seine Sehnsucht nach kindhafter spielerisch-naiver Kunst, seine Furcht vor einem naturalistischen Abklatsch des Lebens, seine Sicht auf Theater als Form des (Lebens-)Spiels. Daß Theater zu Erkenntnissen führt, ist ihm relativ uninteressant. Für ihn steht der Vorgang des Spiels an sich, der Freude macht, im Mittelpunkt - und der Vorgang ist interessanter als das Resultat. Das erklärt Zadeks herzliches Desinteresse am gesellschaftlichen Koordinatensytem der Stücke, am gesellschaftlichen Kontex. So konnten die Berliner Studenten 1968 bei „Gerettet“ seinen Verzicht kritisieren, das Milieu, in dem die Personen des Stückes leben und durch das ihre Handlungen erklärbar werden, sichtbar zu machen. (Dadurch sei die Situation, in der sich alle befinden, als eine abstrus exotische vorgestellt worden). Daß Zadek Elemente der Pop-art und des Comic strip einbezieht, daß er Trivialstücke, Revuen und Musicals nicht verschmäht, steht seiner kammerspielartig konzentrierten und komplizierten Arbeit mit dem Schauspieler nicht entgegen.

Einen Mangel kann ich auch in der absoluten Subjektivität nicht sehen. Memoiren funktio-nieren nun mal nicht anders. Natürlich findet er warme Worte für Fassbinder, Bob Wilson und Jérôme Savary, Regisseure, denen er sich verbunden fühlt, und natürlich führt von ihm kein Weg zu Peter Stein, Claus Peymann, Jürgen Flimm, Dieter Dorn oder Thomas Langhoff, die er als Antipoden erachtet. Aber im ganzen hält er sich nobel zurück, merkt nur bei Flimm etwas süffisant an, der liefere mit seinem Theater lediglich einen gemütlichen Service-Betrieb, und Peymann lobt er erst mal als glänzenden Intendanten, ehe er ihm die Fähigkeiten eines Regisseurs gänzlich abspricht (dabei wird eine objektive Theatergeschichtsschreibung sicher Peymanns „Käthchen von Heilbronn“ und „Hermannsschlacht“ über Zadeks „Lear“ und „Othello“ stellen). Und natürlich werden nicht wenige Situationen, Begegnungen und Gespräche durch die persönliche Brille gesehen und vielleicht mitunter durch die Erinnerung getrübt geschildert (die Verhandlungen auf Seite 409, an denen ich teilnahm, habe ich ganz anders im Gedächtnis). Aber wie sollte es auch anders sein...

Was stört? Es ist ein Buch für Insider geworden. Die Fülle von Namen, Titeln, Inszenierungen erdrücken jeden Leser, der nicht zumindest einen Teil davon kennt. Da werden Leute oft nur mit ein, zwei Adjektiven charakterisiert, natürlich verschwimmen sie in ihrer Vielzahl, und Inszenierungen zu beschreiben ist eben Zadeks Stärke nicht. Er teilt wohl Urteile mit, bleibt aber oft Beweise, Schilderungen, Begründungen, Argumente schuldig. Zefirellis „Romeo und Julia“-Inszenierung und Brechts „Mutter Courage“ werden als epochal und folgenreich für das englische Theater und für Zadek selbst apostrophiert - aber worin lag deren Bedeutung? Da bleibt Zadek undeutlich und allgemein („intelligentes Theater“, „große Wirkung“, „gute Schauspieler“). Der Skandal von „Gerettet“ in der Freien Volksbühne Berlin wird weniger durch Zadeks Schilderung, als vielmehr erst durch die im Anhang nachgedruckten Dokumente erklärlich und begreifbar. Mancher Künstler ist sich selbst eben nicht der beste Interpret.

Warten wir die Fortsetzung ab. Sie wird erweisen, ob die unübliche Ausdehnung auf zwei dickleibige Bände gerechtfertigt war oder Selbstüberhebung bzw. einem Mangel an Auswahl und Konzentration geschuldet ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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