Eine Rezension von Björn Berg


Abbild eines Außenseiters

Dorrit Willumsen: Bang

Aus dem Dänischen von Ursula Gunsilius.

Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998, 400 S.

 

„Sie, die Keusche und Hingebungsvolle, wird eine Rächerin, mit Augen wie matte Lampen und einem Körper, der mechanisch arbeitet ... “ Nicht, um ihren Romanhelden als fragwürdigen Schwätzer und Schwärmer anzukreiden, zitiert die dänische Autorin Dorrit Willumsen mit diesen Worten den dänischen Novellisten und Romancier Herman Bang. Bang heißt der neue Roman der Willumsen, der in Dänemark für viel Publicity sorgte. Wie einst das Leben der Hauptfigur - jenes Herman Joachim Bang. Sein Lebenslauf war so romanhaft, wie die Geschichten der Figuren von Henry James und Joseph Conrad romanhaft sind. Bangs Biographie als Biographie geschrieben, wäre vermutlich langweiliger zu lesen als der Roman Bang. Den äußeren Ablauf bedacht, gab’s soviel Aufregendes nicht in der Vita des 1857 in Dänemark geborenen Pastorensohns, der am 29. Januar 1912 im nordamerikanischen Unionsstaat Utah starb. Eines natürlichen Todes? Willumsen will sich nicht endgültig, eindeutig festlegen. Bang, der Ermordete, ist kein Thema für die Schriftstellerin. Ihr Thema ist die ständige moralische, seelische, gesellschaftliche Knebelung, der ein Mensch ausgesetzt sein kann, der sich der Öffentlichkeit aussetzt und so ausliefert. Bang ist ein exemplarisches Beispiel für einen Außenseiter, der alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und Angriffe schwer erträgt.

Eine Generation jünger als Hans Christian Andersen - und dem in manchem vergleichbar-, vertrat Bang entschiedener als der Kollege, im Leben wie in der Literatur, die Hoffnung auf Anerkennung der Homosexualität. Über die tatsächlich erreichte oder verleugnete Identität des Vielseitigen ist damit noch nichts gesagt.

Der Roman von Willumsen ist ein Roman des Rückblicks auf ein Leben. Die Rückschau beginnt in den Tagen der Amerika-Tour des Herman Bang, die eine unvollendete, ihn vollendende, Reise war. Der Roman ist die Fahrt durch die Biographie eines Mannes, der in einer Großfamilie aufwuchs, dem das Leben fortwährend nimmt, was er glaubt, für sich gewonnen zu haben. Die Eltern sind tot, bevor er zwanzig ist. Viele Geschwister verliert er früh. Von Geburt an rechtsseitig blind, ist Bang ein genauer wie absichtsvoller Beobachter. Ausgestattet mit dem Ehrgeiz, nicht nur als einzelner akzeptiert zu werden. Unter den einzelnen will er ein einziger sein. Am liebsten in sämtlichen Sparten, in denen er sich was zutraut. Wenige sind das nicht. Bang sieht sich als Schriftsteller, Journalist, Schauspieler, Regisseur. Erfolgreich ist er. Dann und wann, mehr oder weniger, in dem einen wie anderen Ressort. Nicht selten ist er gleichzeitig Journalist, Schauspieler, Regisseur und Erzähler. Mit Anfang Zwanzig ist der Publizist Bang bereits eine dänische Berühmtheit. Also ist doch etwas geworden aus dem Pummelchen, dem Schreihals, der Heulsuse, dem Muttersöhnchen? Aus dem Abergläubischen, Gottlosen, Kränkelnden, Weinerlichen, der des öfteren in Ohnmacht sinkt? Was ist geworden? Eine Skandalnudel? Ein unterbelichtetes Abbild des Dorian Gray? Herman Bang war ein Dalí, ein Warhol des 19. Jahrhunderts. Er war ein effektvoller künstlerischer Spieler und einnehmend spielerisch im Künstlerischen. Bang glaubte ein „geborener Schauspieler und Regisseur“ zu sein. Einer, der am besten sich selbst spielte und inszenierte? Selbstkritisch genug, nannte sich Bang ein Talent, ein Genie. Er sagte von sich: „Es ist gut, Dichter zu sein. Es ist notwendig, unglücklich zu sein.“

Derart einsichtiger Aussage kann sich die Autorin nicht entziehen. Sie kann von Bang behaupten: „Er weiß, daß er zu Leid und Ruhm geboren wurde.“ Und: „Er ist der ewige Zweite.“

Sich so über eine Roman-Figur auszulassen ist an sich nicht Sache des Schreibers. Das ergibt sich daraus, daß die federführende Hand von Willumsen immer auch eine Hand ist, die nachschreibt, was die Hauptfigur notiert hat. Die Hauptroute durch Bangs Biographie erfolgt auf dem Schienenstrang, den er mit seinen Briefen auf den Strecken von Kopenhagen durch Skandinavien, über Berlin, Wien, Prag, Petersburg bis Paris und Amerika legte. Dorrit Willumsen erfindet keinen Herman Bang. Sie hat Herman Bang in seinen Briefen gefunden. Einen Vielseitigen, der es gut verstand, sich zu verzetteln. Einen Unsicheren, der sich seiner sicher sein wollte. Einen Patrioten, der sich immer unpatriotisch verhielt. Der Verzettelte versuchte, gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten zu tanzen. Der Sichere widersetzte sich oft seiner natürlichen Homosexualität. Der unpatriotische Patriot mußte feststellen: „Dänemark war zu einem Schmerz geworden.“ Jenes Dänemark, das er mit seinen Künsten hatte glücklich machen wollen. Jenes Dänemark, das ihn unglücklich machte, als es ihn - im Stil eines Oscar-Wilde-Prozesses - der Widernatürlichkeit anklagte. Liebe zum Künstlerischen, zum Land, zum Mann bestimmten und beherrschten Herman Bang.

Wie diese Lieben das Leben des Schriftstellers möglich und unmöglich machten, erzählt Willumsen in ihrem Roman über den Erzähler.

Die Homosexualität ist der Hauch, die Beziehung zum Land die Brise, die Kraft des Künstlers der Sturm im Roman.

Die heutige Autorin kann die Mannesliebe gelassen gelten lassen, über die der 36jährige stöhnte: „Wenn Du wüßtest, was das heißt, diesen Fluch durchs Leben zu schleppen.“ Knapp zwei Jahrzehnte später, bevor Bang sich zur letzten Reise einschiffte, schreibt der Bekennende in sein Testament: „... falls ein Dichter homosexuell ist, übt er seine Kunst unter außergewöhnlichen Bedingungen aus.“ Das Außergewöhnliche hat das gewöhnliche Leben des Herman Bang ungewöhnlich gemacht. Die Autorin muß nichts hinzufügen, nichts aufbauschen, nichts manipulieren. Sie stellt dem Leser einen Menschen vor, der ihm wichtig und unwichtig, vertraut und fremd, liebenswert und lächerlich, nah und fern sein wird. Willumsen begeistert nicht für seine begeisternde Biographie. Das Beachtliche wie Bedenkliche, das Belangvolle wie Belanglose sind stets dicht beieinander. Oft fällt’s nicht leicht, das eine vom anderen zu trennen. Vom Bild eines Vorbildes ist nicht zu sprechen. Nicht vom normalen Leben eines Unnormalen, vom unnormalen Leben eines Normalen. Dorrit Willumsen verhindert jedes vulgäre Urteil. Sie schildert die Vita eines Künstlers. Der weicht von durchschnittlichen Lebensweisen ab wie jeder Künstler.

Bang ist ein reger, anregender Roman. Auch ein aufregender Roman?

Was die Landsfrau über den Landsmann sagt, insbesondere über den Schmerz, den das Heimatland zufügen kann, mag die Dänen mehr bewegen als die übrigen Europäer. Berühren wird Leser aller Sprachen die Verständigung einer Schriftstellerin mit einem Schriftsteller. Willumsen ist unvoreingenommen in ihrem Versuch zu verstehen. Deshalb ist ein so unbefangener Roman über einen Künstler gelungen. Ein Künstler-Roman, der nicht im Meer der kitschigen, klischeehaften, kolportierenden Künstlerromane sofort versinkt. Die Sache ist zu preisen. Den Literaturpreis des Nordischen Rates hat Dorrit Willumsens Bang sowieso schon!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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