Eine Rezension von Elise Liebscher


Ein Talent - das ist auch ein Schicksal

Alice Schwarzer: Romy Schneider — Mythos und Leben

Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, 214 S.

 

Romy Schneider wäre in diesem Jahr sechzig Jahre alt geworden. Sie starb 1982 dreiundvierzigjährig an Herzversagen. Unter den neunundfünfzig Filmen, die sie drehte, war ihrer Meinung nach kein wirklich herausragender, zehn fand sie gut. Alice Schwarzer folgt ihr in dieser Beurteilung, nicht ohne das enorme Talent, die leidenschaftliche Hingabe an die Arbeit, die Besessenheit der Schauspielerin und ihr sensibles Gestaltungsvermögen immer wieder in Erinnerung zu rufen. Das ist eine strenge Bewertung. Alice Schwarzer stellt en passant einen Vergleich des (west-)deutschen Films mit dem italienischen, englischen und amerikanischen Film in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre an, kommt aber später nicht darauf zurück, auch nicht im Zusammenhang mit der französischen Filmkunst, in der sich Romy Schneiders zweite und eigentliche Karriere mit Filmen von Claude Sautet vollzog.

Das ist - bei dem gesellschaftskritischen Sinn Alice Schwarzers, der auch die Auffassung der Biographie Romy Schneiders diktiert - insofern eine Unterlassung, als sie für die Akzentuierung ihrer Darstellung die Frage nach bedeutenden Frauengestalten in hervorragenden Filmen der westlichen Welt außer acht läßt. Daß für wirklich große Frauengeschichten, wie Romy sie sich in reiferen Jahren sehnlich wünschte, in dieser Welt kaum Voraussetzungen gegeben waren, weiß ja niemand besser als Alice Schwarzer.

Romy Schneider, das ist das eigentliche, tragische Fazit der sehr viel Sympathie, Einfühlung und Bewunderung äußernden Autorin, war in allen Rollen die Verkörperung männlicher Phantasien von der Zwitterhaftigkeit weiblichen Wesens, der Heiligen und der Hure, angefangen vom „Sissi“-Image, vor dem sie zu Alain Delon nach Frankreich floh, mehr oder weniger auch durch die „guten“ Filme hindurch bis zu ihrem letzten, der „Spaziergängerin von Sanssouci“.

In einem Auftritt Romy Schneiders im deutschen Unterhaltungsfernsehen im Oktober 1974, den Alice Schwarzer im ersten Kapitel schildert, sind für sie alle sensiblen und heiklen Charakterzüge Romy Schneiders mit der innewohnenden Konfliktpotenz erkennbar und benennbar. Das ist ein gut und klug einstimmendes Kapitel, denn wer Romy Schneider mochte und die Beschreibung eines Glanz- und Glamour-Lebens lesen möchte, kann das Buch dann zuschlagen und weiterhin den schönen Illusionen anhängen.

Alice Schwarzer hat Romys Leben in der üblichen Weise recherchiert, ihre eigenen Begegnungen und Gespräche mit ihr sind wichtige Zeugen für ihre Sicht und Wertung. Noch wichtiger sind die Zitate aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen Romy Schneiders, die von den Träumen und Sehnsüchten der frühen Jahre, von den Kränkungen berichten, die das junge Mädchen in dem streng katholischen Internat erfuhr, von den Momenten überschwenglichen Glücksgefühls und der inneren Zerrissenheit, den ständigen Kämpfen um die innere Freiheit und die Niederlagen. Sie weisen Romy als eine sensible Beobachterin ihrer selbst und ihrer Umwelt aus. Sicherlich wäre dem Bild, das Schwarzer von Romy zeichnet, das einer unsicheren, von Ängsten und Selbstzweifeln gepeinigten Frau, die sowohl im Privatleben wie in der Arbeit immer das Ausbeutungsobjekt von Männern war, mit Vehemenz widersprochen worden, würde es nicht durch Romys Tagebücher bestätigt.

All die Auseinandersetzungen, die sie mit dem jeweiligen Peiniger nicht austragen konnte, ob es sich nun um Stiefvater Blatzheim, um die Ehemänner Meyen und Biasini handelte, um Visconti oder um Böll, von dem sie sich verkannt fühlte, oder auch die Konflikte mit sich selbst, trug sie lebhaft, leidenschaftlich und auch mit Witz und Drastik schreibend aus.

Die Journalistin Schwarzer erweist Romys Schreibtalent ihre Referenz. Sie anerkennt die versteckte Kritik, mit der Romy zum Beispiel auf die Nähe der Eltern zu Nazibonzen reagiert, indem sie Schicksale jüdischer Frauen spielt und ihren Kindern jüdische Namen gibt, sie entdeckt auch verspätete Reaktionen Romy Schneiders auf den Emanzipationskampf der Frauen und ihre beharrliche, aber „blinde“ Suche nach einer gleichberechtigten Partnerschaft. Sie beschreibt, wie Romy unter dem Einfluß der Partner Delon und Meyen alkohol- und tablettenabhängig wird. Bei allem Respekt für ihre Kämpfe, „schwankend zwischen Unterwerfung und Tyrannei“, kommt sie am Schluß zu der Feststellung, daß Romys „Halbherzigkeit“ „den für die höchste Qualität so zwingend notwendigen letzten Schritt verhindert“ habe. Das mag richtig sein, aber ist es auch gerechtfertigt? Als Quintessenz mutet es etwas beckmesserisch an.

Schwarzers Biographie selbst widerspricht dem auch. Romy Schneiders Leben erscheint in ihrer Bescheibung als Paradebeispiel für den entwürdigenden, nahezu mörderischen Umgang der gewissenlosen Männergesellschaft mit den Lebensansprüchen und Lebenskräften der Frauen. Romy Schneider repräsentiert den Typ der dieses Schicksal mehr oder weniger erkennend erleidenden Frauen, die nicht den Mut haben für das permanente Gefecht. Denn ein solcher Kampf erfordert den Einsatz des Lebens, und Romy Schneider, das schreibt Alice Schwarzer ja, brachte nur partiell Kampfgeist auf. Sie hatte ein Talent, das ist auch ein Schick sal, und sie wollte es ausleben. Welche Wahl hätte sie denn eigentlich gehabt? Und welche „höchste Qualität“ hätte der Preis realiter sein können?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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