Eine Rezension von Bertram G. Bock


 

Belangloser Versuch, Bauchnabelschau nach Handke zu betreiben

Jochen Schimmang: Vertrautes Gelände, besetzte Stadt

Schöffling & Co., Frankfurt/M. 1998, 135 S.

Akkurat ist am Ende des schmalen Bändchens verzeichnet, in welcher Zeit Jochen Schimmang die Texte verfaßte: 6.7.1997-4.2.1998. Bösartigerweise könnte man jetzt behaupten: Das ist das einzig Konkrete, was man erfährt. Ganz so schlimm ist es dann doch nicht, aber diese Abschwächung bedeutet noch lange nicht, daß Vertrautes Gelände, besetzte Stadt gut oder akzeptabel sei.

Dieser Text ist eine Art öffentliches Tagebuch, mit wesentlichen Einschränkungen. Zwar wird der Leser im groben über das Leben Schimmangs im oben genannten Zeitraum informiert - Reisen, Besuche, Liebschaften etc. -, aber dies auf eine Art und Weise, die Schimmang als Person fast ausschließt. Eigentliches, Wesentliches ist nicht verzeichnet, die Persönlichkeitsrechte bleiben gewahrt, nichts wird von Schimmangs Person wirklich enthüllt, preisgegeben oder mitgeteilt. Ein offizielles Tagebuch einer unpersönlichen Persönlichkeit sozusagen. Vertrautes Gelände, besetzte Stadt kommt als eine wohl chronologische, aber nicht datierte Ansammlung von kleinen Anekdoten, Begebenheiten, Alltäglichkeiten, Beobachtungen, Erfahrungen und Erinnerungen daher. Ein nettes, beliebiges Sammelsurium von Situationen, wie sie jedem passieren. Schimmang war halt nur so aufmerksam und hat sie sich gemerkt, war so fleißig und hat sie auch noch aufgeschrieben (wobei der Verlag dann so mutig war, sie zu veröffentlichen). Der Autor, der mit Carmen, Die Geistesgegenwart oder Ein kurzes Buch über die Liebe wirklich gute Romane in den letzten Jahren vorgelegt hat, referiert hier ohne den Verdacht, Tiefsinn verbreiten zu wollen, über den Mediapark Köln, macht sich Gedanken über Mitreisende, regt sich über Zeitungsnotizen auf, beschreibt Orte, beschwert sich über die Frühstückskultur in Hotels, beklagt den Analphabetismus - kurz: Er brabbelt banal so vor sich hin, fühlt sich als Mittelpunkt der Welt, bezieht alles auf sich, läßt Politisches außen vor und zeigt sich als ein reichlich uninteressierter Zeitgenosse, dem sein Bauchnabel wohl das Maß aller Dinge ist. Jeder so wie er will, es gibt schließlich daran nichts auszusetzen bzw.: Warum müssen Schriftsteller immer etwas Besonderes sein? Aber wen interessiert das?

Beispiel: „Für das gedruckte Wort ist hinreichend gesorgt. Dagegen ist es nicht möglich, irgendwo einen Bleistift, einen Kugelschreiber, ein Heft, einen Block Schreibpapier zu kaufen. Mit dem Bedürfnis, irgend jemand möge Schrift nicht nur lesen, sondern selber produzieren wollen, wird hier (Kölner Hauptbahnhof]) nicht gerechnet.“ O.K., dem kann man eventuell zustimmen, eine nette, wohl auch korrekte Beobachtung - aber mehr ist es dann doch nicht. Zwei Seiten später mokiert Schimmang sich über fehlerhafte Schreibweisen, genauer über die „falsche Verwendung des Apostrophs im Deutschen“. Zugegeben, die gibt’s reichlich - aber gibt es da nicht auch andere Probleme? Und was soll man mit dem Wissen anfangen, daß der „reichlich schnarrende Ton“ seiner Türklingel ihn leicht zusammenschrecken läßt, es aber eh nur zwei Menschen gibt, die ihn unverabredet besuchen? Und immer wieder Sätze wie diesen: „Die Banken sind die Kirchen unserer Zeit, und die Geldautomaten sind ihre Beichtstühle.“ Eine Feststellung, der er nicht einmal eine Begründung folgen läßt, nicht einmal eine Bewertung, eine Feststellung, die zudem so nicht stimmt. Sind also Schimmangs Beobachtungen doch nicht so genau, doch nicht so aufmerksam? Sie sind meist arg verallgemeinert und wenn persönlich, dann, siehe Beispiel mit dem Schreibpapier, eher banal.

Vielleicht - so der rettende Gedanke, schließlich ist Schimmang ein versierter Autor, kein Neuling und auch kein Hauptsache-ich-hab-ein-Buch-verlegen-können-Schreiber -, vielleicht ein Buch über Köln, ein persönliches Stadtporträt, wie es sie von manch anderen Autoren auch gibt? Aber nee, auch das nicht. Köln wird zwar immer mal wieder genannt, aber all die Szenen sind nicht typisch kölnisch, sie sind, wenn überhaupt, deutsch - aber selbst wohl das nicht. Also dann vielleicht Einblicke in die deutsche bzw. europäische Gesellschaft? Fehlanzeige, dafür sind es zu wenige.

Egal wie man es dreht und wendet, hier hat einer das aufgeschrieben, was ihm in den Kopf kam, was er erlebte, was ihn interessiert. Aber eins hat Schimmang - und mit ihm der Verlag - darüber völlig vergessen. Den Leser interessiert das nicht. Und so kommt es, daß dieses Buch nicht einmal jenen zu empfehlen ist, die es gern haben, wenn Autoren wie Handke ihren Nabel beschauen, die neue sensible Innerlichkeit bei Kerzenlicht feiern oder - Zitat Schimmang- der „Tendenz zur Innenwelt“ frönen. Denn Schimmang hat dann doch nicht soviel Mut, dieser Tendenz breiten Raum zu geben und seine Gefühle bzw. Gedanken zu formulieren, genauso wenig hatte er Mut, aus seinen Beobachtungen inhaltliche Konsequenzen zu ziehen. Er ist auf halbem Weg in der Beliebigkeit, in der Belanglosigkeit steckengeblieben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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