Eine Rezension von Hans-Rainer John


Romanze einer Liebe

James Salter: Ein Spiel und ein Zeitvertreib

Roman. Deutsch von Beatrice Howeg.

Berlin Verlag, Berlin 1998, 222 S.

 

Die Geschichte von Phillip Dean und Anne-Marie Costallet ist die Romanze einer Liebe. Der junge hübsche Amerikaner, ein brillanter Intellektueller und verbummelter Yale-Student, haltlos und unstet, genial und kapitalschwach zugleich, trifft auf einem Europa-Trip in Autun, einer französischen Kleinstadt, auf die mädchenhaft-anziehende Hotelangestellte mit der überwältigenden erotischen Ausstrahlung. Beide verleben, mit einem alten Delage kreuz und quer durchs Land fahrend, einige Wochen ungetrübter Leidenschaftlichkeit, in der sie das gesamte Alphabet der Liebe durchbuchstabieren. Anne-Maries Glück und ihre rückhaltlose Hingabe entspringt der Hoffnung, daß ihre Beziehung erst am Anfang steht und eine Perspektive hat. („Ich will nur dir gehören. Ich verstehe jetzt, daß man an der Liebe sterben kann.“) Phillip erlebt dagegen jede Stunde deshalb so intensiv, weil sie ihn dem Ende näher bringt. Täglich erliegt er mit Begeisterung der Anziehungskraft und Unersättlichkeit des Mädchens, aber in der Übersättigung stört ihn auch der Geruch der Armut, schlechter Geschmack und geistige Beschränktheit. Geldnot zwingt ihn zur Rückkehr in die Staaten, sie ist aber auch Vorwand, der bemäntelt wird mit dem Versprechen baldiger Rückkehr oder eines Tickets, mittels dessen sie ihm nachfolgen kann. Das Mädchen möchte wohl daran glauben, bleibt aber skeptisch. Nach kurzem ereilt Phillip der Tod bei einem Autounfall.

Als das Buch vor 32 Jahren erschien, war es wegen seiner Sinnlichkeit und sexuellen Offenheit eine Sensation. Derartige Tabulosigkeit war zu dieser Zeit nur in der Pornographie üblich. Salter, 1925 geboren, inzwischen mit vielen Preisen ausgezeichnet, heute als moderner Klassiker der amerikanischen Literatur anerkannt, befreite die Schlafzimmervorgänge von ihrer Anrüchigkeit und hob sie in den Bereich der Literatur. Man stellte das Buch daraufhin sofort auf eine Stufe mit den großen Liebesromanen unseres Jahrhunderts. Was aber bleibt nach der Lektüre heute?

Eine zutiefst anrührende Liebesgeschichte zweier junger Menschen auf jeden Fall, zumal sie gänzlich unsentimental, fast pointilistisch, detailscharf und unbeschönigend erzählt wird- neben allem Verbindenen vergißt Salter nie die soziale und geistige Differenz, die die Liebenden letztlich trennt. Ein wenig abgehoben und isoliert sind die Geschehnisse zwischen den beiden freilich doch, nur an wenigen Stellen und notdürftig mit dem ringsum pulsierenden Leben verbunden. Die Erzählung folgt darin wohl ganz dem subjektiven Empfinden der Betroffenen, die sich bei diesem Stand der Beziehungen eben selbst genug sind.

Was heute jedoch auffallend wenig Wirkung macht, ist der Rahmen, und er macht fast die Hälfte des Buches aus. Es ist nämlich ein Photograph, mit dem wohl zehn Jahre jüngeren Phillip freundschaftlich verbunden, der die Geschichte erzählt, ein wenig selbstsicherer Mensch ohne ausgeprägte Kontaktfähigkeit, der sich Frauen wie Claude Piquet oder Alix wohl ersehnt, der aber zu gehemmt ist, sich ihnen zu nähern. Voller Eifersucht beobachtet er nun das sich entwickelnde Verhältnis zwischen Phillip und Anne-Marie, er ist besessen von Indi zien wie ein großer Detektiv, kein Detail entgeht ihm, und so beschreibt er nun, was er miterlebt oder auch nur gemutmaßt oder geträumt hat. Dieser merkwürdige Agent provocateur gewinnt kaum unverwechselbare Gestalt, und letzten Endes käme die Geschichte auch ohne ihn aus.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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