Eine Rezension von Rulo Melchert


„Dein Versuch, Worte zu schreien ...“

Ted Hughes: Der Tiger tötet nicht
Ausgewählte Gedichte, Englisch - Deutsch, Auswahl. Übertragung und Nachwort von Jutta und Wolfgang Kaußen.
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1998, 368 S.

Ted Hughes: Birthday Letters
Deutsch von Andrea Paluch und Robert Habeck.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1998, 210 S.

Elisabeth Bronfen: Sylvia Plath
Deutsch von Andrea Paluch und Robert Habeck.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1998, 220 S.

 

Drei Veröffentlichungen geben Gelegenheit, nicht nur vertieft in die zum Mythos gewordene Liebes- und Lebensgeschichte von Sylvia Plath und Ted Hughes einzudringen, sondern sich auch und vor allem mit der künstlerischen Leistung von Ted Hughes vertraut zu machen. Die ausgewählten Gedichte, die Der Tiger tötet nicht versammelt, zeigen uns den englischen Lyriker, Dramatiker und Übersetzer (1930-1998) vielleicht nicht in seiner vollen literarischen Breite und Größe, lassen aber doch ahnen, worin seine Leistung besteht: „Ted Hughes’ Gedichte sind von Anfang an äußerst verdichtete Kunst-Werke von durchtrieben-handwerklicher Präzision“, wie es im Nachwort heißt. Aufgeladen mit West-Yorkshire-Erinnerungen einer Kindheit, immer im Traditionsbezug zur mittelenglischen Poesie, zu Shakespeare, Coleridge, Hopkins, Yeats und Eliot, vertraut mit dem Geistersehen und anderen Elementen keltischer Kultur, gelang mit The Hawk in the Rain 1957 nicht nur der Durchbruch einer großen Begabung; mit Ted Hughes begann eine neue Etappe in der englischen Dichtung der Nachkriegszeit. Die „Ansicht eines Schweins“ ist natürlich alles andere als schön, besonders hier, wo es tot auf einem Wagen liegt, nur noch eine Zentnerlast Fett und Fleisch, und man schon dabei ist, „es zu brühen, / Zu brühen und zu scheuern wie eine Türschwelle.“ Der Vorwurf, nicht nur der Gewalt zu huldigen, sondern auch noch Lust an seiner Darstellung zu haben, ist leicht gemacht; Ted Hughes allerdings trifft das nicht: Ihm geht es in seiner Dichtung auch und immer darum, die „Kraßheiten der Wirklichkeit“ aufscheinen zu lassen, „in die wir alle auch als fleischfressende Aufklärer unaufhörlich verwickelt sind“, und der Dichter selber ist nicht nur „Organ“, sondern zugleich „Gegenspieler der Kräfte, denen er dienen muß - und will.“ So bunt es auch in den „Ausgewählten Gedichten“ zugeht - die Tiere drängeln sich, ein ganzer Zoo, scheint es, solle aufgeboten werden: Otter, Hecht, Ratte, Wölfe, Mücken, die Krähe, Schafe, Drossel, Schnaken, der Tiger, Falter, Stare, Seeschwalbe, Biene, Grashüpfer, die Henne, der Hase, Kormoran und Wal -: dieses Spiel ist das ureigenste Spiel, das der Dichter mit Wörtern und Wirklichkeiten treibt, nicht um sich zu verstecken, sondern um sich aufzudecken, exemplarisch in die Zeit zu stellen, Empörung zu äußern, die Erinnerungen wachzuhalten, soziales Gewissen zu schärfen. Da ist es sehr einsichtig, daß Ted Hughes Ovids Metamorphosen, Senecas Ödipus, Wedekinds Frühlings Erwachen und Garcia Loreas Bluthochzeit sich in Übersetzungen als ein Eigenes adaptierte. Mit Dichtern wie Heaney und Walcott ist er nicht von ungefähr befreundet gewesen.

Erstmals nun ist das letzte Werk Ted Hughes’ in deutscher Übersetzung erschienen: Birthday Letters, ein Zyklus von 88 Gedichten, sozusagen druckfrisch und schon ein Vermächtnis, die schmerzhafte Aufarbeitung seiner Beziehung zu Sylvia Plath. Dem „Friedhofsgeschäft“ über Sylvia Plath, die vor dreißig Jahren Selbstmord beging, wird vielleicht jetzt Einhalt geboten, obwohl ja durch die Veröffentlichung ihrer Tagebücher und anderer Schriften aus dem Nachlaß dazu schon reichlich Gelegenheit war. Birthday Letters, in fünfundzwanzig Jahren, wie es heißt, geschrieben, sind stark erzählerisch aufgeladene Texte, die ein gemeinsames Leben zweier Dichter heraufbeschwören in all ihren Hochgefühlen, aber auch die tödlichen Schnittstellen deutlich machen, die immer da waren, seit die Liebe sie in Bann schlug. „Es ist nur eine Geschichte. / Deine Geschichte. Mein Geschichte.“ In diesen doppelten und dreifachen Bezugspunkten entfalten sich die Texte, in der Anrede eines „Du“, in der Befragung von sich selber. Im nachhinein wird das, was ablief, erinnert, beeinflußt, dann vom Lesen des Tagebuches von Sylvia Plath. Es war nicht nur Faszination durch ein Äußeres, die Ted Hughes zu der Fulbright-Stipendiatin aus den USA trieb, sondern ein Wahlverwandschaftliches, das allerdings gleich zum Mythos stilisiert wird. „Irgendwo / In der erstarrten Erde / Versuchte unsere Zukunft sich zu regen.“ Das heißt, eigentlich findet die Überhöhung, wie auch aus anderen Gedichten des Zyklus ablesbar, erst im nachhinein statt, beim Schreiben der Texte, vom Ende her wird etwas in den Anfang, der noch gar nicht als Begegnung der Liebenden stattgefunden hat, hineingesehen; vielleicht ein normaler psychologischer Vorgang. Viele Szenen ruft Ted Hughes auf, die ihm etwas über sich und Sylvia Plath verraten, die Begegnung im Jazz-Keller, die Hochzeit, ihr erstes Zuhause, die Reise nach Paris und Spanien, Gläserrücken, der Besuch von Emily Brontös Haus, Boston, Yellowstone-Besuch, Schwangerschaft, die Geburt des Kindes, der Tod. Ted Hughes nimmt den Panther wahr, der Sylvia Plath durch Europa schleift: „Dein Versuch, Worte zu schreien, / Zerfiel zu getrocknetem Blut, / Angereichert mit dem Adrenalin der / Verzweiflung, dem Schrecken der reinen Raserei.“ Ihr Verhältnis zum Vater, ganz entscheidend, wird als „Kampf, dich selbst zu retten“, verstanden. Leider aber muß Ted Hughes auch begreifen, daß er als Ehemann „die Rolle, deines Vaters / In unserem neuen Mythos spielte“. Jenes „schöne Amerika“, „meine neue Welt“, die „neunundvierzigfach vergrößerte Liebe“, die für ihn Sylvia Plath bedeutete, verliert sich mehr und mehr, je stärker ihre Angst hervortritt, der Ehrgeiz, eine große Dichterin zu werden, Schreiben und Leben wie eine Feuerleiter ins Nichts hinaufführen. Es war wohl auch eine Rettung seiner eigenen Begabung, die Ted Hughes von Sylvia Plath wegtrieb. Ein jeder mußte seinen eigenen Weg gehn, wollte er schreiben, ein Schriftsteller sein. Es klingt durchaus nicht resignativ, wenn Ted Hughes bekennt: „Allein / Hätte vielleicht jeder von uns sein Leben leben können. / Als siamesische Zwillinge infizierte jeder von uns beiden / Den anderen mit einer besonderen Seelenvergiftung, / War ein jeder der Pfahl, / Der den anderen durchbohrte.“ Ted Hughes hat das letzte - dichterische - Wort über seine Beziehung zu Sylvia Plath gesprochen, auf beide wirft Birthday Letters ein entscheidendes und helles Licht, keiner wird angeklagt oder verdammt, beide werden der Kritik überliefert. Zu Ende ist nichts.

Das meint wohl auch Elisabeth Bronfen mit ihrem „Sylvia Plath“-Buch, ein schöner Beitrag zum Diskurs nicht nur über Sylvia Plath und ihre Biographen, den um sie aufgebauten Mythos - der von Ted Hughes selber geschaffen wurde und bis zu feministischen Interpretationen reicht. Vor allem die Untersuchungen der autobiographischen Schriften, ihrer Gedichte und der Prosa setzen neue Akzente, die anregen, sich mit dieser Autorin weiterhin auseinanderzusetzen, vor allem ihre Texte als eigenständige, von ihrer Biografie zwar nicht zu trennende, aber doch autonome Äußerungen zu nehmen. Vielleicht wird damit die oft eifernd geführte Diskussion, auch und gerade über das Verhältnis zwischen Ted Hughes und Sylvia Plath, versachlicht, vom Biographischen auf das Ästhetische verlagert. Elisabeth Bronfen, die sich auch schon zu „Birthday Letters“ äußert, begreift Ted Hughes’ Zyklus nicht nur als eine Gedächtnisfeier, sondern sie liest ihn auch als ein Stück Trauerarbeit. Die Rede an die Verstorbene ist in der 2. Person Präsens geschrieben, womit die Gegenwart eines toten Lebens und eines weiterhin zu erschließenden Werks heraufbeschworen wird, um sie als Quelle der eigenen poetischen Inspiration zu nutzen. Beide, „traumverstümmelt und traumblind“, werden von einem Schweigen entbunden. Die Fragen, die Ted Hughes an Sylvia Plath stellt, sind zugleich an sich selbst gerichtete Fragen: „Du wolltest eine Schriftstellerin sein. / Wolltest schreiben? Was war das in dir, / Das seine Geschichte erzählen mußte? / Die Geschichte, die erzählt werden muß, / Ist der Gott des Schriftstellers, der / Aus dem Schlaf ruft, unhörbar: Schreib.“ Viel ist von Szenarien die Rede, die Sylvia Plath entwirft und denen sie beim Schreiben folgt; aber das poetische Geheimnis, die ureigenste Leistung, z. B. von „Ariel“, enthüllt auch Elisabeth Bronfen noch nicht. Ein jeder Leser entdecke es für sich, wie unhörbar es auch immer scheinen mag.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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