Eine Rezension von Bernd Heimberger


Geschichte eines Gescheiterten?

Barbara Heinze (Hrsg.): Franz Fühmann. Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen.

Hinstorff Verlag, Rostock 1998, 400 S.

 

Gibt es kein Bild, das den Bücher schleppenden Franz Fühmann zeigt? Gibt es kein Bild, das den Gemüse Schleppenden zeigt? Irgend etwas hat Fühmann immer geschleppt. Am meisten Bücher und Gemüse. Kein Foto, das den Schleppenden zeigt? Kein solches Foto in dem Franz-Fühmann-Buch, das sich als Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen anbietet. Schade! Zu schade! Zumal es eine vergleichbare und aufwendigere Präsentation von Person und Arbeit bisher nicht gab. Der großformatige, repräsentative Band, den Fühmanns Heimat-Hafen-Verlag Hinstorff herausbrachte, ist eine mit Sorgfalt arrangierte Collage der Akademie-„Archivarin“ Barbara Heinze. Der Band ist auch ein populäres Wissenschaftswerk zur Literatur und zum Leben des Franz Fühmann. Den Band hat kein Jubiläum veranlaßt. 1997 war der 75. Geburtstag. Der 20. Todestag wird 2004 sein. Warum jetzt diese ausführliche Bild-Text-Biographie? Um dem Vergessen etwas entgegenzusetzen? Auch! Denn: Von 17jährigen Gymnasialschülern zu erwarten, daß sie Franz Fühmann kennen, sprich gelesen haben, heißt zuviel zu erwarten. Es gibt genug Gründe, auch Franz Fühmann wieder und wieder ins Gespräch zu bringen. Die dosiert aus dem Hinstorff Verlag kommenden Fühmann-Bücher erhalten und verlängern das Gespräch. Wie lange? Bis die noch auf Jahre versiegelten Tagebücher aufbereitet und ausgelegt sind? Bis dann das totale, unretuschierte Fühmann-Porträt da ist? Heinzes Fühmann-Porträtierung erweitert, was die publizierten Briefe, die Biographie von Hans Richter an Einsichten und Erkenntnissen zur Person popularisierten. Erweiterung bedeutet nicht beliebige Ergänzung. Bedeutet größere Genauigkeit. Die garantieren noch nie veröffentlichte Schrift-Dokumente, die aus sowjetisch-russischen und DDR-deutschen Aktenschränken geholt wurden. Obwohl Aufmachung und Ausstattung zunächst eine Bild-Biographie versprechen, stellt sich schnell heraus, daß die Leser es vor allem mit einem Textband zu tun bekommen. Der verlangt viel Aufmerksamkeit. Das Bildliche ist nur von bedingter, eher optischer, auflockernder Bedeutung, die nicht gering zu veranschlagen ist. Eine derartige bildliche Darstellung der Fühmann-Biographie war bis dato nicht da. Ob die vorliegende allerdings im Sinne des Schriftstellers ist?

Haben sich Herausgeberin und Verlag strikt an die strikten Wünsche Franz Fühmanns gehalten? Letztendlich war dem Rigorosen nur das Werk wichtig! Was aber ist ein Werk, wenn dessen Weg unbekannt bleibt?

Franz Fühmann, Katholik und Jesuitenschüler, Faschist und Marxist, Bürger der DDR und Böhme im Brandenburgischen, war ein kategorischer Individualist. Der schleppte nicht nur Bücher und Gemüse. Am schwersten schleppte er lebenslang an seinem Leben. Ständig war er im inneren wie äußeren Widerstreit mit der wirklichen Welt. Gab es eine Kontinuität in der Biographie des Schriftstellers, war es der ständige Widerstreit: der Motor seines Schreibens. Das war dem Jesuitenschüler und Jung-Nazi weniger bewußt als dem Schriftsteller, den die Krämpfe der kulturpolitischen Kämpfe in der DDR körperlich wie seelisch bedrohten. Immer wieder enttäuscht, immer gutgläubig, entschuldigte der Alternde den jungen Fühmann, den er „weltfremd und weltfern“ nannte. Auch in der Welt kann man ihr immer fremd und fern bleiben. Wie Franz Fühmann? Fünf Jahre vor seinem Tode schrieb er: „... ich stehe am Anfang, nicht am Ende.“ Der Schriftsteller sprach über den Schriftsteller. Wenig später sah er den als Gescheiterten, als er sein Testament verfaßte.

Ist die Biographie des Franz Fühmann tatsächlich nichts anderes als die Geschichte eines Gescheiterten? In dem Buch von Heinze wird die Frage nicht derart zugespitzt gestellt. In den Texten ist genug davon, was vom möglichen wie nützlichen Scheitern berichtet.

„Schluderarbeit zu machen verbietet mir der Name, den ich mir erarbeitet habe ...“, hat der Schriftsteller notiert und damit Grundsätzliches über seinen Charakter und seine Mentalität gesagt. Das Wissenwollen war ihm so wichtig wie die Verteidigung dessen, was er wußte. Die Haltung machte ihn zu einem Aufmerksamen und Aufgeschlossenen, zu einem Zurückhaltenden und Zurückweisenden. Seinem Wesen nach war Fühmann ein Ausgleichender, der zunehmend rigoroser sein Wissen auch als Besserwissen vertrat. „Der Mensch hat einen Doppelcharakter. Er ist die dialektische Einheit eines Wesens der Natur und eines Wesens der Gesellschaft“, diagnostizierte der Schriftsteller 1957, als er seinen Scheffel noch ganz unter den Marxismus stellte. So einfach, vereinfachend Wesen und Wirken des Menschen zu summieren, wäre dem Erfahrenen nicht mehr in den Sinn gekommen. Die Unterschiede und das Unvereinbare des Wesens der menschlichen Natur und des Menschen als eines Wesens der Gesellschaft wurden Fühmanns Thema. Das was brachte? Ein schweres Leben! Auch eines, das scheitern mußte? Das Buch ist kein Fühmann-Ratgeber, ist kein Werk-Wegweiser, ist kein abschließendes Urteil zur Biographie. Schärfer als das Wesen der Natur tritt das Wesen der Gesellschaft hervor.

Gleich anderen, die gleich ihm Bücher und Gemüse schleppten, war Franz Fühman eine auffälligere Gestalt. Er war ein Dichter. Vielleicht ist das auch ein Grund, daß ihm viele ferner bleiben, als Herausgeberin und Verlag sich das wünschen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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