Eine Rezension von Volker Strebel


Ein Dolmetzsch der Sinne

Wolf Biermann: „Wie man Verse macht und Lieder“

Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, 285 S.

 

Eine „Poetik in acht Gängen“ nennt Biermann sein neuestes Buch im Untertitel. Die kulinarische Anlehnung ist nicht zufällig, das Menü reichlich dekoriert und von ausgesuchten Zutaten - ein Blick in die Speisekarte genügt: „Politisch Lied, privates Lied“, „Lyrik: Schattenbild in der Höhle des Gemüts“, „Zu weit gehn, klar! - Aber wie weit zu weit?“, „Dichtkunst“, „Dolmetzscherey“, „Musik ist eine Hure, die mit jedem Text geht“, „Distribution: Verse auf dem Marktplatz“, aber auch „Talent und Charakter“.

Die Vorlesungen hatte Wolf Biermann zum erstenmal im Wintersemester 1993/94 in Düsseldorf im Rahmen der „Heinrich-Heine-Professur“ gehalten. Vorlesungen über Literatur und Kunst der eigenen Art, unterhaltsam und subjektiv - und somit wiederum von künstlerischer Qualität. So jedenfalls, meint Biermann, hat es sich zu verhalten, „wenigstens in meiner Ästhetik, wie der Produzent von Gedichten und Liedern die Wirklichkeit darstellt. Er liefert nicht im direkten Zugriff ein Stück Welt, sondern die Wirkung der Welt auf ihn, das dichtende Subjekt.“ Ohne ein „Ich“ im Text, darauf beharrt Wolf Biermann, rutscht das Gedicht in die Pose ab, wird vom Kitsch belauert. Zur Untermauerung seiner These holt Biermann weit aus, beruft sich auf seinen Urahnen Françoise Villon, auf Oswald von Wolkenstein und die Etablierung des Subjekts in der Welt der Renaissance.

Die Denunziation des Subjektiven kennt Wolf Biermann nur zu gut aus der Zeit stalinistischer Kulturdoktrin: „Riechen Sie mal an diesem Wort: privat - es stinkt im Zusammenhang mit unseren Überlegungen ein bißchen nach Verrat.“ Biermann, Sohn eines in Auschwitz vergasten kommunistischen Hafenarbeiters, der noch dazu Jude war, verfügt über eine linksproletarische Bilderbuchabkunft - und fiel dennoch früh genug in „der größten DDR der Welt“ in Ungnade. Möglich, daß es letztlich Biermanns Konzeption einer authentischen Subjektivität war, welche die Wurzel des Parteikonflikts bildete und gleichzeitig die Verwandtschaft zu einem ungleichen Bruder, dem Dichter Reiner Kunze, herstellte, dessen wichtiger Gedichtband eines jeden einziges leben überschrieben ist.

Dennoch erlaubt Biermanns sensibilisierte Wahrnehmung auch das Einfließen der realpolitischen Schrecken, Hoffnungen und Enttäuschungen dieses Jahrhunderts. Seine Ausführungen zu den „letzten“ Fragen der Kunst und Literatur vermögen keine anämische Trennung von Ästhetik und Wirklichkeit durchzuhalten. Dabei weiß Biermann vom uralten Konflikt der sogenannten politischen Dichtung, der in diesem Begriff jedenfalls zuungunsten der Dichtung gelöst ist. Biermann verweist auf den erbitterten Streit, den die Exilanten Heinrich Heine und Ludwig Börne ausgefochten hatten. Heine verachtete „Parteipoeten wie Herwegh und Freiligrath“ und „eiferte gegen Politikeiferer wie Ludwig Börne“. Ein deutsches Lesebuch liegt somit vor, das man mindestens zweimal lesen sollte. Nicht, weil es unverständlich geschrieben wäre, sondern weil es prall gefüllt mit Meinungen und Miniaturen ist.

Wolf Biermanns Stärke sind bildhafte Metaphern, die lange nachklingen. Seinen frühen Ruhm verdankte er seiner unbekümmerten Frechheit, die manchen Politspießer in der DDR zur Weißglut gebracht hat. Was man Biermann auf keinen Fall vorwerfen kann ist, daß er sich unverständlich ausdrückt. Dies gilt auch, wie der vorliegende Band bezeugt, wenn er sich auf akademischem Parkett bewegt, was in der Tat eine Kunst ist angesichts der verzwickten philosophischen Hintergründe aller Kunsttheorie. Mit eigenen, kräftigen Pinselstrichen bringt Biermann die wichtigsten Zusammenhänge von Platons Höhlengleichnis über Kant und Hegel einer erstaunten Zuhörerschaft zu Gehör. Man darf nicht vergessen, der Hafenarbeitersohn aus Hamburg hatte in Ostberlin Mathematik und Philosophie studiert, und es mag diese Mischung aus Herkunft und Bildung sein, die ihn zum „Dolmetzsch“ befähigt. Und es ist vornehmlich die eigene Sprache, die einer beherrschen sollte, wenn er aus einer anderen Sprache übersetzen will! Wolf Biermann wäre ein schlechter Genießer, würde er nicht selber anhand so manch vertrakter Formeln, die er ausgibt, ins Staunen kommen.

Auf dem Umschlag des Büchlein ist jene „irre Krakelzeichnung meines Freundes“ A. R. Penck abgebildet, die Biermann-Freunden nicht unbekannt ist: Am Rande eines Abgrunds, bedroht von einem maskulinen Speerwerfer, mahnt ein gebrechlich Männlein, auf ein aufgeschlagenes Bild in seiner Linken verweisend, den rohen Gegner. Das aufgeschlagene Bild enthält just diese Szene!

Alle Fragen der Kunst, der Welt und des Lebens stecken in diesen zittrigen Figuren. Biermanns Poetik in acht Gängen greift diese Fragen auf, scheut sich vor keinem falschen Zungenschlag: „Ich bin lieber mittenmang.“ Und das Angenehme dabei ist, daß der Zuhörer, der Leser, mit Biermanns Lektionen nicht abgespeist wird, sondern sich vor neuen, tieferen Fragen sieht. Biermanns Dialektiken - geschult am Denken des Freundes und dissidentischen Mitstreiters Robert Havemann, dessen Autobiographie Fragen, Antworten, Fragen lautete. Und schon wieder beginnt ein neues Kapitel.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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