Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Ein Mann erfindet sich selbst

Louis Begley: Der Mann, der zu spät kam

Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1996, 284 S.

 

Immer wieder gibt es Glücksfälle in der Literatur. Mit 57 Jahren veröffentlichte der Amerikaner Louis Begley seinen ersten Roman: Lügen in Zeiten des Krieges wurde sofort ein weltweiter Erfolg. So plötzlich geht das, Ruhm über Nacht. Der 1933 in Polen geborene Begley studierte in den USA Literatur und Recht, seit 1959 arbeitet er als Anwalt. Ein Anwalt als Autor, ein Autor als Anwalt, man kann es von zwei Seiten aus sehen. Der als Ludwik Begleiter geborene Autor überlebte den Holocaust nur, weil es seiner Mutter gelang, ihn als katholischen Polen auszugeben und ihn vor den Deutschen zu verstecken. Sein erster Roman verarbeitete Erfahrungen aus der Vergangenheit, doch ohne Zorn und eher heiter-spielerisch. Sein zweiter Roman, Wie Max es sah, beschreibt die Einsamkeit des Menschen als tragischen Infekt, der allgegenwärtig und jederzeit ausbrechen kann. Auch das dritte Buch von Louis Begley, Der Mann, der zu spät kam, wurde nicht nur in der europäischen Kritik hoch gelobt. Amerikanische Stimmen sprachen von einem raffiniert komponierten Drama über Gefühle von Menschen, nannten das Buch einen „welthaltigen und eleganten Roman.“ Wie eben Kritiker so sind, sie loben und schwingen sich mitunter mit ihren hochfliegenden Formulierungen in einen Hoch-Lob-Himmel.

Autor und Leser haben es da allemal schwerer. Sie verrichten zurückgezogen angestrengte, aber genußvolle Arbeit. Der eine beim Schreiben, die andern bei der Lektüre.

Der dritte Roman: Ein Mann kommt nach Paris, baut in kurzer Zeit hervorragende Geschäftsbeziehungen auf, läßt sich in Affären ein, wird Gönner und Liebhaber. Doch am Ende steht er vor einem Scherbenhaufen. Der Roman spielt zwar im Europa Ende der sechziger Jahre, nimmt aber politische Geschehnisse dort kaum wahr. Nur einmal liest Ben in einer Zeitung von Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal für die Toten des Warschauer Ghettos. Ein Signal leuchtet auf: Plötzlich sind sie wieder nahe, seine Kinderjahre und die schmerzliche, total verdrängte Erinnerung daran. Die fehlende, die ausgelöschte Kindheit, sie meldet sich unter Schmerzen wieder. Nun erst erfährt der Leser, dieser Mann kam aus der „Prähistorie der europäischen Kriegszeit“ nach Amerika, hat alles daran gesetzt, sich selbst neu zu erfinden, gemäß den Idealen des Landes, das ihn aufgenommen hat. Sein Ziel: alles zu tilgen, was ihn an seine Vorzeit erinnerte.

Der Mann, der zu spät kam liest sich wie eine Fortsetzung von Begleys erstem Roman, als Entwurf eines neuen Lebens gegen das vergangene Leben. Unverarbeitete Vergangenheit, Mißtrauen und Selbsthaß haben ein Leben radikal verändert, schließlich zerstört: „Verdorrt, verdüstert und verzweifelt“, dazu unfähig zu lieben, unwürdig, Liebe zu empfangen - so sieht sich Ben selbst. Und dieses Bild scheint ihm um so wahrhaftiger, je besser er es vor den Augen anderer zu verbergen sucht.

So entsteht das Bild eines entwurzelten, einsamen Menschen. Brillant erzählt, reich auch an literarischen Anspielungen, wozu vor allem Rilke mit dem vielzitierten „Malte Maurids Brigge“ gehört.

Eine klassische amerikanische Geschichte, die Geschichte eines ehrgeizigen Mannes, der sich, seine Kindheit verdrängend, selbst erfindet und nach einem erfolgreichen Neubeginn kläglich scheitert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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