Eine Rezension von Walter Unze


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„Er urteilt davon, wie ein Professor iuris von der Satire“

 

 

Frank Schäfer: Lichtenberg-ABC

Reclam Verlag, Leipzig 1998, 175 S.

In kaum einer deutschen - privaten und öffentlichen - Bibliothek wird ein Lichtenberg fehlen. Meist sind es seine Aphorismensammlungen, seltener seine Essays, manchmal seine Briefe. Und so lebt denn auch der Göttinger Denker in der Erinnerung als scharfzüngiger Spötter, der eine Sache auf den Punkt bringen kann, wie kaum ein anderer. Daß Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) ein namhafter Naturwissenschaftler seiner Zeit war, daß er in der Tradition der Aufklärung stand und eben dieser Bewegung eine Reihe Denkimpulse gab, daß er auf vielen Gebieten ein kühner philosophischer Kopf war - all das bleibt oft nur Randwissen oder ganz und gar außen vor. Es ist im 200. Todesjahr des Gelehrten sicher nicht zuviel verlangt, wenn die Literatur über Lichtenberg sich bemüht, die ganze Persönlichkeit Lichtenbergs zu erfassen, wozu natürlich auch seine Konflikte, seine Grenzen gehören. Aber gerade bei ihm hat man oft den Eindruck, daß man zu den inhaltlichen Aphorismen nur die biographische Anekdote setzt.

Der Plan von Frank Schäfer (1966), eine Art Kompendium zu Lichtenberg zu entwerfen, erscheint so auf den ersten Blick verdienstvoll. Wenn es denn doch ein wirkliches Lichtenberg-ABC geworden wäre. Doch wenn man das Büchlein aus der Hand legt, kommt man zu dem Schluß: Hier versucht sich ein Spötter an einem anderen; doch nur einer von ihnen beherrscht das Metier.

Der Autor möchte offensichtlich mit leichter Hand schreiben, über Lichtenberg plaudern, ihn zitieren und interpretieren. Das alles in Gestalt von kürzeren oder längeren Stichworten, etwa nach dem Beispiel des berühmten Philosophischen Wörterbuchs von Voltaire, der ja auch Spott und Satire mit Ernsthaftem und Problemen verband. Natürlich hängt dabei viel von der Auswahl der Stichwörter ab; sie können zum Programm werden. Begriffe wie amerikanische Revolution oder elektrische Figuren, Hogarth oder Judentum, Physiognomik, Sprache und Erkenntnis u. ä. scheinen zu garantieren, daß man über einzelne Begriffe in das Zentrum des Denkens Lichtenbergs vordringen kann. Dagegen wirken Buckel oder Düvel, Methyologie oder Onanie, Trinken oder unzüchtige Literatur etwas irritierend, wenn man bedenkt, wie knapp der Platz im Büchlein ist und welche anderen Themen damit nicht angesprochen werden.

Irgendwie spürt der Leser, daß der Autor mit seinem Lichtenberg nicht fertig wird. Nach Schäfer überfiel Lichtenberg bei der Formulierung eines klaren Gedankens stets ein „Gefühl dumpfer Befriedigung“ (S. 8), er war ein „philosophischer Stubenhocker“ (S. 37), in späteren Jahren ein „konservativer Duckmäuser“ (S. 39), seine Vorsicht grenzt „bisweilen an Hysterie“ (S. 45), er blieb immer noch „der kreuzbürgerlichen Aufklärungs-Ideologie“ (S. 102) verpflichtet, er war eben „ein Gewohnheitstrinker“ (S. 151) und so weiter. Bei einer solchen Sichtweise auf den Menschen Lichtenberg ist es nicht verwunderlich, daß der Autor meint, sein ABC mit dem Stichwort Zote abschließen zu müssen.

Frank Schäfer hat etwas gegen Intellektuelle. Überall, wo dieser Begriff auftaucht, läßt er ihn kursiv setzen und wechselt in eine geradezu höhnische Diktion. Und auch seine Auffassung von Aufklärung ist offensichtlich recht eng, mehr auf die problemhaften Erscheinungen dieser Bewegung orientiert als auf ihre tatsächlichen Leistungen. Insgesamt spürt man beim Lesen eine postmoderne Masche - und ist verschnupft.

Natürlich braucht man Lichtenberg nicht gegen seinen ABC-Schüler Schäfer zu verteidigen. Man muß nur Lichtenberg lesen und nicht Herrn Schäfer, der sich als Autor aber doch recht wichtig nimmt: Er spricht von sich stets nur im Plural, erklärt dem Leser mehrfach, warum „Wir“ dies Buch geschrieben haben, und zitiert sich selbst im Quellenverzeichnis, in das nur die „befruchtenden, einschlägigen“ Titel aufgenommen worden sind, gleich dreimal. Er fordert den geneigten Leser auf, an dem dafür bereitwillig freigelassenen Platz ein Motto für sein Buch zu finden. Dafür bietet er mehrfach Zitate von Lichtenberg an. Ich möchte die Verdienste des Autors aber nicht mit fremden Federn schmücken und habe deshalb eine Passage von ihm selbst gewählt, wo er meint, Friedrich Schorlemmer schelten zu müssen, und doch nur sein eigenes Werk so trefflich charakterisiert: „Verbale Megalomanie und nichts dahinter. Anders gefragt: Haben Sie nicht auch gute Lust, an dieser Stelle ein-fach-ab-zu-brechen, bei einer so gänzlich bekloppten Interpretation?“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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