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Regine Wernicke

Der Satiriker, Moralist und Kinderfreund Erich Kästner wird 100 Jahre

«Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es !» 

Diesem Motto hat Erich Kästner gelebt und gewirkt. Unermüdlich kämpfte er gegen Krieg und Vergessen, gegen blinden Gehorsam und Spießbürgerlichkeit. Mit satirischem Witz entwaffnete er seine politischen Gegner und ermutigt augenzwinkernd noch heute seine Leser. An seine Mutter schreibt Kästner 1926: „Wenn ich 30 Jahre bin, will ich, daß man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bißchen berühmt. Obwohl das Berühmtsein gar nicht so wichtig ist. Aber es steht nun mal auf meinem Programm. Also muß es eben klappen! Einverstanden?“

„Wollen Sie mir helfen, berühmt zu werden?“ fragt Erich Kästner Elfriede Mechnig in Berlin im Oktober 1928. Die gemeinsame Arbeit zwischen Chef und Sekretärin - auch liebevoll von ihm „& Co.“ genannt - wird zeitlebens andauern. Dabei sollte der am 23. Februar 1899 in Dresden geborene Sattlerssohn nach dem Wunsche seiner Mutter Lehrer werden. Er hingegen studiert in Leipzig, Rostock und Berlin Germanistik, Geschichte, Philosophie, Theaterwissenschaft, Zeitungskunde und französische Literatur, promoviert mit Bravour 1925 zum Dr. phil. und wird Dichter, zur Freude seiner Leserschaft.

Alsbald redigiert und publiziert der talentierte Doktor Kästner nicht nur in Sachsens Presseblätterwald. Er schreibt auch - am liebsten im Leipziger Café Merkur - u.a. für das Berliner „Tage-Buch“, „Die Literarische Welt“, das „Berliner Tageblatt“, die „Vossische Zeitung“. Seine in deutschen Landen rar gesäte satirische Begabung erkennen und fördern die bekannten Publizisten Hans Natonek und Max Krell.

Im Herbst 1927 kommt Kästner nach Berlin. Die Skandal erregende Veröffentlichung seines Gedichtes „Abendlied des Kammervirtuosen“, die sein Freund Erich Knauf, der spätere Lektor der Büchergilde Gutenberg, in der „Plauener Volkszeitung“ abdrucken ließ, war der Anlaß für Kästners fristlose Entlassung als Redakteur der „Neuen Leipziger Zeitung“. Und Freund Erich Ohser, Illustrator vieler seiner Werke, schreibt erfreut: „Seit Erich Kästner da ist, ist Berlin wieder schön ...“ In Berlin reift sein vielseitiges Talent zur vollen Blüte. Kästner produziert in seiner „Versfabrik“ - jetzt im Berliner Café Carlton - viele Gedichte, Satire, Glossen, Epigramme etc. mit scharf geschliffenem Wort, aus leicht geschwungener Feder fließend. Sein erster Gedichtband Herz auf Taille erscheint 1928 im Curt Weller&Co. Verlag in Leipzig. Gebrauchslyriker nennt sich Kästner selbstironisch, „wunderbar gearbeitet ...“ urteilt Tucholsky, „Sohn des Volkes mit prinzlichen Manieren“ bekennt Hermann Kesten. „Kästner ist unbedingt kein Dichter ..., sondern bloß ein Schmierfink“ tobt die reaktionäre „Deutsche Zeitung“. Den politisch-publizistischen Alltagskampf führt Erich Kästner mit geistreich pointierten, beißend sozial engagierten Essays auf der „Weltbühnen“ Tribüne gemeinsam mit Tucholsky und Ossietzky.

Aber Kindern Geschichten zu erzählen war ihm immer wieder ein Bedürfnis. „Denn Kinder ... seien dem Guten noch nahe wie Stubennachbarn. Man müsse sie nur lehren, die Tür behutsam aufzuklinken ...“

„Schreiben Sie ein Kinderbuch!“ sagt Edith Jacobsohn - die Verlegerin der „Weltbühne“ und Inhaberin des Kinderbuchverlages Williams & Co. - eines Tages hoffnungsvoll zu Erich Kästner und ediert im Herbst 1929 Kästners erstes Kinderbuch Emil und die Detektive.

Ein Roman für Kinder, dem Pünktchen und Anton, Das fliegende Klassenzimmer und noch viele folgen sollten und der von Walter Trier illustriert, in über dreißig Sprachen übersetzt, nach dem Drehbuch Billy Wilders verfilmt sowie für Hörfunk und Bühne bearbeitet wurde.

Ab 1929 arbeitet Kästner auch für den Hörfunk. Er schreibt das Sendemanuskript zu dem Hörspiel „Leben in dieser Zeit“ für den Sender Breslau, vertont von Edmund Nick.

Das Kästnersche Chanson ist geboren. Dank des Rundfunks ist es bald in vieler Ohren und erobert blitzschnell die Berliner Kabarettbühnen.  Auf den Leib geschneidert textet Kästner u.a. für Trude Hesterberg, die mit seinem Programm „Trotz Notverordnung“ im „Kabarett der Komiker“ 1932 unter stürmischem Beifall brilliert. Aber auch Blandine Ebinger, Annemarie Hase und Kate Kühl beliefert Kästner mit Maßarbeit. Karikierend attackiert der beliebte Humorist und Satiriker bissig, witzig, schonungslos soziale und politische Mißstände der Weimarer Republik. Damit gehört Kästner neben Kurt Tucholsky, Walter Mehring, Roda Roda, Joachim Ringelnatz, Karl Kraus zu den bedeutendsten Vertretern seines Genres.

Zum Film kommt Kästner mit dem Skript „Dann schon lieber Lebertran“. Und weil’s dem Regisseur Max Ophüls gefällt, entsteht daraus gemeinsam 1930 das Drehbuch seines ersten Films.

1931 erscheint sein Roman Fabian in der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart. „Zersetzend“, schreit die rechte Presse und verdammt Kästner zum „Autor der nationalen Schande“. Und dabei wollte er doch nur „vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherten! Er wollte ... mit allen Mitteln in letzter Minute Gehör und Besinnung erzwingen.“

Aber der Sturz in die Barbarei läßt sich nicht mehr aufhalten.

Am 10. Mai 1933 brennen auch Erich Kästners Bücher auf dem Scheiterhaufen der Nazis.

Verboten, verfehmt, denunziert, bleibt Kästner dennoch. Sein Glaube an die Berufung des Schriftstellers, Chronist seiner Zeit zu sein, läßt ihn in Deutschland ausharren.

„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der - in Deutschland
gewachsen -
wenn’s sein muß, in Deutschland verdorrt.“

Flüchtende Freunde bittet Kästner zu bleiben: „Es sei unsere Pflicht und Schuldigkeit, sagte ich, auf unsere Weise dem Regime die Stirn zu bieten ... Sie hörten nicht auf mich. Hätten sie auf mich gehört, dann wären sie heute wahrscheinlich alle tot.“ Opfer des faschistischen Terrors sind auch sein Schulkamerad, der Schauspieler Hans Otto, Freund Erich Ohser und Freund Erich Knauf.

Wen wundert’s, daß Kästner in diesen Zeiten das Eulenspiegel-Thema neu aufgreift. Das Buch Till Eulenspiegel erscheint im Züricher Atrium Verlag 1938 mit Illustrationen des nach London emigrierten Walter Trier. Für seine - trotz Schreibverbot - im Ausland verlegten Bücher erhält er mit Kriegsausbruch keine Zahlungen mehr. Isoliert von der Welt, ums Überleben kämpfend, einsam zum Schweigen verurteilt, richtet er Briefe an sich selbst.

„Früher schriebst Du Bücher, damit andere Menschen, Kinder und auch solche Leute, die nicht mehr wachsen, läsen, was Du gut oder schlecht, schön oder abscheulich, zum Lachen oder Weinen fandest. Du glaubtest, Dich nützlich zu machen. Es war ein Irrtum, ...

Der Teufel muß Dich geritten haben, daß Du Deine kostbare Zeit damit vergeudetest, der Mitwelt zu erzählen, Kriege seien verwerflich, das Leben habe einen höheren Sinn als etwa den, einander zu ärgern, zu betrügen und den Kragen umzudrehen, und es müsse unsere Aufgabe sein, den kommenden Geschlechtern eine bessere, schönere, vernünftigere und glücklichere Erde zu überantworten! ...“

Nur weil die Direktion der Ufa für ihren Jubiläumsfilm „Münchhausen“ 1942 eine Sondergenehmigung beim Reichsfilmdramaturgen Hippler erwirkt, kann das von Kästner geschriebene Drehbuch unter dem Pseudonym Berthold Bürger verfilmt werden.

Nach zwölfjährigem Berufsverbot mischt sich der Moralist aus Leidenschaft, nach dem Krieg in München lebend, erneut wieder ein, als leitender Feuilletonredakteur der Münchner „Neuen Zeitung“, Herausgeber der Jugendzeitschrift „Der Pinguin“, Kabarettautor der Münchner „Schaubude“ und der „Kleinen Freiheit“, Essayist, Poet, Romancier, etc. Bei Durchsicht meiner Bücher lautet der Titel seines Gedichtauswahlbandes, der 1946 als erstes Buch nach der braunen Diktatur im Atrium Verlag Zürich und im Cecilie Dressler Verlag in Berlin erscheint. 1951 wird Erich Kästner zum ersten Präsidenten des „Deutschen PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland“ gewählt.

Kästners liebster Arbeitsplatz ist - diesmal das „Benz“ in der Münchner Leopoldstraße - nach wie vor das Café. Schon als Kind mit Begeisterung die klassischen Volksmärchen verschlingend, adaptiert er die folgenden Bücher neu: „Der gestiefelte Kater“, „Münchhausen“, „Die Schildbürger“, „Don Quichotte“ und „Gullivers Reisen“, in der Hoffnung, das literarische Erbe dem Leser von heute wieder schmackhaft zu machen.

„Der gute Kinderbuchautor ... stehe in unzerstörtem Kontakt mit seiner eigenen Kindheit!“ antwortet Kästner u.a. auf die Frage nach dessen besonderen Fähigkeiten. Für ihn ist sie der Urquell des fabulierenden Flusses. Mit seinen 1957 edierten Kindheitserinnerungen „Als ich ein kleiner Junge war“ setzt er seinen Kinderjahren und natürlich seiner Mutter ein liebevolles Denkmal.

Unter der Regie von Hans Schweikart wird 1957 an den Münchner Kammerspielen Erich Kästners Theaterstück „Die Schule der Diktatoren“ uraufgeführt. Im gleichen Jahre wird ihm - neben mehreren literarischen Auszeichnungen - von der Stadt Darmstadt und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für sein Werk der Georg-Büchner-Preis zuerkannt.

Einst aus dem Trauma des ersten blutigen Weltkriegsgemetzels als Pazifist erwacht, der im satirischen Gewand Erlebtes und Erlittenes künstlerisch verarbeitend fragte „Kennst Du das Land wo die Kanonen blühn“, tritt Erich Kästner in den 50er Jahren anklagend, mahnend als Redner gegen die Atomrüstung auf und demonstriert gemeinsam mit der Friedensbewegung. Auch in den folgenden Jahren nimmt er trotz seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes weiterhin öffentlich Stellung. Der „Gesammelte Kästner“ in sieben Bänden ist 1959 erstmals verlegt. Bekannt sind auch Filme, denen seine Bücher als Vorlagen dienten, wie „Drei Männer im Schnee“, „Die verschwundene Miniatur“, „Die Konferenz der Tiere“, „Das doppelte Lottchen“.

Spät, im Alter von 58 Jahren, wird ihm und Ilse Siebert der Sohn Thomas geboren. Kästners Lebensgefährtin seit den 40er Jahren bleibt bis zu seinem Tode am 29. Juli 1974 Luiselotte Enderle. Wenn Erich Kästner auch gelegentlich der Vorwurf des unbequem kritischen Zeitgenossen nicht erspart blieb, so sind die Millionenauflagen seiner Bücher in aller Welt Bestätigung seines Lebensmottos genug; denn „Satiriker können nicht schweigen, weil sie Schulmeister sind. Und Schulmeister müssen schulmeistern. Ja, und im verstecktesten Winkel ihres Herzens blüht schüchtern und trotz allem Unfug der Welt die törichte, unsinnige Hoffnung, daß die Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser werden könnten ...“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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