Eine Annotation von Hans-Rainer John


Hakansson, Gabriella

Operation B

Roman. Aus dem Schwedischen von Dagmar Mißfeldt.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 200 S.

Kriminalromane sind beliebt: Der Leser wird ständig in Spannung gehalten, geht im Geiste mit den Kommissaren auf Tätersuche und erhält am Ende die komplette Auflösung aller Rätsel, die unterwegs aufgetaucht sind. Beruhigt und befriedigt klappt er das Buch am Ende zu. Nicht so beliebt sind Bücher, die zwar mit kriminalistischer Spannung arbeiten, am Ende aber alle Fragen offenlassen, die sich irgendwie im ungewissen verlieren und die Deutung dem Leser selbst anheimstellen. Sie wirken wie ein Stachel, überlassen es der Lebenserfahrung und Phantasie des Lesers, zu welchen Schlüssen er kommt.

Operation B gehört zu der zweiten Sorte. Der Roman handelt von einer geheimnisvollen weltumspannenden Organisation, die ihre Agenten durch Erbfolge rekrutiert, mit allen zum unauffälligen Lebenswandel nötigen Gütern ausstattet und zur Observation, Langzeitbeobachtung und unmerklichen Beeinflussung der Umwelt einsetzt. Jeder Agent ist Spezialist für engumgrenzte Aufgaben, ein kleines Rädchen ohne Einsicht in die Gesamtorganisation, ihre Struktur, Arbeitsweise und Ziele. Die Verhaltensweise und Aufgabenerfüllung sind präzis vorgeschrieben, Verstöße und Überschreitungen werden streng geahndet. Denn natürlich gibt es Oberobservatoren, welche die Observatoren beaufsichtigen, und am Ende tritt möglicherweise der ebenso gefürchtete wie lichtscheue Herr Sandemann in Aktion, der interne Exekutor, den nur wenige jemals gesehen haben, über den aber jeder spricht.

In dem Buche werden drei raffiniert miteinander verschlungene Fälle geschildert, die sowohl zum Exitus des observierten Subjekts führen als auch zur Unzufriedenheit der Organisation mit den jeweils observierenden Frauen, so daß Herr Sandemann bemüht werden muß. Das alles geschieht spannungsvoll, logisch, psychologisch überzeugend und in genau beschriebenen Schritten, aber Zweck und Ziel bleiben so vieldeutig wie bei Kafka und so unbestimmt wie bei Edgar Allen Poe. Details der „Organisation“ erinnern sowohl an Freimaurer als auch an Scientology oder an moderne Geheimdienste - eine präzise Entschlüsselungsmöglichkeit bleibt absichtlich verwehrt, absolute Deckungsfähigkeit ist vermieden, die Mehrdeutigkeit ist Programm. Der zeitgenössische Leser hat seine eigene Erfahrungen mit solchen Erscheinungen und soll sie wohl bei der Lektüre einbringen.

Gabriella Hakansson, die in Lund Philosophie und Literaturwissenschaft studiert hat und heute in Stockholm lebt, ist eine eigenwillige und phantasievolle Autorin, voll der merkwürdigsten Geschichten. Sie will keine Botschaft transportieren, sondern unterhalten, ein wenig erschrecken und vor allem zum Nachdenken anregen: Wie kann man sich vor einem trostlosen und sinnlosen Leben bewahren, wie findet man Schutz für seine wahre Identität? Dazu errichtet sie Warnzeichen, Rezepte hat sie keine. Daß viele Leser das unaufgelöste Rätselspiel ärgerlich finden werden, weil keine einzige Prallele wirklich schlüssig ist, nimmt sie in Kauf. Da sie ihre sonderbaren Geschichten nicht nur gedanklich bestechend konstruiert, sondern ihnen auch eine sprachlich perfekte Form verliehen hat, ist für den kofabulierenden Konsumenten der Lesegenuß ungetrübt. Der Roman ist ein Debüt. Er kündigt ein literarisches Talent an. Den Namen der Autorin wird man sich merken müssen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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