Eine Annotation von Bernhard Meyer


Eckert, Peter:

Das Pharmakartell

VSA-Verlag, Hamburg 1998. 278 S.

Immer wieder erscheinen Bücher, die auf umstrittene Praktiken der Pharmabranche zielen. Die vorliegende Publikation weist gegenüber anderen einen unschätzbaren Vorzug auf: Autor Prof. Dr. med. Peter Eckert (Jahrgang 1936) wirkte über zwei Jahrzehnte als Chirurg an verschiedenen Krankenhäusern, ehe er in der pharmazeutischen Forschung einschlägiger Marktriesen tätig war. Ein kompetenter Experte also, der sich mit Sachkenntnis vor allem zu Fragen der Verantwortung bei der Einführung neuer Medikamente durch Konzerne, Behörden und Ärzte äußert. Wohltuend ist, daß der Autor trotz früherer Tätigkeit in der Branche, keine schmutzige Wäsche wäscht, keine sensationellen Enthüllungen präsentiert, sondern sachliche Einblicke in einen gemeinhin gut abgeschirmten Bereich gewährt.

Der Autor will aufdecken und anprangern, den Bürger als Patienten und Menschen informieren und schützen. Er soll hellhörig, skeptisch und zugleich kritisch sein. Und er will die dem Deutschen eigene Vertrauensseligkeit gegenüber Behörden und den Glauben, daß diese alles Menschenmögliche zum Schutz seiner Gesundheit unternehmen würden, erschüttern. Der Bürger ist vielmehr „ständigen Gefahren durch unzureichende Arzneimittelkontrolle ausgesetzt“. (S. 12) Nur 0,1 % des Pharma-Umsatzes (S.18) wird für die Sicherheit der eigenen Produkte verwendet. Die ministeriell verordnete Werbefloskel „... fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“ soll dem Verbraucher Sicherheit durch das fachmännische Urteil von Approbierten suggerieren, die keineswegs garantiert werden kann. Der Autor bezweifelt die Kompetenz einer zunehmenden Zahl von Ärzten hinsichtlich der Beurteilung von neuen Arzneimitteln, weil diese aus Zeitmangel nur von der „Roten Liste“, „dem Kurz-Kompendium für eilige Leser“, und von den durch die Verkaufsstrategie der Pharmavertreter geprägten Informationen leben. (S. 167/168)

Das Geschäft mit der Gesundheit des Menschen ist inzwischen zu einem riesigen Markt geworden, der von der Pharmabranche profitabel beackert wird. Der „Lockruf des Geldes“ (S. 81) zwingt einerseits die Unternehmen, die Entwicklungszeiten und damit die sichere Austestung für immer neue Arzneimittel zu verkürzen, andererseits wird es aber komplizierter, dem einst selbstgestellten Anspruch, Wohltäter der Menscheit zu sein, noch gerecht zu werden. Im sehr engagierten Vorwort von Ellis Huber, dem Präsidenten der Berliner Ärztekammer, heißt es dann auch, es gehe „weniger um die Gesundheit der Menschen, als vielmehr darum, wie und wo das schnelle große Geld zu machen ist“. (S. 9) Der Contergan-Skandal habe im nachhinein eben nicht zu mehr Arzneimittelsicherheit geführt, wie der Bürger eigentlich annehmen könnte. Im Kapitel „Glaubwürdigkeitskrise der Pharmabranche“ erfährt der Leser von den unzweifelhaft anerkennenswerten Leistungen in den letzten 100 Jahren, aber auch von der gegenwärtigen Gewinnentwicklung. Betrug der Umsatz der deutschen Pharmaindustrie 1996 allein für verschreibungspflichtige Medikamente 26 Milliarden DM, kamen für die freiverkäuflichen Arzneimittelprodukte nochmals 17 Milliarden DM (1997) hinzu. Gerade die Grenzen des Freiverkaufs sind noch lange nicht erreicht. Peter Eckert diskutiert diesen Problemkreis in 10 Kapiteln anhand zahlreicher Beispiele. Er versucht, wie es in einer Kapitelüberschrift heißt, die „verlogene Welt“ einer Branche aufzuhellen, die in der deutschen Wirtschaft ohne staatliche Subventionen auskommt und immerhin 120 000 Arbeitsplätze bietet. Und die Branche expandiert weiter, hat sich bereits feste Positionen in der teuren gentechnologischen Forschung gesichert, wobei gentechnologische Medikamente „fast unbezahlbar“ sein werden. (S. 254) Führt das zum Exitus des Gesundheitswesens? Der Autor hofft auf rechtzeitige Besinnung - zum Vorteil für alle Betroffenen, auch für die Pharmaindustrie.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 2/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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