Eine Rezension von Martin Kuchenbecker


Berlin im Schnelldurchlauf

Mathias Stengel: Berlin-Mitte

Tradition, Kultur und Szene im Herzen Berlins.

Jaron Verlag, Berlin 1997, 104 S.

Wer nur wenig Zeit für einen Berlin-Trip hat, dem empfiehlt Mathias Stengel, sich auf den Stadtbezirk Mitte zu konzentrieren. Denn dort kann man „auf engstem Raum, sozusagen im Schnelldurchlauf, die mehr als 750jährige Geschichte der Spreemetropole hautnah erleben“. Und wer viel Zeit hat für Berlin, dem wird erst recht der City-Bezirk empfohlen. Denn dieser habe alles zu bieten: „Architektur aller Epochen, Museen, Theater, Kabaretts und Musikhäuser, Oasen der Ruhe, Gaststätten und Kneipen, Hotels, sich entwickelnde Einkaufszentren - und nicht zuletzt liebenswerte Menschen“.

Der Autor hat völlig recht. Und er stellt im Schnelldurchlauf all diese Sehenswürdigkeiten vor und noch ein bißchen mehr. Nur die liebenswürdigen Menschen, die stellt er seinen Lesern nicht näher vor; sie auf der Straße oder im Wirtshaus, beim Galeriebesuch oder vor dem Pergamonaltar zu entdecken, überläßt er den Touristen selbst.

Stengel kennt sich aus in Mitte. Er durchstreift den Bezirk als Redakteur der „Berliner Morgenpost“, um täglich über Neuigkeiten für die Zeitung zu berichten. Dabei hat er sich auch mit Wesenszügen der Berliner Geschichte vertraut gemacht. So weiß er viel Interessantes und Wissenswertes für Gäste und Einheimische mitzuteilen.

Praktischerweise gliedert Stengel sein Handbuch nach einzelnen Kiezen, bei denen er auf einem Fußweg zu besonders bemerkenswerten Kunstwerken, Baudenkmälern und Institutionen informiert und zwischendurch inhaltliche Zusammenfassungen anbietet, zum Beispiel eine Übersicht über die Berliner Mauern seit dem Mittelalter oder aufgelistet „die Hohenzollern in Berlin“, die bei ihm allerdings irreführend erst mit dem Großen Kurfürsten beginnen. Nachdem er so in zwölf Schritten vom Alexanderplatz zur Chausseestraße gekommen ist, geht er in gesonderten Abschnitten auf den Regierungsumzug ein und läßt von Christian Denso und Andrea Puppe das Nacht- und Szene-Leben beleuchten. Anschließend findet man eine knappe Berlin-Chronik, ein paar statistische Daten und eine Aufstellung wichtiger Einrichtungen des Stadtbezirks mit Adressen, Telefonnummern und Öffnungszeiten. Doch insbesondere hier ist wegen der Schnellebigkeit der 90er Jahre Vorsicht geboten: Einige Angaben des im Juli 1997 abgeschlossenen Manuskripts sind bereits überholt.

Andere Angaben sind dagegen von vornherein fehlerhaft. Dafür ein paar Beispiele: Vom Ort des Roten Rathauses, so behauptet Stengel, „werden seit etwa 750 Jahre die Geschicke der Stadt bestimmt“. Doch die Vorgängerbauten des 1869 fertiggestellten Klinkerbaues standen nicht alle an jenem Platz, gar nicht zu reden von den Jahrzehnten, als der Westen Berlins von Schöneberg aus regiert wurde. Auch war das Rote Rathaus nicht zwischen 1948 und 1990 Amtssitz des Ostberliner Oberbürgermeisters, sondern erst - wie ein paar Seiten später richtig erwähnt - seit 1955. Der „sowjetische Partei- und Staatschef Stalin“ war zu keiner Zeit Staatsoberhaupt. Der „leblose Wusterhausener Bär“ im Köllnischen Park hat nichts mit dem Berliner Wappentier zu tun; er stammt auch nicht von der dort gelegenen Bastion der Stadtbefestigung, sondern aus dem einst dahinter befindlichen Grünen Graben. Für die am Potsdamer Platz „Ende des 19. Jahrhunderts“ entstandenen Bauten fällt Stengel nur eines ein, und zwar das 1911/12 errichtete Haus Potsdam, das spätere Haus Vaterland. Diese Bebauung, so schreibt er weiter, wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört; „lediglich die Torbauten Schinkels blieben intakt“ - bedauerlich, daß die Wahrheit eine andere ist. Unverständlich finde ich, daß Stengel die Geschichte der Neuen Wache Unter den Linden 1990 abbrechen läßt. Unzutreffend ist die Aussage, der Checkpoint Charlie sei von 1961 bis 1990 „die einzige Übergangsstelle für Alliierte, Ausländer und Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland sowie für DDR-Funktionäre“ gewesen. Ungenau ist die Formulierung, Berlin wäre erst am 13. August 1961 „zu einer geteilten Stadt“ geworden, falsch sogar die Angabe, das Passieren von West nach Ost sei dann erst ab 1963 wieder möglich gewesen. Und völligen Unsinn stellt die Zuordnung der Ostberliner Mauer an der Bernauer Straße zum Westberliner Stadtbezirk Wedding dar.

Trotz aller solcher Schludrigkeiten kann das Büchlein mit Einschränkungen als hilfreicher und auskunftsfreudiger Begleiter bei der Erkundung von Berlins Mitte dienen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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