Eine Rezension von Uwe Zeitler


SPD-Frauen im Nachkriegs-Berlin

Bettina Michalski: Louise Schroeders Schwestern

Berliner Sozialdemokratinnen der Nachkriegszeit.
Herausgegeben vom Franz-Neumann-Archiv.

Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn 1996, 304 S.

Nach der für die SPD erfolgreichen Bundestagswahl 1998 erhob sich ein Gerangel um die zu vergebenden Posten. Darin eingeschlossen die Sozialdemokratinnen, die wacker um Quoten kämpften, jedoch die angestrebten hohen Ämter der Präsidentschaft von Bund und Bundestag weit verfehlten. Ein neues Kapitel eines alten SPD-Nachkriegsstückes mit neuen Darstellern und einigen Fortschritten in 50 Jahren. Manfred Rexin, der langjährige verdienstvolle Vorsitzende des Franz-Neumann-Archivs, merkt in seinem Vorwort an, daß die damals in Berlin während der Blockade außerordentlich populäre amtierende Oberbürgermeisterin Louise Schroeder im Gespräch für die Kandidatur zur Bundespräsidentin war.

Die Autorin Bettina Michalski untersucht in ihrer wohlgelungenen Arbeit über SPD-Frauen im Nachkriegs-Berlin auch deren Einbindung in die Landes- und Bezirkspolitik sowie in die Gremien der Sozialdemokratie. Der Aufruf zur Wiederbegründung der SPD vom 17.Juni 1945 trägt 14 Unterschriften, darunter jedoch keine einzige von einer Frau. Erst im November 1945 rückten mit Annedore Leber, Käthe Kern und Toni Wohlgemuth drei Sozialdemokratinnen in das höchste Parteigremium, den Zentralausschuß, ein. (S. 59ff) Die folgenden Statutenänderungen der Berliner Landes-SPD spiegeln das Hin und Her von Frauenquotierung wider. Der langjährige Berliner Landesvorsitzende Franz Neumann trat für den offenen Wettbewerb von Frauen und Männern um die Funktionen ein, denn „jede Sondervertretung der Frau wird immer dazu führen, daß die ordentlichen Funktionärsposten von Männern eingenommen werden“. (S. 60/61) Mit diesen und anderen Auffassungen zum Frauenanteil, wie z. B. die organisierte Interessenvertretung der Frauen störe die Einheit der Partei, setzt sich die Verfasserin kenntnisreich und engagiert auseinander.

Bettina Michalski verfolgt die Absicht, das Wirken von namhaften und schon vergessenen Sozialdemokratinnen in der Berliner Nachkriegszeit im historischen Gedächtnis der SPD und der Stadt Berlin bleibend zu verankern. Sie gibt zunächst in einem ersten Teil ein knapp gefaßtes Bild der Berliner Situation nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die durch Stichworte wie Frauenüberschuß, Trümmerfrauen, Nähstuben, „Rettet die Kinder“ charakterisiert ist, aber auch durch die Bildung antifaschistisch-demokratischer Frauenausschüsse und den 1947 daraus entstandenen Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD). Hieran wirkten Frauen der KPD und SPD zusammen und verfolgten doch gleichzeitig ihre speziellen parteipolitischen Interessen, obwohl die zu bewältigenden Sachthemen wie Beschaffung der täglichen Lebensmittelrationen, des Heizmaterials usw. dies überhaupt nicht erforderten. Das alles schildert die Autorin bemerkenswert sachlich und streng an den Fakten orientiert, wobei auf vordergründige Urteile und Wertungen verzichtet wird. So entsteht ein ausgewogenes Bild von den unterschiedlichen Frauenaktivitäten vor allem der mit der SPD verbundenen Frauen. Hier und da gibt es Erklärungsnot, wie bei der Abschaffung der Frauenausschüsse durch den SPD-geführten Magistrat im März 1947, einem Vorgang, der sich auch heute nicht überzeugend rechtfertigen läßt.

Das von der Autorin zusammengetragene Material wird nach verschiedenen Gesichtspunkten statistisch ausgewertet und bildet die Grundlage für den Versuch, eine kollektive Biographie der „Sozialdemokratin der ersten Stunde“ zu entwerfen. Dieses Herangehen erforderte von der Politikwissenschaftlerin Michalski historischen Rückblick auf die Geschichte der Sozialdemokratie seit der Jahrhundertwende, dem sie sich durchaus gewachsen zeigt. Da die Sozialdemokratinnen 1945 keine Stunde Null erlebten, mußte nachvollzogen werden, mit welchem Erbe die Frauen einen Neubeginn anstrebten. Dabei spielte offensichtlich für viele von ihnen die Bebelsche Schrift „Die Frau und der Sozialismus“ eine nicht unerhebliche Rolle.

Insgesamt nahm die Autorin an die 500 Parlamentarierinnen und wichtige Funktionärinnen ins Visier, von denen sie über 100 im zweiten Teil, dem Hauptteil ihrer Publikation, mehr oder weniger ausführlich vorstellt. Die Namensliste der in das „biographische Mosaik“ aufgenommenen SPD-Frauen reicht von Marie Auguste Barthel aus dem Wedding bis Pauline Zuncke aus Lichtenberg. Dazwischen viele bekannte sozialdemokratische Namen wie Hertha Beese, Ella Kay, Edith Krappe, Erna Maraun, Anna Nemitz und Erna Wiechert, aber auch Edith Baumann und Käthe Kern sowie Frauen, deren Ehemänner einen größeren Bekanntheitsgrad erreichten wie Margarete Fechner, Käte Klingelhöfer, Lore Lipschitz und Susanne Suhr, allesamt nach der Diktion der Autorin Schwestern der als Symbolfigur geltenden Louise Schroeder. Inzwischen hat der Senat von Berlin die „Louise-Schroeder-Medaille“ als weibliches Pendant zur „Ernst-Reuter-Medaille“ gestiftet, deren Verleihung 1998 erstmalig an die Publizistin Carola Stern erfolgte.

Die biographischen Angaben sind in der Mehrzahl lexikalisch-informativ aufgemacht und umfassen jeweils getrennt politische und persönliche Daten. Der Umfang der einzelnen Biographien reicht allerdings von 5 Zeilen bis zu 9 Seiten. Das ist einerseits der differenzierten Quellenlage geschuldet, aber auch andererseits dem unterschiedlichen Bekanntheitsgrad und der Aktivität der einzelnen Sozialdemokratinnen. Dennoch stimmen die Proportionen oft nicht, wenn z.B. bei einigen weniger bekannten Frauen relativ viel geschrieben (Ingeborg Giers, Gisela Miessner) und bei bekannteren (Katherina Kleikamp, Erna Maraun) bei besserer Quellenlage der Umfang knapp gehalten wird. Bei Lore Lipschitz, Else Megelin und der Ärztin Dr. Barbara Renthe-Fink sind sozialdemokratische Aktivitäten im angegebenen Zeitraum nicht feststellbar. Die Angaben bei Edith Baumann enden samt und sonders mit dem Kriegsende - bis auf den Hinweis, daß sie die erste und dann geschiedene Ehefrau Erich Honeckers war. Dabei sind weitere biographische Angaben zu ihrer Person leicht auffindbar. Bei Käthe Kern und Toni Wohlgemuth hingegen, die als bekannte Sozialdemokratinnen 1946 ebenfalls wie E. Baumann in die SED eintraten, sind ausführliche Darstellungen zu finden, die bei T. Wohlgemuth sogar in nachfühlend-verzeihende Sympathie übergehen.

Diese von mir mehr marginal gedachten Anmerkungen verwischen keineswegs die enorme Leistung der Autorin beim Aufspüren der vielen biographischen Einzelheiten von Frauen, die in ihrer Gesamtheit an der Seite der Männer - und manchmal ihnen auch ein Stückchen voraus - das Leben nach Kriegsende wieder in Gang gebracht haben. Dafür nutzte die Autorin die umfänglichen Archivmaterialien des Franz-Neumann-Archivs (FNA) wie darüber hinaus einschlägige Archive und Literatur. Die über zweijährige fleißige Sammelarbeit rückt SPD-Frauen auf den ihnen gebührenden Platz im politischen Nachkriegsleben Berlins, offenbart aber zugleich das Fehlen der nicht minder engagierten und verdienstvollen Frauen der anderen Berliner Parteien und Frauenorganisationen. Dennoch wurde eine wichtige Publikation vorgelegt, die der Aufhellung der Berliner Stadtgeschichte dient und die erneut die Leistungsfähigkeit des Franz-Neumann-Archivs nachhaltig unterstreicht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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