Eine Rezension von Bernd Grabowski


Radio Jerewan meldet

Christiane Landgrebe/Cornelie Kister: Flaneure, Musen, Bohemiens

Literatenleben in Berlin.

Ullstein Verlag, Berlin 1998, 239 S.

„Die Friedrichshagener Dichterkolonie“, diesem Kapitel in dem neuen Band galt zuerst meine besondere Aufmerksamkeit, hatte ich mich doch gerade mal wieder mit dem Thema beschäftigt. Ich hoffte, dadurch meine Kenntnisse um interessante Details erweitern zu können. Das ist mir auch gelungen. So erfuhr ich von dem Seitensprung Adele Bölsches, die ein paar Zeilen weiter Agathe heißt, mit Bernhard Kampffmeyer. Doch manche hier ausgebreitete Neuigkeit entpuppte sich bei näherem Hinsehen als höchst zweifelhaft. Den Atheisten Bruno Wille als Laienprediger zu bezeichnen und ihn in einer freikirchlichen Gemeinde lehren zu lassen, ist schlicht falsch. Denn er erteilte weltanschaulichen Unterricht an der freireligiösen Gemeinde, was praktisch das Gegenteil bedeutet. Das Fehlen einer Unterrichtsgenehmigung war nicht der Grund, sondern der juristisch kaum haltbare Vorwand, ihn zum Verzicht auf den Unterricht zu zwingen bzw. ihn auf administrativem Wege mit einer Strafe zu belegen. Ungenau ist auch Ort und Dauer seiner Gefangenschaft. So war er nicht 60 Tage im Hinterhaus des Gasthofs „Zum Preußischen Adler“ Müggelstraße in Beugehaft, sondern nur etwa halb so lange (9.11.-14.12.1895). Der Gasthof hieß zudem richtig „Zum schwarzen Adler“, er befand sich in der Rahnsdorfer Straße, eine Müggelstraße ist damals und heute in Friedrichshagen nicht nachweisbar, und die Haft hatte Wille ersatzweise statt Geldstrafe gewählt. Die ganze Sache erinnert mächtig an Meldungen, die man sich früher vom Sender Jerewan erzählte.

Auch bei anderen „Fakten“ ist Vorsicht am Platze. So ist beispielsweise zu lesen, daß Bismarck auch Gesetze erlassen konnte und Honecker sich bereits 1970 Generalsekretär nannte.

Selbst der Untertitel ist nicht ganz zutreffend. Daß unter „Literatenleben in Berlin“ auch die damals 15 km von Berlin entfernte Dichterkolonie Friedrichshagen subsumiert wird, ist im Hinblick auf die Eingemeindung 1920 noch zu tolerieren. Ebenso die Kapitel über den Verleger Ernst Rowohlt und den (auch schreibenden) Theaterdirektor Ernst-Josef Aufricht wegen ihrer Nähe zum Literatenleben. Aber der Fotograf Henry Ries oder die Malerin Erika von Hornstein sind doch wohl kaum als Literaten anzusprechen.

Von solchen Ungenauigkeiten abgesehen, bieten Christiane Landgrebe und Cornelie Kister amüsante, informative, mit leichter Feder geschriebene Geschichten und Geschichtchen über recht verschiedenartige in- und ausländische Künstler, Schriftsteller und Publizisten an der Spree. Den Reigen eröffnet E. T. A. Hoffmann, vertreten sind ferner Joseph Roth, Else Lasker-Schüler, Erich Kästner, Gottfried Benn, Kurt Tucholsky, Leonie Ossowski, Roberto Giardina, Kerstin Hensel sowie Andrej Bely und andere russische Emigranten der zwanziger Jahre.

Wer Geschmack an den gebotenen biographischen Ausschnitten gefunden hat, dem empfehlen die beiden Autorinnen weitergehende Lektüre, wofür sie eine allerdings sehr knapp gehaltene Auswahlbibliographie zusammengestellt haben. Aber es gibt noch mehr Literaten mit bewegten Lebenswegen in Berlin, ihnen könnte der nächste Band gewidmet sein. Dann aber mit mehr Sorgfalt recherchiert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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