Eine Rezension von Bernhard Meyer


Zwischen Berufsethos und Marketing

Gerd Gröde: Kostenfalle Zahnarzt

Über das Geschäft mit den Zähnen.

Ullstein Verlag, Berlin 1998, 224 S.

Der Gang zum Zahnarzt fällt naturgemäß niemandem leicht. Nun findet sich aus berufenem Zahnarztmund bestätigt, was sich schon in Vermutungen zunehmend manifestierte: In immer mehr Zahnarztkitteln steckt einer, der am Patienten nur verdienen will. Exzellent verdienen, versteht sich. Die Zähne werden zum Verdienstobjekt degradiert. Es geht ihnen weniger um unser Kauwerkzeug als vielmehr darum, so viel wie möglich Geld aus ihrem unzulänglichen Zustand herauszuschlagen. Da ist ihnen der privat Zahlende, am besten eignet sich der betuchte Hobby-Golfer mit entsprechender Nobelkarosse, lieber als der normale Kassenpatient. Die einen werden hofiert und umgarnt, die anderen einfach nur abgefertigt, gerade noch pflichtgemäß. Dieser sich ausbreitende, offenbar nicht einzudämmende Tatbestand erfülle die Bedingungen einer Zweiklassenmedizin (S. 10). So schildert es der Autor Gerd Gröde, langjähriger niedergelassener Zahnarzt mit Herz und Einfühlungsvermögen für den Patienten. Er muß es wissen, und er bietet seine Kenntnisse und Erfahrungen dem Leser an. Gewissermaßen plaudert er Geschäftspraktiken aus, die seine Berufskollegen natürlich nicht in der Öffentlichkeit wissen möchten. Ein Nestbeschmutzer also, der kräftig hinter die Kulissen seines Berufsstandes leuchtet.

Was erwartet den Leser, der vom Autor wissend gemacht werden soll? Ein Erfahrungsbericht zur Aufdeckung und Durchleuchtung alltäglicher Machenschaften in beliebig vielen zahnärztlichen Praxen landauf landab zwecks Schröpfung eines zahlungsfähigen Klientels und zum Absahnen bei den Krankenkassen. Wer eine Zahnarztpraxis betritt, muß sich darauf einstellen, daß ihn dort ein auf „Marketing orientiertes Denken“ (S. 16) umfangen wird. So laufen alle Empfehlungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Gebisses immer alternativlos auf die teuersten Füllungen, Inlays, Brücken, Kronen oder die teuersten künstlichen Gebisse hinaus. Nur ein Beispiel: Das früher weitverbreitete und auch heute noch kostengünstige Amalgam wird derartig negativ belegt, daß sich eine wachsende Zahl von Patienten für andere Füllungen entscheidet. Diese aber sind teuer und müssen aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Der Zahnarzt fungiert somit zunehmend als kommerziell ausgerichteter Kundenberater mit Blick auf ein einträgliches Privathonorar. Manche scheuen, so der Autor, nicht davor zurück, den Patienten in Kostenfallen zu locken. An die Stelle eines vertrauensvollen, ethisch untersetzten Zahnarzt-Patient-Verhältnisses rückt die nüchterne Anbieter-Kunden-Beziehung. Und doch ist dieses Bild nicht stimmig, denn in diesem Beziehungsgeflecht dominiert der wissende Zahnmediziner mit unübersehbarem Heimvorteil über den verunsicherten, nur lückenhaft informierten, seine Rechte nur unzulänglich kennenden und wahrnehmenden Patienten. Dieser bringt noch immer dem Stomatologen gebührlichen Respekt entgegen und vergibt einen nicht unerheblichen Vertrauensbonus hinsichtlich seiner Lauterkeit.

Das allerdings wird dem Patienten immer weniger gedankt. Gröde versucht, den Leser für seinen nächsten Gang zum Zahnarzt aufzurüsten, ihn sehend zu machen. Das geschieht in mitunter etwas zu umfänglich geratenen Textpassagen, die immer wieder durch hervorgehobene Ratschläge abgerundet werden. Da häuft sich einiges für den Leser-Patienten an. Es muß stark bezweifelt werden, ob eine Vielzahl von Patienten überhaupt in der Lage ist, diese Informationsfülle zu durchdringen, und noch mehr, ob sie das erforderliche Selbstbewußtsein und die Redegewandtheit parat haben werden, um dem versierten Zahnarzt auf dessen ureigenstem Terrain auch nur halbwegs Paroli bieten zu können. Es ist kaum vorstellbar, daß ein Patient vor Beginn der Behandlung die Courage aufbringt, den eiligen Zahnarzt zu fragen, „was genau gemacht werden soll, wie die Behandlung verlaufen wird, welche Ergebnisse zu erwarten sind, welche Alternativen zu den vorgeschlagenen Behandlungen existieren, welche Risiken auftreten können, welche Kosten kommen könnten“. (S.176) Die vom Autor im Falle von unüberbrückbaren Unstimmigkeiten als die konsequenteste Lösung angeratene Empfehlung an den Patienten lautet dann auch nur etwas resignierend: Wechsel des Zahnarztes. Das ist sicherlich richtig, doch wo findet sich der Zahnarzt, der die gewünschten Verhaltensweisen noch sein eigen nennt? Eigentlich nimmt sich gar keiner mehr die Zeit für ein Patientengespräch. Letztlich geht es dem Zahnarzt nur darum, so der Autor, recht schnell vom Patienten die Zustimmung zu der Behandlung zu erlangen, die er ihm vorschlägt. Die Lage scheint fast schon so, daß der Patient, der seine gesetzlichen Rechte wahren und fachspezifisch korrekt beraten werden will, einen Experten an seiner Seite braucht wie der Kläger oder Angeklagte, der mit einem Rechtsanwalt vor ein Gericht zieht. Der Autor benennt als Ursache für diese Situation das fortlaufend aus dem Ruder laufende Gewinnstreben der Zahnärzte, die alle sich bietenden fachlichen und gesetzlichen Aspekte für sich ausnutzen. Ist diese Situation schon für den Altbundesbürger nicht mehr beherrschbar, der immerhin mit diesem Gesundheitssystem aufgewachsen ist, so sind die Menschen im Osten noch viel hilfloser. Sie haben immerhin noch den Zahnarzt kennengelernt, der als staatlich Angestellter und Bezahlter sich unvoreingenommen nur den Zähnen seiner Patienten widmen konnte. Mancher Ostbürger erlebt jetzt bei seinem ihm seit Jahrzehnten vertrauten Zahnarzt die differenziert verlaufende Wandlung zu einem geldmachenden Jünger der heilenden Zunft. Aber davon enthält das Buch nichts.

Gröde stellt in seinem Vorwort fest, „daß die Mehrheit meiner zahnärztlichen Kollegen und Kolleginnen sich täglich nach bestem Gewissen um gute Ergebnisse bei ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit bemüht“. (S. 12) Das wird wohl so sein, doch der Trend verläuft anders, sehr viel anders, denn wie sonst hätte der Autor überhaupt Veranlassung zu seiner Schrift gehabt! Leider entsteht beim Lesen hier und da der Eindruck, als ob die stets anonym beschriebenen Vorgänge sich auf Großverdiener reduzieren, die das alles nur in „Champagnerlaune“ machen und stets an den Porsche und die exklusive Yacht denken. Das trifft nur bedingt die Motivlage, denn es vernachlässigt objektiv gegebene Zwänge in der Gesellschaft. Immerhin gibt es auch arme Zahnärzte und solche, die Konkurs anmelden müssen oder arbeitslos sind. Handelt es sich dabei um diejenigen, die nicht genügend gewinnorientiert praktizieren? Nicht zu vergessen die Berufskollegen in den neuen Bundesländern, die hohe Kredite abzuzahlen haben und die allein deswegen gezwungen sind, viel Geld zu verdienen. Diesen Blickwinkel hat der Autor nicht.

Der gutgemeinte Appell von Gerd Gröde wird (fast) ungelesen verhallen, denn das alles beherrschende Gewinnstreben der Marktwirtschaft wird bald die letzten Bastionen medizinischer Berufsethik und humanistischen Denkens überrollen. Genau genommen will der Autor an diesem Gesundheitssystem nichts ändern, jedenfalls unterbreitet er keine gesundheitspolitischen Alternativen. Er plädiert für die Einhaltung der Gesetzlichkeit durch seine Kollegen und einen starken Patienten. Auch der informierte und selbstbewußte Patient wird an den sich einpegelnden Normen der auch von ihrer Standesorganisation gedeckten Zahnärzteschaft nichts ändern können. Das ist bedauerlich, hat aber seine Logik in den nüchternen Auswirkungen, die einer Marktwirtschaft eigen sind. Und diesen kann sich der Zahnarzt nicht entziehen, auch wenn seine Berufsethik anderes von ihm verlangt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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