Eine Rezension von Bernd Heimberger


Präsident im Palast

Fernando Diego Garcia/Oscar Sola (Hrsg.): Allende. Das Ende einer Ära.

Übersetzt von Angelika Bussas.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 225 S.

Es war ein besonderer Tag. Auch ein sonderbarer. Es war ein trister, trostloser Tag, als die Meldung bestätigt wurde, daß Salvador Allende tot ist. Unmöglich war es, Allendes Neffen zu verstehen, der nach der Nachricht aufstand und zu tanzen begann. Einen Tanz der Trauer und des Trotzes. Schwer zu begreifen für die ratlos Umherstehenden, die in der kleinen Berliner Wohnung dem Tänzer zusahen. Wer hatte je wirklich verstanden, was der Sieg der Sozialistischen Partei Chiles, die Inthronisierung Allendes als Präsident bedeutete? Das „sozialistische Lager“ okkupierte den chilenischen Sieger bedenkenlos als einen der ihren. Das „westliche Lager“ fühlte sich durch das kommunistische Krebsgeschwür im südamerikanischen Kontinent bedroht. Die Besitzenden und Besitzer der Welt waren nicht gewillt, ein weiteres Kuba in der Hemisphäre zu dulden.

Ein Vierteljahrhundert später wird der Tod des Salvador Allende - 11. September 1973 - als „Das Ende einer Ära“ apostrophiert. Zumindest riskieren das die Macher des Allende-Buches, das dem Che-Guevara-Buch nachempfunden ist, welches vor Jahresfrist ebenfalls im Aufbau-Verlags-Konsortium auftauchte. Die Ermordung des Präsidenten wurde billigend in Kauf genommen. Das dokumentiert der text- und bildreiche Band. Die Absicht, Allende vor dem Bombardement aus dem Präsidentenpalast - La Monada - zu evakuieren, war das unredlichste Angebot der Putschisten. Pinochet wollte, daß Allende per Flugzeug abtransportiert wird, doch nirgendwo lebend landet. Ein teuflischer Plan. Der Tod des Präsidenten im Palast hat dem Mythos Allende dauerhaft Glanz verliehen. Das Buch wischt den Staub von der Politur. Die Texte haben das Tempo des Trotzes wie einst der Toten-Tanz des Allende-Neffen. Das Engagement der Autoren versetzt auch die Leser in Schwung. Neugierig nehmen sie - oder bekommen sie - Kenntnis von einem sozialistischen Experiment auf dieser Erde, das mit keiner Sozialismus-Variante Mittel- und Osteuropas vergleichbar war. Aber auch nicht gänzlich ohne Korrespondenz zu europäischen Ereignissen, das heißt zum „Prager Frühling“, der im August 1968 zu Ende war und somit tatsächlich eine Ära beendete. Die Ära des Glaubens an den Kommunismus. Chile war noch einmal die (letzte?) Hoffnung aller Linken der Welt. Das sozialistische Weltsystem war bereits im Zerfall, bevor die Reaktionäre der Welt, im September 1973, den chilenischen Frühling vereisten. Auch die Ära der chilenischen Militärs war am Ende, bevor sie endete. Weil die Autoren wissen, daß Ära auf Ära folgt, ist ihr Allende-Buch kein allerletztes Requiem auf den Sozialismus. Könnte es nicht noch einmal geschehen, daß ein bekennender Marxist zum Staatschef gewählt wird? Eines kann Salvador Allende niemand mehr nehmen - er war der erste Marxist, der per demokratischer Wahl ins Präsidentenamt kam. Seine Nichte Isabel Allende schildert in ihrem schlichten Vorwort ein Gespräch des Präsidenten mit seinem Chauffeur. Eine Anekdote, die jedem die Tränen des Lachens in die Augen treiben wird. Selbst lesen!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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