Eine Rezension von Rainer Bert


Die Sowjetführer bestanden auf Schwarz-Weiß-Rot

Jan Emendörfer: Verfemt. Mein Vater Max Emendörfer

Frankfurt Oder Editionen, Frankfurt/O. 1997, 264 S.

Das Buch vereinigt zwei Themen: das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) und die Biographie Max Emendörfers.

Der Autor, Jan Emendörfer, arbeitet mit der Biographie seines Vater Max ein Stück Familiengeschichte auf. Begonnen hat er mit der Niederschrift im Mai 1990. Er hatte damals aufgrund der Schwemme an sogenannter Stalinismus-Literatur die Arbeit nicht besonders intensiv betrieben und das Manuskript liegenlassen. Erst die Ermunterung, die sachkundige Unterstützung und die Hilfe bei der Suche nach einem Verlag 1996 durch den „Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung ,Freies Deutschland‘ (DRAFD)“ ließ das Projekt wieder Gestalt annehmen.

Als Gerüst diente Jan Emendörfer ein 29 Seiten langer, handgeschriebener Lebenslauf seines Vaters, den er im Zentralen Parteiarchiv der SED im Frühjahr 1990 erstmals einsehen konnte. Max Emendörfer, der in der Familie nur selten über sein Schicksal sprach, hatte ihn am 16. Januar 1956 verfaßt. Das war fünf Tage, nachdem er aus sowjetischen Lagern zurückgekehrt war. Die Arbeit Jan Emendörfers basiert auf einem intensiven Archivstudium, dem schriftlichen Nachlaß seines Vaters, Briefen, Fotos und der Befragung von Zeitzeugen. Zu seinen Quellen gehörte auch der Originaltext eines Erlebnisberichts, an dem sein Vater mehrere Jahre geschrieben hatte. Als diese Erinnerungen unter dem Titel Rückkehr an die Front 1972 im Militärverlag gedruckt wurden, konnten sie nur - milde formuliert - in stark veränderter Fassung erscheinen.

Das über weite Strecken recht flüssig geschriebene Buch enthält interessantes und bisher unbekanntes Material und besticht durch zahlreiche sachlich vermittelte Fakten. Die Thematik des Bandes stellt ein kontrovers bewertetes Gebiet deutscher (und deutsch-sowjetischer) Geschichte dar und wurde in der Alt-BRD und in der DDR weitgehend ausgespart, gehörte gewissermaßen zu den Tabu-Themen. Das NKFD war in der Bundesrepublik - vor allem bei konservativen Kräften - von dem Geruch des „Verrats“ umgeben und galt als verlängerter Arm der KPD/KPdSU. In der DDR wurden Verhaftungen und Internierungen in sowjetischen Lagern und stalinistische Repressionen gegenüber den NKFD-Mitgliedern verschwiegen oder verschleiert (bei Emendörfer hieß die DDR-Version verfälschend gar, er sei in dieser Zeit „an verschiedenen Stellen in der Sowjetunion tätig gewesen“, S. 3). Es ist nicht verwunderlich, daß bisher relativ wenig solide Arbeiten zum NKFD vorliegen.

Das Schicksal Max Emendörfers gibt dem Buch sein besonderes Gepräge. Max Emendörfer wurde 1911 in Tübingen geboren. 1931 trat der in Frankfurt lebende Emendörfer in die KPD ein. Unter den NS-Machthabern wurde er mehrfach inhaftiert, u. a. in den KZ Esterwegen und Sachsenhausen. Nachdem er aus dem KZ freigelassen war, versuchten die NS-Behörden vergeblich, ihn als Spitzel anzuwerben. Er entzog sich der Anwerbung, indem er sich freiwillig zur Wehrmacht meldete, wurde allerdings zwischenzeitlich als „wehrunwürdig“ entlassen. An der sowjetischen Front lief der Kommunist im Januar 1942 bei der ersten günstigen Gelegenheit über. In sowjetischen Kriegsgefangenenlagern wurde er politisch geschult, dann zum Propagandaeinsatz an die Front geschickt und nach Gründung des NKFD 1943 (als einziger Soldat!) dessen Vizepräsident. Nach Deutschland zurückgekehrt, wollte er nach Frankfurt/M. zurück, doch Ulbricht ihn in der Ostzone behalten. Am Tag nach dem Gespräch mit Ulbricht (10. 8. 1945) wurde Emendörfer unter dem Vorwand einer „Registrierungsangelegenheit“ von sowjetischen Behörden verhaftet. Der Vorwurf, ein „Gestapo-Spitzel“ zu sein, traf Emendörfer nicht nur persönlich tief, sondern schnitt gravierend in sein Leben ein. Er kam in die Internierungslager Hohenschönhausen und Sachsenhausen, im Januar 1947 begann die Odyssee durch Kriegsgefangenenlager der Sowjetunion. Doch erst Anfang 1952 wurde er zu 10 Jahren Verbannung nach Sibirien verurteilt. Als Emendörfer schließlich 1956 in die DDR entlassen wurde, erfüllte sich seine Hoffnung auf Rehabilitierung nicht (sie erfolgte erst 1990!). Er arbeitete nun zumeist als Parteijournalist in verschiedenen Ressorts an der Hallenser „Freiheit“. 1969 invalidisiert, starb er 1974.

Die Darstellung der Gründung des NKFD ist besonderes interessant. Sie geht gegen die Legende an, daß die Entstehung des NKFD auf eine eigenständige Initiative des ZK der KPD zurückzuführen war. Auch Emendörfer hat den Hergang erst Jahre später erfahren, als ihm - wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre - Rudolf Herrnstadt einen Bericht über die Vorgeschichte des NKFD diktierte und zur Aufbewahrung übergab. Diesem Bericht zufolge war Herrnstadt Anfang Juni 1943 zu Manuilski (einem Führer der Komintern) bestellt worden, der ihm mitteilte, daß die Gründung eines Nationalkomitees genehmigt sei. Der dann von Alfred Kurella und Herrnstadt gefertigte Entwurf enthielt die mit Manuilski vereinbarten Losungen und wurde von Stalin abgesegnet. Manuilski dazu hocherfreut: „Genosse Stalin hat es ohne eine einzige Korrektur bestätigt.“ (S. 143) Manuilski und offenbar die KPdSU-Führung bestanden darauf, daß das Nationalkomitee mit den Farben Schwarz-Weiß-Rot auftrete, da Schwarz-Rot-Gold bei der deutschen Armee - um deren Gewinnung es in erster Linie ging - total kompromittiert wäre. Der Schlußfolgerung, die Farben Schwarz-Weiß-Rot würden ansprechender wirken, konnten sich die KPD-Führer nicht anschließen. Auch daß kein KPD-Funktionär Präsident des NKFD werden sollte, stieß auf wenig Gegenliebe. Leider offenbart die Wiedergabe dieses Berichts von Herrnstadt einen Grundmangel des gesamten Buches. So wird hier nicht völlig deutlich, was Herrnstadt tatsächlich niederschreiben ließ und wo eine Interpretation erfolgte. Das gilt insgesamt für das Buch, so daß es für den Leser manchmal schwer nachzuvollziehen ist, wessen Position jeweils dargelegt wird. Eine quellenkritische Verarbeitung der Materialien wäre genauso wie eine genaue Kennzeichnung von Zitaten bei Gesprächen und Reden angebracht gewesen. Der Band hätte auch gewonnen, wenn einige Ereignisse, Sachverhalte und Daten korrekter bzw. präziser dargestellt worden wären. So hätte man sachliche Fehler vermeiden können. Die Anmerkungen sind wenig aussagekräftig. Eine Lektorierung hätte dem Band insgesamt, so auch dem Personenregister, gutgetan. Dennoch, ein auch (oder gerade) für den Nichthistoriker lesenswertes Buch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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