Eine Rezension von Rainer Jahn


Ein neuer Pferdeheiler

Evita Wolff: Im Schatten des Pferdemondes

Roman.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1998, 470 S.

Vor einiger Zeit hat uns Nicolas Evans in seinem gleichnamigen Roman mit einem Pferdeflüsterer bekannt gemacht. Das ist ein wundersam begabter Mann, der imstande ist, edle Tiere, die durch Fehler des Halters, Unfälle oder Gewalteinwirkungen aggressiv oder depressiv, störrisch, auf jeden Fall unberechenbar und gefährlich geworden sind, mit psychischen Mitteln zu heilen. Jetzt hat Evita Wolff (35), geboren in Niedersachsen, studierte Tier- und Humanmedizinerin, in einem Berliner Krankenhaus tätig, ein deutsches Pendant hinzugefügt. Der etwas schwammige Titel deutet bereits auf die romantisierende Version, und tatsächlich, wenn die Filmrechte am Pferdeflüsterer von Robert Redford erworben wurden, so müßte hier im Falle einer Verfilmung die Titelrolle wohl am ehesten Leonardo di Caprio zufallen.

In Eric (26) hat Evita Wolff nämlich ihrem Idealbild ein Denkmal gesetzt. Er ist nicht nur jung, groß, kräftig und hübsch, sondern auch höflich, fleißig, kompetent und hilfsbereit. Er ist nicht nur sexy, sondern auch geduldig, zurückhaltend, bescheiden und rücksichtsvoll, und deshalb wird er von allen Mitmenschen (vor allem den Mädchen und Frauen) geachtet, geschätzt und geliebt bis zur Selbstaufopferung. Zu Tieren hat es ihn hingezogen, weil er als Waisenknabe wenig Zuwendung der Menschen erfahren hat; so ist er nicht nur ein begehrter Pferdeheiler geworden, für den kein Problem ungelöst bleibt, sondern auch ein hochqualifizierter Tierarzt, der hohes Ansehen erwirbt. Und weil er in der Kindheit so einsam war, ist er glücklich, nun im Mannesalter in seinen Wirtsleuten, den Hickmans, wahre Zieheltern zu finden, die ihn an Sohnes Statt umsorgen und verwöhnen.

Daß er Jeans und alte Pullover zweckmäßiger findet als Schlips und Kragen, ist sicher seiner Profession geschuldet, und daß er eine alte Rostlaube fährt („abblätternder Lack und kleine Wolken Rost rieselten in feinen Schauern nieder, als er die Tür öffnete“) seiner Bescheidenheit. Aber daß er bis ins reife Alter jede sich für ihn interessierende reizvolle junge Frau zurückstößt, um sich für jene aufzusparen, mit der er den Ring tauscht, ist wohl eher Gartenlaube. Sogar die Annäherung der reizvollen jungen Ärztin Elaine, mit der sich Eric in intellektueller und gefühlsmäßiger Übereinstimmung befindet, scheitert zunächst, weil sich beide nicht auf einen gemeinsamen Wohnsitz (und damit eine gemeinsame Zukunft) einigen können. Erst als Eric den herzerweichenden Bitten der Gemeinde nachgibt, die freie Tierarztstelle im Ort übernimmt und seine Gestütspläne begräbt, ist der Weg frei für eine Liebesnacht (mit nachfolgender Eheschließung natürlich)! Aber auch da mußten die Hickmans erst nachhelfen.

Die Handlung spielt im wunderschön geschilderten Schottland. Die Gegenspieler Erics sind, da die Menschen überwiegend als edelmütig dargestellt werden, über weite Strecken Tiere. Und diese kennt die Autorin offenbar wirklich sehr gut, und sie versteht sie und die Tierarztpraxis vorzüglich zu schildern - die edle Stute Solitaire, die Hengste Lancelot und Excalibur, einen Hund namens Wolf vor allem. Hier waltet hohe Anschaulichkeit und Spannung, hier bleibt die Verfasserin unkonventionell und überraschend (wenngleich sie für mein Gefühl allzuviel menschliches Denken und Fühlen in die Tiere hineinprojiziert). Aber da Erics Erfolgsquote so hoch ist, sind bald neue Widersacher nötig. Als solche werden die benachbarten Cochans eingeführt, eine bis auf Juanita unprofilierte Familie von Tagedieben, Spielern und Trunkenbolden. Daß sie ab und zu ein Rind aus der Farm der Gestütsbesitzerin Emily Fargus herüberlocken und verhökern, um ihre Haushaltskasse aufzubessern, gibt Sinn, und ihr Einfallsreichtum bei der Realisierung läßt schmunzeln. Aber wenn ihnen Eric den zum Diebstahl mißbrauchten Hund wegnimmt, wären weit einfachere Gegenmaßnahmen naheliegend als das Verrammeln und Anzünden des Stalles, in dem sich Eric mit Frau, Hund und edlen Pferden befindet, denn dabei springt keinerlei Ertrag heraus. Schwer denkbar auch, daß sich die Familie danach mit leeren Benzinkanistern neben den Flammen postiert, so daß die Feuerwehr sogleich Polizei spielen und Eric quasi als Untersuchungsrichter ein lückenloses Geständnis hervorlocken kann.

Nein, mich vermag die Romanhandlung insgesamt - trotz Schönheiten im einzelnen - nicht zu überzeugen. Sie hält einer halbwegs realistischen Sicht auf die Wirklichkeit nicht wirklich stand. Und die Zeichnung der Charaktere von Juanita Cochan, Louise Fargus, Simon Williams zum Beispiel weist Untiefen auf, die Zweifel eher hervorrufen als überwinden. Inzwischen hat die Autorin freilich die Taschenbuchrechte für eine halbe Million verkauft. Ein Widerspruch? Nein, viele Leser lieben solche Harmoniesüchtigkeit, über die nur mal eine schwarze Wolke als Scheindrohung streicht, und wer Tiere kennt und einbeziehen kann, hat immer einen Bonus. Für die nächsten vier Romane, die Evita Wolff ankündigt (darunter eine Fortsetzung von Im Schatten des Pferdemondes), kann man nur hoffen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite