Eine Rezension von Hans-Rainer John


Zwischen Vorverurteilung und Verklärung

Patricia Shaw: Brennender Traum

Aus dem Englischen von Anette Hahn.

Schneekluth Verlag, München 1998, 608 S.

Ein brennender Traum - was ist das? Gemeint ist die Leidenschaft für Opale, die den jungen irischen Landarbeiter Brodie Court erfaßt, sobald er nach seiner Landung in Australien diese Edelsteine in einer Auslage entdeckt. Fortan erfüllt ihn die Sucht, nach diesen zauberhaften Steinen zu schürfen. Selbst wenn er an einem Freudenhaus vorüberkommt und überlegt, ob er sich vergnügen sollte, fallen ihm die Opale ein, und er verzichtet (!). Aber zum Abbau braucht man Geld. Und deshalb dauert es eine Weile, bis er aufbrechen kann.

Man schreibt das Jahr 1898. Brodie kommt aus Irland. Das von den Eltern ererbte karge Stück Land hatte nicht ausgereicht, ihn und seinen Bruder Michael zu ernähren. Was blieb ihm übrig, als auszuwandern und Michael, seiner Frau Trella und deren Mutter sowie dem kleinen Garth das Feld zu überlassen? Zufällig bot sich ihm eine freie Passage samt Zubrot nach Australien, einem Land, von dem er noch nie gehört hatte. Er mußte nur zwei edle Pferde mitnehmen und während der Überfahrt betreuen. Der Empfänger in Brisbane, Vern Holloway (45), hatte natürlich auf seiner Farm Arbeit für Brodie (25).

Dort erweckt der kräftige junge Mann bei der leidenschaftlichen und attraktiven Frau Holloways, Vivien (30), Interesse, und eine Romanze zwischen beiden beginnt. Am Ende erhält Brodie von der Geliebten das Startkapital für den Trip in die Opalfelder, zu dem er mit zwei Gleichaltrigen, Gus und Lester, aufbricht. Das Trio hat Erfolg, aber Lester kommt auf dem Rückweg ums Leben. Der Ertrag vom ersten Fischzug macht Brodie zum Unternehmer, er zieht nun Suche und Abbau im größeren Maßstab auf, mit mehr Leuten. Gus ist wieder dabei, wird angeworben auf Kosten Trellas.

Inzwischen ist nämlich Michael gestorben und Trella mit Garth nach Australien gekommen. Brodie hatte ihr zwar die kalte Schulter gezeigt, aber Trella hatte Gus kennengelernt-, und die beiden hatten sich verliebt und einander versprochen. Plötzlich ist Gus mit Brodie auf und davon. Aber nicht nur das, auch Garth folgt dem von ihm bewunderten Brodie zu den Opalminen, ohne von der Mutter Abschied zu nehmen. Er wird draußen zwar nur für ungefährliche Hilfsarbeiten eingesetzt, versucht sich aber doch heimlich und unerlaubt in einem ungesicherten Stollen. Der Stollen bricht ein, und Garth kommt um.

Gus kehrt mit der Leiche zu Trella zurück. Trella beschließt tieferschüttert und um alle Hoffnungen betrogen, Australien wieder zu verlassen. In Trauer vereint, folgt ihr Gus nach Irland. Brodie lebt derweil irgendwie aus der Bahn geworfen, obwohl durch einen Fund besonders wertvoller schwarzer Opale steinreich geworden, als Eremit im Landesinneren, bis ihn die reiche Landbesitzerin Clover Chiswick halberblindet aufliest und gesund pflegt. In der Gemeinsamkeit mit ihr findet Brodies Leben schließlich seine Erfüllung. Als beide nach vielen Jahren nacheinander sterben, werden Gus und Trella, die sich in Irland wieder eine Existenz aufgebaut haben, die ungläubigen Erben einer gigantischen Hinterlassenschaft.

Man nennt Patricia Shaw auch die Chronistin Australiens. Das ist sicher falsch. Zur Chronistenpflicht gehört systematisch-wissenschaftliche Arbeit und Statistik. Davon kann hier keine Rede sein. Patricia Shaw schreibt natürlich nicht ohne weitreichende Kenntnisse über den fünften Kontinent, sie war schließlich lange Jahre Assistentin des Gouverneurs von Queensland und dann Leiterin des Archivs für Oral History, sie hat Sachbücher über die Besiedlung Australiens verfaßt, aber es handelt sich hier schließlich um Romane, deren Handlung stets Ende des neunzehnten Jahrhunderts einsetzt und sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt. Natürlich finden da Biographien vieler Entdecker und Erschließer, Grundbesitzer und Abenteurer, die ihr direkt und persönlich oder per Urkunde begegnet sind, ihren Niederschlag, und die Besonderheiten von Land und Leuten, Flora und Fauna werden ausführlich dargestellt, aber der Gang der Handlung, die kunstvolle Verschlingung der Ereignisse ist doch ureigenste Schöpfung der Autorin.

Als sie sich in vorgerückterem Alter entschloß, es mit der Belletristik zu versuchen, trat plötzlich ein großes und ursprüngliches erzählerisches Naturtalent zutage. Ja, die dickleibigen Bücher lesen sich spannend, leicht und schnell, und sie finden reißenden Absatz. Hier war plötzlich die gehobene Abenteuerliteratur mit Anspruch, hier waren interessante und aufregende Nachrichten aus einem fernen Land. Weites, wildes Land und Der Ruf des Regenvogels wurden unlängst hier besprochen („Berliner LeseZeichen‘ Nr. 11/1997 S. 98 und Nr. 2/1998 S. 69), und nach Südland, Sonnenfeuer, Heiße Erde und Der Traum der Schlange ist nun Brennender Traum bereits der siebente Roman in kurzer Zeit. In mehrere Sprachen übersetzt, nennt man Patricia Shaw in vielen Ländern inzwischen eine Bestseller-Autorin. Zwei Millionen ihrer Bücher wurden allein in Deutschland abgesetzt, die teuren Leinenbände vom Schneekluth-Verlag und die preiswerteren Taschenbücher von Bastei-Lübbe.

Zur Trivialliteratur zählen darf man sie ganz gewiß nicht, ist es aber wirklich große Literatur? Es ist eine Literatur des breiten Zwischenbereichs, weil sie vieles schematisch vereinfacht und weil die psychologische Formung der Figuren oft nicht tief, vollständig und unverwechselbar ist. Da überlebte der Gute (Gus) selbst in aussichtsloser Situation, und der Schlechte (Lester) wird ein Opfer der Natur, obwohl er in begünstigter Überlebenssituation ist; die tüchtige, lebenspraktische, warmherzige Frau (Clover) siegt über die launische und sinnliche Schöne (Vivien), und dem brutalen, arroganten Richter Chiswick zahlt es das Leben so heim, daß er daran verreckt. Da wird das Gerechtigkeitsgefühl des Lesers bestätigt, aber den vielfältigen und widerspruchsvollen Erscheinungen des Lebens entspricht das nicht. Vivien zum Beispiel wird überhaupt wenig Gerechtigkeit zuteil, sie ist eben für die Autorin von Anfang an kalt, selbstsüchtig, leichtfertig und zu allem fähig. Aber müßte nicht eben auch zu Buche schlagen, daß sie, der kraft Schönheit und Reichtum viele Männer zufallen könnten, mit solcher Ausschließlichkeit auf Brodie fixiert ist, auch wenn er unabschätzbar lange abwesend ist? Hier waltet einerseits Vorverurteilung und andererseits auch Verklärung.

Verklärt wird Brodie als der einfache Mann mit dem Herzen aus Gold. Aber warum er der geradlinigen und offenherzigen Trella so voreingenommen und hartherzig gegenübertritt, warum er sich andererseits von Vivien so lange blenden läßt, wird weder erklärt noch als Widerspruch gestaltet. Seine Entwicklung vom unerfahrenen und tumben Naturburschen vom Lande zum gewieften und weltläufigen Unternehmer, die Aneignung gutbürgerlicher Umgangsformen und Ausdrucksweisen erfolgt in unerklärlichem Geschwindschritt. Andererseits bleibt wieder völlig offen, warum er sich so lange als Eremit in die Wüste zurückzieht und was er dort anstellt, bis er verkommt und lebensuntüchtig wird und von Clover geradezu gerettet werden muß; der Schmerz über den Tod von Garth allein kann doch der Grund für den ansonsten so hartherzigen Mann nicht sein. Soll signalisiert werden, daß Geld und weltliches Gut, dem er bisher nachgejagt ist, ihren Wert für ihn verloren haben? Gestaltet jedenfalls ist solche Erkenntnis nicht.

Die Autorin weiß, daß Sexualität für das menschliche Zusammenleben wichtig ist und manche Entscheidung wohl bestimmt. Aber sie geht damit um wie vor fünfzig Jahren: moderat, betulich, hausbacken. „Wann werden wir wieder zusammen sein, mein Geliebter?“ flötet da Vivien. Und über Brodie heißt es: „Er begehrte sie von neuem, als hätte er nie die Freuden der Liebe mit ihr genossen.“ Im übrigen sperrt sie die Schlafzimmertür zu. Daß sie die Sprache der Jungen weit ungenauer trifft als die der Älteren, mag daran liegen, daß sie spät zum Schreiben gekommen ist. Und daß sie sehr rasch sehr viel produzierte (4200 Seiten liegen nun vor), mag dazu geführt haben, daß sie gewisse Prototypen schuf, die sich - leicht variiert - in allen Büchern wiederfinden. Die egoistische und berechnende schöne Vivien zum Beispiel hat eine unübersehbare Vorgängerin in der kapriziösen und bedenkenlosen Sylvia Langley aus dem Regenvogel. Der über Leichen gehende Richter Chiswick erinnert dagegen stark an den brutalen Farmer Edgar Betts (ebenfalls Regenvogel), und beider Leben endet in ähnlicher Weise kurz und schmerzlos. Und dann ist da natürlich immer der jugendliche Durchreißer mit Geschick, Geduld und Kraft, der am Ende bekommt, was er erstrebt.

Diese Einschränkungen werden freilich den Erfolg nicht schmälern, denn die naive Erzählhaltung ist überaus anschaulich, und der Durchschnittsleser bekommt genau, was er im Grunde will: Tugend wird belohnt und Untugend so bestraft, daß der Gute sich die Finger nicht schmutzig machen muß. Es ist die unbewußte Sehnsucht nach dem Märchenland, in dem absolute Gerechtigkeit waltet, die hier bedient wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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