Eine Rezension von Sibille Tröml


„Jedem seine Narben“ oder Was Herr F. und Herr D. sich postalisch (nicht) zu sagen hatten

Peter Rüedi (Hrsg.): Max Frisch/Friedrich Dürrenmatt. Briefwechsel

Mit einem Essay des Herausgebers.

Diogenes Verlag, Zürich 1998, 240 S.

Er umfaßt ganze 33 Briefe und Karten und ist somit nicht gerade umfangreich. Er ist - u.a. weil durch Telefonate ersetzt - nicht kontinuierlich geführt und somit alles andere als umfassend. Er gibt keine Antworten auf Fragen à la „Wußten Sie schon, daß ...“ und lüftet somit keine Geheimnisse, befriedigt keine dahingehende Neugier. Er läßt sich auch nicht mit dem verkaufsträchtigen Etikett „literarische Sensation“ versehen, liegt also - zumindest dahingehend - nicht im (literarischen) Trend der Zeit. Wenn dieser Briefwechsel trotzdem ganz gewiß viele Leser (auch außerhalb der Schweiz) finden wird, dann liegt es vor allem an seinen beiden Verfassern: Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Es liegt aber auch an einem in jedem von uns steckenden kleineren oder größeren Hang zum Voyeurismus und nicht zuletzt auch daran, daß dieser nicht vollständig erhaltene Briefwechsel in vielerlei Hinsicht ein bestechendes Dokument ist.

Begonnen am 22. Januar 1947 mit Max Frischs brieflicher Handreichung gegenüber dem „(v)erehrte(n) Herr(n) Fritz Dürrenmatt“, endet er (im vorliegenden Band) am 11. Mai 1986 mit Friedrich Dürrenmatts Brief zum 75. Geburtstag des knapp 10 Jahre älteren „(l)iebe(n) Max“. Dazwischen liegen etwas mehr als vier Jahrzehnte eines Verhältnisses, in dem fruchtbar und furchtbar ebenso nah beieinander lagen wie Bewunderung und Verwunderung, Verwunden und Aneinander- bzw. Miteinander-Gesunden, gewinnen und verlieren. Das Komplizierte und Spannungsgeladene dieser Beziehung jener zwei „großen Männer der Schweizer Literatur des 20. Jahrhunderts“ resultiert indes ebenso aus dem ureigensten Inneren der beiden wie aus dem nicht minder ureigensten Inneren der sie umgebenden Öffentlichkeit. Und so hat man sie denn auch zusammengeschmiedet zu „FrischundDürrenmatt“ (Peter Rüedi), dem „Doppeldenkmal“ (Hans Mayer), den Dioskuren und hat sie auseinandergehämmert, hat versucht, sie „gegeneinander auszutrumpfen“ (Max Frisch), je nachdem, wie man es gerade brauchte, wie es gerade „passend“ schien oder wie es beide gerade mit ihren Werken und Auftritten ermöglichten.

Die Beziehung zwischen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt - sie war eine Beziehung in der Öffentlichkeit, war eine Beziehung der Öffentlichkeit und somit sowohl eine sehr moderne als auch eine Künstler-„typische“. Daß sie anfangs vor allem und später darüber hinaus auch eine sehr persönliche, intime, eine im positiven Sinne sehr altmodische Beziehung war, davon zeugen diese nun erstmals veröffentlichten (!) Briefe und Karten, die vielfältige Leserinteressen „befriedigen“ werden. Frisch- und/oder Dürrenmatt-Freunde und -Liebhaber werden mit Spannung und großem Gewinn verfolgen, was Max Frisch dereinst als „Arbeitskameradschaft“ charakterisierte und was - wie die keineswegs nur lobenden Kommentare und Wertungen zu jeweiligen Texten des anderen (z.B. zu Dürrenmatts Die Ehe des Herrn Mississippi, zu Frischs Graf Öderland) zeigen - oftmals alles andere als leicht hinnehmbare Hinweise und Urteile waren. An der Schweizer Kulturszene und Geschichte Interessierte werden diesbezügliche Kommentare der beiden mit bisher Bekanntem und öffentlich Geäußerten vergleichen. Allgemein an der Literatur Interessierte werden sich ob eines weiteren Dokuments einer Dichterbeziehung freuen.

Von übergreifendem, sozusagen allgemein-menschlichen Interesse dürfte sein, daß die Freuden und Leiden, welche die Beziehung Frisch - Dürrenmatt trugen oder eben nicht trugen, keinesfalls nur die von Schriftstellern sind. Denn: Wie sehr ein jeder letztendlich auch Gefangener seiner eigenen Herkunft, seiner eigenen Charakterzüge und seiner (zum Teil) davon getragenen persönlichen, beruflichen und sonstigen Entwicklungen ist, gerade davon auch legt dieser schmale Briefaustausch ein beredtes Zeugnis ab. „Sie müssen bei mir immer bedenken, dass ich ein bernischer Pfarrerssohn bin, und dass ich trotz aller Anstrengungen zuletzt die Religion meines Vaters nicht überwinden konnte. Sie werden es recht verstehen, wenn ich sage, dass hier meine Grenze liegt“, heißt es in Dürrenmatts sofortiger Antwort auf Frischs ersten Brief. Gut 30 Jahre später schreibt Frisch nach einem für alle Anwesenden peinlichen, in den Anmerkungen ausführlich von Peter Rüedi dokumentierten Zwischenfall vom Oktober 1978 unter anderem: „[...] wenn du’s kannst, verzeih, dass ich an dem Abend in der Kronenhalle durchgedreht habe. Das ist nicht nur Cognac! Es häufen sich seit einiger Zeit bei mir die Fehlleistungen, zum Verzweifeln - [...] ich will dir nur (bevor wir uns wieder einmal sehen) sagen: denke nicht, dass ich meine schroffe (für jedermann völlig unverstehbare) Geste richtig finde, vertretbar oder auch nur verzeihlich. Wenn ich also sage: Verzeih! - so meine ich, genau gesagt: das hat, im Grunde, nichts mit Dir als Person zu tun, nur mit mir. Das ist krank.“ Allein diese zwei Auszüge zeigen, daß die Korrespondenz zwischen den einerseits so gegensätzlichen, andererseits so ähnlichen Männern auch ein beeindruckendes Zeugnis von den Schwierigkeiten menschlichen Miteinander-Wollens und Nicht-(fortwährenden-)miteinander-Könnens ist. Es war ein Miteinander, welches nicht immer auf Unterwerfung und Selbstverleugnung basieren konnte und wollte und welches zu alledem auch noch durch das unvermeidbare (und unverzichtbare!) Eingebundensein in ein gesellschaftlich-soziales Gefüge stets mit neuen und alten Bitterstoffen versetzt wurde.

Wie wichtig aber beiden ihre Beziehung zueinander war, zeigen die nicht wenigen Entschuldigungen nach Ausbrüchen, Verletzungen oder „Fehlleistungen“ sowie die trotz vieler Kritik am anderen immer wiederkehrenden, auf Werk und Persönlichkeit gerichteten Entäußerungen der Bewunderung. „Wie dem auch sei, wir haben uns beide wacker auseinander befreundet. Ich habe dich in Vielem bewundert, Du hast mich in Vielem verwundert und verwundet haben wir uns auch gegenseitig. Jedem seine Narben.“ - schreibt Friedrich Dürrenmatt in seinem (unbeantwortet gebliebenen) 1986er Geburtstagsbrief an Max Frisch. Wenn man versucht ist, gerade diesen Brief immer wieder zu lesen, so hat dies wohl nicht allein mit der Tatsache zu tun, daß er der im Band letztverzeichnete ist. Beeindruckend ob seiner aufrichtigen Eindringlichkeit ist er auch ein durchaus schwermütiges (frühzeitiges) Fazit ihrer beider Beziehung und deren Wandlung(en), ist großes, bewegendes Geständnis der Anerkennung, Zuneigung, des Sich-einander-viel-wert-Seins. (Daß dieser Brief trotz des Altersunterschieds verfaßt wurde in der Gewißheit, daß „(u)nser beider Rutschbahn, im Nichts endend, die wir noch hinunterzuschlittern haben, (...) ungefähr gleich lang (ist)“ und daß ausgerechnet diese Ahnung vom Leben mit geradezu Dürren-mattscher Regieanweisung „eingelöst“ wurde, mutet merkwürdig und denkwürdig zugleich an ...)

Dem Leser bleibt also nach der Lektüre der 240 Seiten nichts anderes als zu danken: den beiden (Brief-)Schreibern dafür, daß sie solche für unsere Tage seltenen Dokumente menschlicher Größe und menschlicher Schwäche aufbewahrt haben - nicht zuletzt auch mit der Ahnung, Hoffnung bzw. dem Wissen um ihre spätere Öffentlichmachung; dem Herausgeber dafür, daß er diesen Band mit einigen Fotos und Faksimiles optisch angereichert hat, daß er abschließend mit Anmerkungen und einem Register unaufdringlich Hilfreiches und Interessantes zur Seite stellt und dafür, daß er in seinem einführenden Essay vieles leicht zu sagen vermag über Herrn F. und Herrn D., über ihr Werk, ihre Zeit, ihre Welt, „ihre“ Schweiz“ und ihre Existenz als Herr-F.-und-Herr-D.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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