Eine Rezension von Bertram G. Bock


Traum ist Traum

Philip Roth: Amerikanisches Idyll

Roman.

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz.

Carl Hanser Verlag, München 1998,

Literaturpreise hat er in der Zwischenzeit genug bekommen. U. a. gab es für Sabbaths Theater den National Book Award, jetzt für das Amerikanische Idyll den Pulitzerpreis. Es dürfte wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Philip Roth den Literaturnobelpreis erhält. Aber auch wenn Stockholm sich dazu nicht durchringen kann, Roth gehört schlichtweg zu den wichtigsten Schriftstellern, die das ausgehende Jahrhundert weltweit zu bieten hat. Mit Amerikanisches Idyll ist er sich stilistisch wie thematisch weiter treu geblieben und ermöglicht mal wieder, die nicht immer leichten und vertrauten Gedanken und Verhaltensweisen seiner Charaktere nachzuvollziehen bzw. mitzuerleben. Was Roth gerade in dieser Hinsicht vor den meisten anderen auszeichnet ist seine Kunst, Lebensläufe zwar chronologisch durcheinander und auch fragmentarisch zu schildern, aber spätestens nach der Hälfte der Lektüre ist man mit den Personen und deren Themen vertraut - meisterlich und von ihm selbst (bisher) unübertroffen vor allem in Sabbaths Theater.

Das Amerikanische Idyll beginnt mit Erinnerungen. Erinnerungen an die Jugend von Skip Zuckermann, dem bekannten Alter ego Philip Roths. Doch dieser bleibt nicht im Zentrum des Romans, der erste Satz benennt den eigentlichen Protagonisten: „Der Schwede“. Der Schwede ist für den jüngeren Zuckermann in dessen Kindheit und Jugend all das, was man sich als Junge so wünscht: sportlich, erfolgreich, etwas verwegen, und Zuckermann platzt fast vor Stolz, wenn der nach seinem Aussehen so genannte Schwede ihn anspricht, ihn sozusagen damit adelt. Der Kontakt zum Schweden ist rar, obgleich Zuckermann mit dessen Bruder befreundet ist und sie in die gleiche Klasse gehen. Jahrzehnte vergehen, und plötzlich tritt der Schwede, mit bürgerlichem Namen Seymour Levov, wieder in Zuckermanns Leben, mit einem Brief, mit einer Bitte. Sie treffen sich, der Schwede berichtet von einem erfolgreichen, einem ausgefüllten Leben als Ehemann, als Vater, als Handschuhfabrikant. Zuckermann hört zu, fragt sich, was das soll, und erfährt kurze Zeit später auf dem Klassentreffen von Seymour Levovs Tod. Und hier beginnt der Roman eigentlich erst, hier tritt Zuckermann sozusagen von der Bühne ab, Seymour Levov tritt dafür auf und bleibt bis zur letzten Seite der, von dem erzählt wird, der selbst erzählt. Immer wieder spielt Roth mit den Erzählperspektiven, unmerklich fast verändert er sie, wie bei wechselnden magnetischen Feldern ist man mal näher dran, mal weiter weg.

All das, was Seymour Zuckermann erzählt hatte, war nicht falsch, aber es war auch nicht alles, denn eine Geschichte hatte er verschwiegen, die seiner Tochter Merry. Sie ist die weitgehend stumme Protagonistin des Romans, obwohl sie das Zentrum abgibt, das Thema vorgibt. Schon als Kind schwierig und stotternd, wird sie von den Eltern angenommen, aber Streitigkeiten bleiben nicht aus. Als sie dann ein Geschäft in die Luft sprengt, wobei eine Person getötet wird, bricht für Seymour und seine Frau Dawn die Welt zusammen. Unergründlich für sie bleibt die Antwort auf die Frage nach dem Warum, unergründlich auch, wo sich die Tochter verborgen hält. Jahre später kommt es zu einem plötzlichen Kontakt: „Sie war eine Jaina geworden ... Die Jainas waren eine realtiv kleine indische Sekte - das konnte er als Tatsache akzeptieren ... Den Schleier trug sie, weil sie den mikroskopischen Organismen, die in unserer Atemluft leben, nicht weh tun wollte. Sie badete nicht, weil alles Lebendige, auch das Ungeziefer, ihr heilig war. Sie wusch sich nicht, sagte sie, weil sie ,dem Wasser keinen Schaden zufügen‘ wollte.“

Dieses Treffen, in das Zentrum des Romans gestellt, ist der Punkt, an dem alles kulminiert. Hier führen alle Stränge zusammen, hier wird das amerikanische Idyll zum Alptraum. Denn wie ist das Verhalten der Tochter zu erklären, zu entschuldigen? Wie ist mit der Absage auf die flehende Bitte, doch nach Hause zu kommen, umzugehen, wie mit ihren weltfremden Ansichten? Wie - wenn überhaupt - der Mutter von diesem Treffen berichten, den Eltern, die gerade zu Besuch sind? Seymour zerbricht zwar nicht nach außen hin, aber er muß um jeden Satz kämpfen, um jede Geste. In dieser Streßsituation sind die Sinne geschärft, das Abendessen mit Eltern und Nachbarn bringt mehr an dem Tag, als ihm lieb ist: Die hypersensible, wenn nicht gar hysterisch zu nennende Dawn - die sich immer noch etwas darauf einbildet, vor Jahrzehnten Miss Arizona gewesen zu sein - geht mit dem Nachbarn fremd, und die ehemalige Sprachtherapeutin von Merry hat dieser nach dem Anschlag Unterschlupf gewährt und niemandem etwas davon erzählt.

Roth erzählt die Leidensgeschichte eines jüdischen Amerikaners, der eigentlich nichts anderes sein will als das, was man (bzw. die Amerikaner) sich gemeinhin unter einem Amerikaner so vorstellt. Erfolgreich, nett und tolerant, genug Geld auf dem Konto, eine schöne Frau, sportliche Kinder, ein Haus, zwei Autos, etc. pp. Aber so sehr Seymour darum kämpft, sich hocharbeitet, das Geschäft von seinem konservativen Vater übernimmt, die hübsche Dawn erobern kann - richtig will es ihm nicht gelingen, kann es ihm nicht gelingen, denn der amerikanische Traum ist das, was er ist, ein Traum. Die Handelnden sind Modelle. Modelle amerikanischer Biographien, die zumindest in diesem Buch eines gemein haben: die Doppelmoral und den Traum vom eigenen Leben (das gilt in diesem Fall für die Männer wie die Frauen). Jeder tut so, als hätte er seinen Traum erreicht - und was sich die Personen in diesem Roman gegenseitig in die Tasche lügen, ist lesenswert. Überheblich zu behaupten, nur ein Philip Roth könnte das so gekonnt komponieren und kombinieren, aber zweifellos ist er ein Meister, der nicht holzschnittartig und grob arbeitet, sondern fein ziselierend. Selbst Seymour, der sehr vertrauenerweckend berichtet, mit dem man fast Mitleid bekommt, gerät mit fortschreitender Lektüre immer mehr ins Zwielicht. Was ist ihm, dem Möchte-gern-gut-Mensch, denn wirklich zu glauben? Ist er wirklich nur das Opfer seiner Umgebung, will heißen seines Vaters, seiner Frau und seiner Tochter? Daß Dawn sich selbst in die Tasche lügt, ist schnell erkannt. Und irgendwann taucht die Frage auf, ob Merry vielleicht doch die einzig ehrliche ist?

Wie man sich auch immer entscheidet, Roths Amerikanisches Idyll entpuppt sich als ein meisterhaft gezeichneter Alptraum, der nicht voyeuristisch und schadenfroh mit dem Finger auf den sogenannten Amerikaner an sich zeigt, sondern viel prinzipieller eine Gespaltenheit beschreibt, an der zu zerbrechen nicht schwer ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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