Eine Rezension von Helmut Caspar


Ein „Schwitzbold“ schaut in den Spiegel

Hellmuth Karasek: Das Magazin.

Roman.

Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 429 S.

„Ist der ,SPIEGEL‘ ein Saustall?“ fragte das Hamburger Nachrichtenmagazin bei Erscheinen von Hellmuth Karaseks Buch Das Magazin. Die Antwort blieb der Rezensent, ein ehemaliger SPIEGEL-Reporter, seinen Lesern schuldig. Statt dessen wurde Karasek, langjähriger Kulturredakteur bei dem Wochenblatt und jetzt Mitherausgeber des Berliner „Tagesspiegel“, der hier unter seinem seinerzeit im „Magazin“ verwendeten Pseudonym Daniel Doppler auftritt, als „Schwitzbold“ und Hofnarr abqualifiziert, der sich durch scheinbare Enthüllungen und erfundene Geschichten interessant macht und keine Ahnung hat, was wirklich lief. Es hinterlasse einen „Nachgeschmack“, daß Karasek den Magazin-Herausgeber Augstein - im Buche Albert Kahn - zu einem „gesichtslosen Pappkameraden flachgebügelt“ hat, ihn als „kuscheligen, kleinen braunen Bären“ beschreibt, wo er doch „eher eine Mischung aus Bonaparte und Mackie Messer“ sei.

Diese Behauptung, die wie von einem tief beleidigten Augstein persönlich eingefügt erscheint, stimmt nicht, denn Karasek/Doppler gibt dem heute 75jährigen Herausgeber des 1947 gegründeten Wochenblattes schon scharfe Konturen, nur nicht die, die Augstein gern gelesen hätte. Vor Kahn, einem der reichsten und einflußreichsten Männer in der Bundesrepublik Deutschland, zittern Präsidenten, Kanzler und Minister, Industriekapitäne, Theaterintendanten und andere Prominente, kann er sie doch durch seine immer montags erscheinende Postille zu Fall bringen, denn jeder hat Dreck am Stecken. Er kann auch Leute nach oben bringen, wenn ihm dies in den Kram paßt. Das genießt der Machtmensch Albert Kahn, die eigentliche Hauptperson des Buches. Er beherrscht die Klaviatur der „Vierten Gewalt“ und kann es sich dabei leisten, selber schlampig herumzulaufen, Mitarbeiter in seinen Ferienvillen im Schlafanzug oder gar nackt zum Rapport zu empfangen. Der allgewaltige Herausgeber wird als geiler Bock geschildert, der sich reihenweise die Frauen seiner Untergebenen angelt (und sie auch bekommt), der seine Redakteure wie willenlose Marionetten an Fäden zieht, sich mit Ohrenbläsern, Schleimern und Karrieristen umgibt und in seinem Reich „wie Gott“ schaltet und waltet.

Auf Kahn, den mehrfach Verheirateten und Vielgeliebten, zielt in Karaseks Buch alles, gegen ihn sind die anderen Magazin-Gewaltigen nur blasse Figuren, unfähig, die eigene Meinung zu artikulieren, geschweige denn durchzusetzen. Nur im Repräsentieren und Schwadronieren erreichen sie Größe. Kahn hat sie alle in der Hand, weiß wie ein Geheimdienstchef über jeden Bescheid, baut Günstlinge auf, läßt Freunde fallen und lächelt ihnen dabei noch ins Gesicht. Platz kriegt dieser Kahn auf den heiß umkämpften Magazin-Seiten jederzeit, eben weil er der Boß ist. Karasek/Doppler registriert die ellenlangen Essays, mit denen Rudolf Augstein den SPIEGEL vollschreibt, als Heimsuchungen, gegen die sich kein Widerstand regt. Sie verkneifen sich aber, inhaltlich auf des Herausgebers Lieblingskinder einzugehen. Das muß einen Mann wurmen, der als Gewissen und Schulmeister der Nation, als der große Enthüller und Macher hofiert wird.

Karasek rächt sich an dem zu wirklicher Freundschaft unfähigen, bisweilen wie ein Clown auftretenden Herausgeber ziemlich zu Beginn des Buches, indem er ihn als einen durch Zeichen des Alters gezeichneten Greis schildert. „Natürlich hatte Kahn, dessen Mund sich im Alter zu einem mißmutigen Strich verzogen hatte, früher Ziele gehabt. Hochfahrende Ziele. Eines vor allem: Macht zu gewinnen, indem man Macht zersetzte, in Frage stellte. Er war das geschärfte Mißtrauen der Republik gewesen, und die Republik hatte denn geschärftes Mißtrauen wahrlich nötig gehabt. Ziele? Ihm war das Alter in die Quere gekommen, es hatte ihm die Zähne gezogen, das Augenlicht getrübt, die Knochen mürbe gemacht.“ An anderer Stelle gibt das Buch Kahns Erfolgsgeheimnis als oberster Dirigent der „Recherchiermaschine“ zum Besten - die Leute gegeneinander ausspielen, ihre Schwächen und Eitelkeiten ausnutzen und sie dadurch wieder „auf den Topf“ setzen. Das „Magazin“ wird mit einem Mönchsorden verglichen. „Die Hände auf die Bettdecke, der liebe Gott sieht alles; der ideale Redakteur war der gläserne Redakteur, der bei offener Tür in seine Schreibmaschine hackte und mit Beinen auf dem Schreibtisch telefonierte.“ Das „System Kahn“ habe im Grunde nur mit Menschen funktionieren können, „für die die Welt ein stürmisches Meer war, kalt, mit einem gefährlichen Sog und voller blutgieriger Haie. Überleben, also Karriere machen konnte man nur, wenn man eines der viel zu wenigen Rettungsboote erklomm. Und dazu mußte man andere, mit einem kräftigen Fußtritt gegen die Schulter, zurück ins Ertrinken stoßen.“

Hellmuth Karasek, einer größeren Fernsehgemeinde als vorsichtig urteilender Kritiker im „Literarischen Quartett“ bekannt, der aussieht, als sei er gerade aus dem Bett gestiegen, war ein Rädchen im Getriebe der Nachrichtenbeschaffung und -verbreitung, eben nur ein kleines Licht, dessen Herrschaftswissen bescheiden war. Der Kulturredakteur muß im SPIEGEL Schlimmes durchgemacht haben, wenn man das, was er in seinem Buch mitteilt, wörtlich nimmt. Sein dem Alkohol und kräftigem Essen zusprechender Daniel Doppler ist eine traurige Gestalt, immer geduckt, in seinen Qualitäten verkannt, eine Karikatur. Ein Mann mit verkrümmtem Rückgrat wie all die anderen. Ein Kerl mit blühender Sexualphantasie, der sich an ausrasierten Achselhöhlen von Sekretärinnen und Stewardessen hochzieht und die Partnerinnen wie seine ständig verschwitzten Hemden wechselt. Einer, der der (vom SPIEGEL/Magazin geschürten) Aids-Hysterie anheimfällt und sich ausmalt, wie das Virus durch blutgierige Mücken übertragen wird, wo das Blatt doch andauernd die eigentlichen Übertragungswege drastisch dokumentiert. Einer, der einen nahen Freund an diese Seuche verliert und hier, endlich einmal, ans Herz gehende Zustandsbeschreibungen liefert. Einer, der seinen Chefs so nahe kommen darf, daß er deren Mundgeruch wahrnehmen und den Namen ihrer Lieblingsweine vom Etikett abschreiben kann.

Dieser Doppler will mitmischen, wie die anderen. Nur das bringt Ansehen. Doch wenn er beispielsweise vor dubiosen Anbietern eines den österreichischen Bundespräsidenten entlarvenden Dokuments (das sich als Fälschung erweist) warnt, lernt er, daß das seiner Karriere nicht zuträglich ist. Chefs lassen sich nicht gern belehren, üben Revanche. Der promovierte Kulturredakteur muß sich von Vorgesetzten vormachen lassen, wie man eine Meldung schreibt, welche Wörter verboten, welche gewünscht werden. Seitenweise rekapituliert Doppler das Spiegel-Vokabular, die Sucht, sich wie Luther an der Wortschöpfung zu beteiligen. Es gibt auch kleine Triumphe im Berufsleben dieses dubiosen Vertreters einer auch durch das vorliegende Buch ihres - berechtigterweise - Nimbus entkleideten Zunft, etwa dort, wo Doppler ein wegen technischen Versagens des Tonbandgeräts nicht aufgezeichnetes Gespräch mit einem Fast-Nobelpreisträger so gekonnt rekonstruiert, daß sich der Interviewte überschwenglich bedankt. Die Geschichte ist erfunden wie vieles andere auch, denn es ist kaum zu glauben, wie dieser Betrug funktioniert haben soll bei den strengen Kontrollen, die „Magazin-“ beziehungsweise SPIEGEL-Beiträge bis zur Veröffentlichung durchlaufen. Der Leser reibt sich verwundert die Augen, wenn er erfährt, daß sich das „Magazin“ hochbezahlte Mitarbeiter leistet, die alle halbe Jahre gerade mal eine Meldung ins Blatt heben und sonst ihre Zeit damit zubringen, nach den treffendsten Formulierungen zu ringen, und dabei riskieren, daß ihre Beiträge alt und älter werden. Manche dieser Drohnen haben ein schlechtes Gewissen. Dank Protektion darf sich eine junge, attraktive Dame erlauben, andere, wortmächtigere Kollegen um redaktionelle Betreuung ihrer bescheidenen Beiträge zu bitten. In einem nur so von Klatsch und Tratsch triefenden Haus soll das nicht Anstoß erregt haben? Der Autor bleibt die Antwort schuldig.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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