Eine Rezension von Heinrich Buchholzer


Leben und Tod und Leben

David Hewson: Semana Santa

Aus dem Englischen von Hedda Pänke.

Ullstein Buchverlage, Berlin 1998, 478 S.

Unglaublich: Eine Frau, Anfang 30, Intellektuelle, ersticht einen psychopathischen Mörder, der sie soeben vergewaltigt hat und sicherlich gleich getötet hätte, und Wochen später entschließt sie sich, die Frucht dieser Notzucht auszutragen. Unglaublich? Der Autor brauchte kaum eine seiner Romanfiguren mit der Bemerkung zu bemühen, ein Mann könne eine Frau überhaupt nicht verstehen - die ganze dramatische Geschichte, die uns in diesem Buch erzählt wird, rückt am Ende das Verhalten der Hauptperson, Maria Gutierrez, in den Bereich der Glaubwürdigkeit, des Verstehens.

Was sich hier in einer Stadt des heutigen Spaniens während der Heiligen Woche, der Semana Santa, ereignet, könnte unter einem anderen Himmel und zu anderer Zeit auch in einer isländischen Saga oder einem kirgisischen Hirtenlied berichtet werden. Es ist die Weise von Blut und Tod und Leben, von Männern, die töten, und von Frauen, die das Leben weitertragen, auch von Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens dem Töten Einhalt zu gebieten suchen, ohne sicher sein zu können, ob dies jemals gelingen wird.

Der englische Autor David Hewson, Free Lancer für „The Times“ und „Sunday Times“, kennt sich in Südspanien aus, hat Reisebücher über die Region zwischen Mittelmeer und Atlantik geschrieben. Dieser Roman, sein erster, dessen Filmrechte bereits nach Hollywood verkauft wurden, ist in einer ungenannten Küstenstadt am Ozean angesiedelt, deren Identität schwer auszumachen ist, vielleicht ein aus mehreren Vorbildern zusammengesetzter Ort. Alljährlich im Frühsommer findet dort, wie in anderen, realen Städten des südlichen Teils der Iberischen Halbinsel, eine Woche der Prozessionen, des Betens mehr als des Büßens, des hektischen Treibens mit traditionellem Mummenschanz und beängstigendem Gedränge statt, gerade das richtige Umfeld für einen grauenvollen Doppelmord an zwei anrüchigen Popkünstlern.

Ihm folgen weitere nach ähnlichem Ritual verübte Bluttaten, sämtlich ausgeführt von einem Mann in rotem Kapuzenmantel und sämtlich mit Symbolen des Stierkampfes verbunden, ja auch vollbracht mit Waffen des Stierkampfes - bebänderten Stahlpfeilen, Lanze und Degen. Der Kapuzenmann führt das abscheuliche, an Tieren vollzogene Ritual von Blut und Tod, mit dem die Semana Santa stets endet, noch vor deren Abschluß an Menschen aus. Wir werden Zeugen, wie der Täter ebenso fieberhaft wie tagelang vergebens gesucht wird, begleiten Polizisten bei der Fahndung und mit ihnen die kleine, scheinbar unangreifbar selbstsichere Maria Gutierrez, die der Polizei für eine wissenschaftliche Arbeitsanalyse beigeordnet ist. Mitten im Strudel der Semana Santa sind wir in die Ermittlungen einbezogen und spüren mit Maria das Näherkommen des Mörders.

Die erste Besonderheit dieses Romans liegt in seiner Atmosphäre, dicht, wie zum Greifen nah, beängstigend. Schon mit wenigen Sätzen wird der aufnahmebereite wie der distanziert bleiben wollende Leser mitten in diese heiße Stadt gestellt, die um ihn brodelt und dünstet, die kaum zum Schlafen kommt und in der sich das nächste Verbrechen wie ein Gewitter zusammenbraut.

Die zweite Besonderheit ist der Rückgriff auf die Zeit der beginnenden Herrschaft der Phalange, des Terrors von Teilen der Franco-Faschisten, die sich ihrer Gegner und vermeintlichen Gegner durch direkten und indirekten Mord entledigten, wie dies im beklemmend geschilderten Todeslager La Soledad geschah. Eine Zeit der losgelassenen Bestien, ein Vergleich mit den Berliner Folterkellern der SA drängt sich auf, bis die neuen Herren Spaniens und die alten Herren, die sich die Hände nie selbst schmutzig gemacht hatten, zu den bewährten subtilen Mitteln des Herrschens zurückfanden.

Die Schilderung dieser längst vergangen geglaubten unheiligen Wochen, die aus der Erinnerung einer alten Frau wieder hervortreten, gehört zur literarisch wertvollsten Substanz des Buches. Meisterlich versetzt der Autor sich in die Psyche eines blutjungen Mädchens, das - ähnlich und doch ganz anders als Maria Gutierrez - Opfer einer Vergewaltigung und Mutter wird, nachdem es der Vernichtung in La Soledad entkommen ist. Die gleiche Weise von Blut und Tod und Leben; man beginnt zu ahnen, welche Spuren sich aus jenen dreißiger Jahren über Generationen in die Semana Santa von heute ziehen könnten.

Ein ungewöhnliches Buch, das sich deutlich über den unterhaltsamen Krimi erhebt, das seine Elemente der Spannung subtil darbietet, fast bis zur Unerträglichkeit realistisch und dennoch ästhetisch, frei von Geschmacklosigkeiten. Eine kongeniale Verfilmung dürfte nicht leicht sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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