Eine Rezension von Angela Fischel


Rückblick aus privater Perspektive

Peggy Guggenheim: Ich habe alles gelebt

Autobiographie.

Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 1998, 550 S.

Peggy Guggenheim (1898-1979) war eine starke Frau: selbstbewußt, energisch und reich. Als eine der wichtigsten Sammlerinnen moderner Kunst prägte sie die (Kunst-)Geschichte. Ihre Gefährten und Freunde gehörten zur literarischen und künstlerischen Avantgarde der Zeit. Dementsprechend hoch ist die Erwartung, die der Leser an ihre Biographie richtet: Schließlich gehört die Autorin zu einer Generation, die berühmt für ihre Autobiographien ist. Um es vorwegzunehmen: Diese Erwartung wird enttäuscht: Die Kunst des Erzählens war ganz entschieden nicht ihre Stärke.

Peggy Guggenheim war die Nichte des Museumsgründers und Sammlers Solomon R. Guggenheim: Außer dem Namen und dem millionenschweren finanziellen Rückhalt teilte sie auch die Sammelleidenschaft mit ihrem berühmten Onkel. Ihre Projekte liefen jedoch gänzlich unabhängig voneinander. Seit ihrer ersten Ehe mit dem Schriftsteller Laurence Vail verkehrte sie in den Kreisen von Künstlern und Literaten. Eine Porträtfotografie von Peggy Guggenheim aus dieser Zeit stammt von Man Ray: eine junge melancholische Frau in einem exotischen, goldschimmernden Abendkleid.

Erst viel später begann sie als Galeristin und Sammlerin tätig zu werden. Ende der 30er Jahre eröffnete sie in London ihre erste Galerie. Dabei standen ihr Marcel Duchamp und Hemphrey Jennings als Berater zur Seite. „Guggenheim Jeune“ etablierte sich sofort als Avantgarde-Galerie. Die erste Kandinsky-Ausstellung in England wurde dort gezeigt, auch Yves Tanguy wurde in England von ihr vertreten. Bereits 1939 plante sie die Ausweitung des Galerieprojekts zu einem Museum für moderne Kunst. Herbert Read, damals Chefredakteur des renommierten Burlingten-Magazin, sollte ihr als Berater zur Seite stehen. Aber erst 1941, nach der Flucht aus dem kriegserschütterten Europa, konnte dieser Plan Gestalt annehmen. Ihr New Yorker Ausstellungsprojekt „Art of This century“ kam der Idee des Museums schon näher. Mit der konzeptionellen Unterstützung von Andre Breton, Max Ernst, Marcel Duchamp, Piet Mondrian präsentierte sie hier eine bedeutende Sammlung moderner Kunst. Hochrangig wie ihre Berater waren auch die Entdeckungen dieser Zeit: Die damals noch unbekannte amerikanische junge Kunst wurde maßgeblich von ihr gefördert. Jackson Pollock ist sicher die berühmteste Entdeckung jener Zeit, aber auch Mark Rothko und Clifford Still wurden hier gezeigt. 1948 gestaltete sie den amerikanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig und kehrte kurz darauf endgültig nach Europa zurück. Seit 1949 beherbergt der Palazzo Venier de Leoni am Grand Canale in Venedig ihre Sammlung, die bis heute dort zu besichtigen ist. Peggy Guggenheim gehört, wie ihre Freundin Djuna Barnes, zu den weiblichen Protagonisten, die selbstbewußt den Aufbruch in die Öffentlichkeit wagten, auch wenn sie betont, daß sie „natürlich“ mit der Emanzipation der Frauen nicht das geringste zu tun habe. Sie verkehrte mit allen wichtigen Künstlern ihrer Zeit als selbstbewußte und einflußreiche Mäzenin, die zahlreiche Künstler unterstützt und berühmte Namen produziert hat.

Für den Leser, der mit der Materie vertraut ist, hält das Buch einige respektlose Anekdoten bereit. Für alle anderen entsteht ein merkwürdig flüchtiges Bild der künstlerischen Avantgarde der 30er und 40er Jahre. Die Beschreibungen von Cocktailparties, Alltag, Liebesgeschichten, Kunstszene und Politik wechseln einander übergangslos und ohne Akzentuierung ab. Leider ist dieser Stil nicht gewollt, sondern das Resultat einer gewissen Ignoranz, die den Eindruck erweckt, daß die vielen wichtigen Ereignisse und Begegnungen nicht verarbeitet oder verstanden wurden und deshalb nicht geordnet werden konnten. Sie erzählt aus strikt privater Perspektive und gnadenlos ich-bezogen. Zudem fordert der ausgesprochen sprunghafte und oberflächliche Stil ihres Berichtes, der Banales und Bedeutsames unreflektiert nebeneinanderstellt, viel Geduld vom Leser. Mag sein, daß das Leben eben so chaotisch ist, doch das ist eigentlich kein Grund, chaotische Bücher zu schreiben. Trotzdem erfrischt ihr Stil von Zeit zu Zeit, besonders in den unprätentiösen Beschreibungen der Kunstszene, die sicher niemand außer der Guggenheim so zu beschreiben wagte. Ihr eigenwilliges Urteil verschont keine Größe der Moderne: Künstler und Literaten werden ohne Gnade nach Attraktivität, Sexappeal und ihren Eigenarten beurteilt. Solche Informationen findet man in keinem Kunstlexikon. Neben dem sehr guten Bildmaterial, das eigenwillige und seltene Aufnahmen enthält und die Lektüre entschieden bereichert, liegt hier der positive Effekt dieses Lebensberichtes: Er zeigt, wenn auch unfreiwillig, die profane, manchmal komische, manchmal groteske Seite vieler längst zu Idolen erstarrter Autoritäten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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