Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Wer ist der Erbe?

Werner Gotzmann: Uwe Johnsons Testamente oder Wie der Suhrkamp Verlag Erbe wird

Mit einem Nachwort von Elisabeth Johnson.

Edition Lit.europe, Frankfurt/M. 1996, 155 S.

„Wir halten jetzt in Händen ein opus magnum. Eine Tetralogie, die den großen Werken unserer deutschen Literaturgeschichte an die Seite zu stellen ist, ein Zeit-Mosaik von staunenerregender, präziser Fülle, von politisch-aufklärerischem Rang, von verhalten melancholischer Zartheit auch und von einsamer schriftstellerischer Meisterschaft.“ Das schrieb der Kritiker Joachim Kaiser 1983, gerade war der vierte Band der Jahrestage von Uwe Johnson erschienen und hatte nach langem Warten der Leser das 1970 mit dem ersten Band eröffnete Romanwerk abgeschlossen. Zu Recht ist Uwe Johnson der Erzähler der beiden Deutschland genannt worden. Der 1934 in Cammin (Pommern) geborene und in Mecklenburg aufgewachsene Johnson schrieb zunächst in der DDR, ging dann aber in den Westen und veröffentlichte dort. Sein Schreibprozeß verlief nicht geradlinig. Besonders die Jahrestage zeigen das. Nachdem 1973 der dritte Band dieses Werkes erschienen war, geriet Johnson in eine anhaltende Schreibkrise. Familiäre Schwierigkeiten, Alkoholprobleme und psychische Blockaden verzögerten nicht nur den Schreibprozeß, es waren damit auch mancherlei Legenden um Uwe Johnson in Bewegung und Umlauf gekommen. Schließlich trennte sich Johnson von seiner Frau. Das ursprünglich gemeinsame Testament aus dem Jahre 1975 lautete zugunsten von Frau und Tochter Johnsons. Doch Johnson entschied sich 1983 für ein Testament, das als Alleinerben den Frankfurter Suhrkamp Verlag bestimmte. Die Witwe ging leer aus, nachdem Johnson 1984 in England gestorben war. Seitdem hat es immer wieder Spekulationen und Gerüchte gegeben, ob da in der Gestalt von Siegfried Unseld etwa der Teufel seine Hand im Spiel gehabt haben könnte. Kürzlich wurde alles noch einmal kräftig durchgerührt und pikant aufgewärmt: in der Schmähschrift des Germanisten Werner Gotzmann. Dort wird unumwunden behauptet, es sei beim zweiten Testament Johnsons zugunsten des Suhrkamp Verlages nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen. Allerdings räumt er ein, daß das Berliner Nachlaßgericht 1992 in diesem Streit zugunsten des Verlages entschieden hat. Als Streitpunkt bleibt (vielleicht bis in alle Ewigkeit), daß doch das Testament von 1975 ein gemeinsames der Eheleute Johnson war, also nach deutschem Recht nicht widerrufen werden könne. In diesem Punkt waren sich Elisabeth Johnson und der Verfasser dieser Schrift einig. Doch recht bekamen sie nicht. Die Folgen dieses Entscheids machen zwar keine Buchgeschichte, doch führen sie zu fortgesetzten Attacken gegen den Verleger Unseld. Dem aber, Leser wissen das zu schätzen, ist es immer um Uwe Johnson und sein Erzählwerk, und das schon zu Lebzeiten, gegangen. Er hatte ihm, trotz jahrelanger Schreibblockaden, zu regelmäßigen Einkünften verholfen, ihm im Sommersemester die Poetik-Vorlesungen an der Universität in Frankfurt ermöglicht.

Ganz eigenartig verhalten sich doch mitunter Witwen. So auch hier. Geld oder Gerechtigkeit, das ist hier die Frage. Sie stellt einen Text, eine Erklärung Uwe Johnsons heftig in Frage, muß sich aber darüber im klaren sein, daß solcherart Umstände nie mehr gänzlich aufzuklären sind. Sie vertritt die Auffassung, Johnson sei Täuschungen und Selbsttäuschungen erlegen. Doch wer will das heute noch beweisen? Drum gilt, daß Diskretion und Behutsamkeit im Umgang mit dem Werk eines Autors und mit seiner Biographie oberstes Gebot bleiben. Das gilt auch für Witwen und ihre grummelnden Anhänger.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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