Eine Rezension von Hans Chmelik


Ein satirisches Buch mit ernstem Hintergrund

Peter Ensikat: Hat es die DDR überhaupt gegeben?

Eulenspiegel Verlag, Berlin 1998, 192 S.

Peter Ensikat sieht die gesellschaftliche Funktion seiner herablassend als „leichte Muse“ bezeichneten Zunft darin, „keine alten oder neuen Botschaften zu verkünden“, sondern sie „allenfalls in Frage“ zu stellen. Noch deutlicher: „Wir geben zu bedenken.“ (S. 131) Ohne Bedenken kann die Abhandlung der Frage Hat es die DDR überhaupt gegeben? als inhaltlich fundiert, empirisch wertvoll und geistig anregend gewertet werden.

Brisanz und Relevanz der Fragestellung werden unter den neuen Verhältnissen immer offensichtlicher: „Sie (die DDR) war noch mächtig nach dem 17. Juni, noch bewohnbar nach vierzig Jahren Sozialismus, nicht mehr auffindbar nach der Wiedervereinigung.“ (S. 17) Dieses Urteil - „Nehmt alles nur für nichts!“ - wird sowohl durch die Denk- und Verhaltensweisen vieler Bürger in den neuen Bundesländern und die jüngsten Wahlergebnisse als auch durch die ehrliche Aufarbeitung der DDR-Geschichte durch Ensikat selbst relativiert.

Dafür sprechen zumindest drei Feststellungen:

Erstens: „Das Bild, oder besser: die Bilder, die wir uns von der Vergangenheit machen, sind ganz und gar unabhängig von allem wirklichen Geschehen.“ (S. 10) In den Kapiteln „Das alte Feindbild“, „Meine alten Kollegen“, „Mein Präsident“, „Der Zensor“, „Der eine IM“, „Der andere IM“ u. a. erweist sich Peter Ensikat als genauer Beobachter vergangener und gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse. Unbeirrbar, ernst und mit einem gehörigen Schuß Selbstironie charakterisiert er die ursächlich aus egoistischem Denken und scheinbar unabwendbaren Sachzwängen resultierenden Haltungen und Verhaltensweisen seiner Zeitgenossen. Illusionslos gelangt er zu der Erkenntnis: „DIE DA DRÜBEN sind als Feindbild genauso praktisch, wie es einst DIE DA OBEN waren. Wir nennen einander zwar nicht mehr Klassenfeinde, behandeln einander aber endlich so. Und dieser Wandel erfolgte ausschließlich durch Annäherung.“ (S. 21)

Zweitens: „Mit der Freundschaft ist es wohl wie mit der Liebe - muß man machen, muß man nicht ewig darüber reden.“ (S. 29) Das durchgängig erkennbare methodologische Prinzip - ein sensibles Gespür für Machbares - verstärkt Peter Ensikat insbesondere in den Kapiteln „Von Liebe und Freundschaft“, „Wir Anders-Denkenden“, „Der Liedermacher“, „Meine Freunde Marx und Engels“, „Mein linker Freund, der Achtundsechziger“ und „Die Kapitalistin“. Hier beweist er ein waches Gewissen und ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden gegenüber pauschalen, anmaßenden (Vor-)Urteilen. So zeigt er das wahre Wesen der Liebe zur Macht, zum Geld, zum Vaterland ebenso wie den Umgang mit Glaubenssätzen und die Funktion von Vorurteilen als „in jedem Fall ... letzte Instanz“ (S. 28).

Drittens: „Der Sozialismus ist seinerzeit an zu wenig Sozialismus zugrunde gegangen. Im Moment sieht es so aus, als könnte der Kapitalismus an zu viel Kapitalismus zugrunde gehen.“ (S. 86) Beim Lesen der Kapitel „Wie sich alles wandelt und gleichbleibt“, „Ein Leben in Dankbarkeit“, „Wir Ewiggestrigen“, „Der Zweck heiligt das Bündnis“ und „Süße Freiheit“ stellten sich bei mir gemischte Gefühle und widerstreitende Gedanken ein. Zum einen fanden viele Aussagen über Ereignisse und Prozesse meine ungeteilte Zustimmung aufgrund gleichartiger bzw. ähnlicher Lebenserfahrungen, Lebensmaxime, Prinzipien und Werte. Das betrifft die Rolle der Intelligenz, die Suche nach Identität, die Bedeutung von Karriere, den „nützlichen Idioten“ u. a. Zum anderen zeigten sich Unterschiede hinsichtlich der Gewichtigkeit weltanschaulicher Positionen, der Identifizierung mit dem Sozialismus und der Wirkung von Optimismus. So befand sich Peter Ensikat, wie er selbst schreibt, als Satiriker schon von „Berufs wegen im Widerspruch zu dieser (fortschrittlichen sozialistischen) Weltanschauung“. (S. 104)

Es ist jedoch keineswegs verwunderlich, wenn die Antwort Peter Ensikats auf die Aufforderung eines West-Verlegers, uns doch endlich von allen Utopien - wie etwa die des Sozialismus - zu verabschieden und uns statt dessen so realistischen Zielen wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zuzuwenden, meinen kräftigen Beifall findet: „Seitdem versuche ich so realistische Ziele wie Freiheit und Gleichheit unter einen Hut zu bekommen. Denn wenn man das erst geschafft hat, dann ist die ganze Brüderlichkeit nur noch ein Klacks.“ (S. 164)

Die Lektüre des Buches Hat es die DDR überhaupt gegeben? bereitet Genuß, erzeugt Nachdenklichkeit und verdeutlicht, daß die Meinungen zu dieser Frage weit auseinandergehen. Ensikats satirischer Streifzug führt nicht zuletzt in eine Betrachtung des heutigen politischen und kulturellen Alltags. Und so lautet sein Fazit: „Heute sehe ich zum jetzt und hier herrschenden demokratischen System keine Alternative. Allerdings sähe ich ganz gern mal in diesem System die eine oder andere Alternative.“ (S. 181) - Die Wirklichkeit scheint den Satiriker zu erhören.

Bliebe noch eine letzte Anmerkung: Die erstaunte Feststellung eines Westzuschauers - „Sie machen ja Kabarett mit Inhalt“ (S. 32) - bedarf keiner Erläuterung, denn auf den I n h a l t kommt es nach wie vor an.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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