Eine Rezension von Jens Helmig


Lyrik ist schwürig

Erika Hanna Alexis Hackemack: Schritte jenseits von Eden.

Gedichte.

Frieling & Partner, Berlin 1998, 93 S.

Dem Einbandtext des etwa neunzig Seiten starken Gedichtbändchens ist zu entnehmen, daß die Autorin Frau Hackemack eine weitgereiste ist, die sich in ihrer Freizeit der Lyrik widmet - das ist gut zu wissen. Was nicht gut ist, ist das Produkt ihrer Freizeitbeschäftigung und der Fernreisen - ihre Lyrik.

Ein weitverbreiteter Irrglaube besteht in der Ansicht, daß die moderne Lyrik eine Literaturgattung ohne bzw. von jeder nur erdenklichen Form sei. Eine noch weiter verbreitete Ansicht geht davon aus, daß es genüge, einige lose verbundene sprachliche Bilder in unvollendete Sätze zu pressen und diese dann als Zeilen wechselnder Länge auf Papier zu drucken. Diese Meinungen und „Deinungen“ sind falsch, doch zum Thema: Ich möchte gar nicht über die Tatsache sprechen, daß Frau Hackemacks Lyrik subjektiv und vor allem klischeehaft ist. Wer bestimmt schon was ein Klischee ist, und schließlich gilt die Lyrik gemeinhin als subjektivste literarische Gattung. Dieser Gemeinplatz ist übrigens ebenfalls unrichtig.

Als schlimm habe ich während der Lektüre vor allem die zwanghaften religiösen Anwandlungen empfunden, welche die Autorin glaubt in Verse drechseln zu müssen. Die folgenden Zeilen eines Gedichtes mit der originellen Betitelung „Teuflisch“ auf Seite 34 des Buches mögen helfen, meinen Eindruck zu illustrieren:

„Gott keltert die Verbindung / Teufel als Beigeschmack / in unserer Lebensmitte. Not- / wendiger Mittel zum Zweck. / Zwecklos die Trennung / Teufel und Gott. // Beides dem Menschen verteilt / Gut und Böse immer zu zweit. / Von jedem etwas vereint im Geist. / Geistlich vergöttlicht unser Mahnkreuz / Zeit. Der Mensch wacht im Teufel. / Über dem Gekreuzigten ist der Dornenkranz aus unserem Blut gestrickt.“

In wechselhaften Zeiten wie den unsrigen hatten und haben dualistische bis manichäische Okkultismen stets Konjunktur, in Frau Hackemacks Gedicht wird ihnen darüber hinaus noch ein weinerlicher fatalistischer Beiklang zugefügt, der eventuell in die Stimmungslandschaft eines verregneten Totensonntagnachmittags paßt, aber keinesfalls publiziert gehört, zumindest nicht außerhalb der für die Autorin zuständigen Gemeindefaltblätter, welche gemeinhin nicht für ihren Optimismus bekannt sind.

Der Umweltschutz, der als literarisches Thema heutzutage interessanterweise oft nur noch in zweitklassiger Lyrik anzutreffen ist, sollte natürlich hier auch nicht zu kurz kommen: Das Gedicht „Gestorbener Fluß“ verleiht, in bester symbolistischer Tradition stehend, dem Unbelebten, in diesem Fall den toten Flüssen, eine eigene Stimme; man höre, was sie zu sagen haben:

„Es kamen die Flüsse / die fragten uns Menschen nach Ihrer Zeit / und dunkel verpestet zog ein schwarzer Strich / den Trauerrand der schwarzen Chemie ans Licht // Die Fische die Pflanzen im Auftrieb zum Tod / Ein Untergeh-Würgegriff zog modrig über den Kot / O Fluß! Dein Bio-Gesicht / hält nicht mehr was es verspricht // Begradigt! Begnadigt! Sauber verformt! / Menschenmöglichkeit hat sich gelohnt / Wir trinken dein Wasser / Wir wollen die Pest / Wir töten langsam Menschen perfekt.“

Der Rezensent geht davon aus, daß die angeführten Zeilen nicht weiter kommentiert werden müssen; der erste Eindruck, bei dem Gedicht handele es sich eigentlich um einen Schlagertext in der besten Tradition der frühen „kritischen“ achtziger Jahre, erwies sich als haltlos, da die Zeilen keine einheitliche Rhythmik, von einem Metrum ganz zu schweigen, aufweisen.

Die angeführten Textbeispiele bilden in etwa die Eckpunkte des Hackemackschen Schaffens und können als typisch gelten, weitere Beispiele und Kommentare möchte ich den Lesern ersparen.

Für viele müssen Kritiken der obigen Art beleidigend klingen und dies nicht zuletzt dann, wenn sich polemische oder sarkastische Untertöne einzumischen scheinen. Der Sinn der Literaturkritik liegt jedoch nicht darin, AutorInnen mit gutgemeinten Absichten einer öffentlichen Hinrichtung preiszugeben. Eine nicht unbekannte Fernsehdiskussion zum Thema „Neuere Literatur“ hat sich dieser Aufgabe bereits angenommen, zu Recht oder zu Unrecht. Der Sinn liegt viel eher in dem Bemühen, so weit dieses möglich ist, eine konstruktive Kritik zu leisten, was letztenendes bedeutet, jedem Text eine faire Chance zu geben, also an ihn die Frage zu richten, ob er die Bedingungen und Möglichkeiten, die im Rahmen seiner Gattung vorgegeben sind, erfüllen oder sogar sprengen kann, oder nicht.

Eine solche allererste Kritik muß jedoch im Vorfeld der Veröffentlichung, bereits von den Lektoraten der Verlage, realisiert werden, die sich für eine Publikation anbieten. Ein Verlag wie derjenige, der Frau Hackemacks Lyrik veröffentlicht, hat eine solche Kritik nicht leisten können oder wollen. Die Verantwortung eines Verlegers gegenüber seinen Autoren umfaßt jedoch lektorielle Hilfestellungen, ansonsten ist das, was sich Verlag nennt, nicht mehr und nicht weniger als eine Lagerhalle für bedrucktes Papier - wohlgemerkt, all dieses spricht gegen bestimmte Verlage, nicht gegen ihre AutorInnen, welche allein aus Gründen mangelnden Abstandes zu ihren eigenen Texten nicht als Verleger auftreten können und sollten, was sie von Fremdbeurteilungen abhängig macht. Versäumt ein Verlag die erwähnte Hilfestellung, führt er seine Autoren im Grunde genommen hinters Licht, indem er durch unterlassene, ich möchte es noch einmal betonen, konstruktive Kritik eine Publikationsreife suggeriert, die (noch) nicht da ist. Hieraus ergibt sich, daß die Literaturkritik häufig und viel eher gegen die jeweiligen Herausgeber gerichtet ist als gegen „deren“ Autoren, was natürlich nicht bedeuten soll, daß diesen die Verantwortung für ihre Texte abgenommen werden kann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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