Eine Rezension von Reinhard Mocek


Pflegerische Anhängsel der Jahrhundertmänner

Reinhold Dörrzapf: Die Liebe der Jahrhundertmänner

15 politisch-erotische Biographien.

Marion von Schröder Verlag, München 1997, 492 S.

Streifzüge durch die aufregende Welt der Biographien bedeutender Zeitgenossen können sich ihres Lesererfolgs beinahe a priori sicher sein. Gesellt sich dazu noch der Blick durch das Schlüsselloch, so daß laut Vorwort „naive Leser zuweilen der Verdacht beschleichen könnte, die geschichtliche Entwicklung sei im wesentlichen durch Erektionen bestimmt worden“, wird die Kauflust zusätzlich angestachelt. Ist das Ergebnis dann aber ein so gut geschriebenes, gar lehrreiches, dabei überhaupt nicht belehrendes Buch wie das vorliegende des Münchener Journalisten und Mitarbeiters der „Münchener Allgemeinen Zeitung“ Reinhold Dörrzapf, möchte man gern alles Wenn und Aber beiseite schieben und den ungetrübten Lesegenuß verteidigen. Doch das Buch formuliert auch einen Anspruch: Der Autor will nachweisen, daß zum Verständnis der staatstragenden und gesellschaftsbildenden Kräfte der 15 ausgewählten Männerleben unbedingt die Geschichte ihrer Frauen gehört, sei im 20. Jahrhundert doch klar geworden, daß die Frau stets schon mehr war als nur das „pflegerische Anhängsel“ des Mannes.

Es liegt nun die Vermutung nahe, daß diese selbstauferlegte Nachweispflicht nicht an jeder Politikerpersönlichkeit vollzogen werden kann. Tatsächlich vermag der Autor nur in einem Falle seiner Jahrhundertmänner einen solchen Einfluß einer Frau auf das persönliche Kraftfeld ihres Partners glaubhaft zu machen - bei der Skizzierung der Liebe von Nelson Mandela zu Wini, der ersten schwarzen Sozialarbeiterin Südafrikas, die mit vollem Namen Nomzamo Winifred Madikizela heißt. Das ist nahezu der einzige mit warmem Herzen geschriebene Beitrag in diesem Buch, der sich wohltuend abhebt von dem ätzenden Zynismus, mit welchem Dörrzapf die Biographien Mustafa Kemal Atatürks, Jozip Broz Titos und Mao Tse-tungs behandelt, aber auch zur personifizierten Jämmerlichkeit, die er an Kaiser Franz Joseph und - auf seine Verhältnisse zu anderen Frauen bezogen - John F. Kennedy festmacht. Mit spitzen Fingern nähert er sich Gorbatschow, wo allein der veredelnde Einfluß, den Raissa auf den cleveren Apparatschik hatte, seiner Feder versöhnliche Sätze entlockt. Weitgehend sachlich sind die Abhandlungen zu Franklin D. Roosevelt, Lenin und erstaunlicherweise auch zu Stalin. Hier lotet Dörrzapf auf neofreudistischen Wegen in die kindliche Erfahrungswelt des späteren Diktators, die seinen Menschenhaß begründet hat, während bei Hitler eher die Sozialerfahrungen des ziellosen Außenseiters prägend wurden. Gerade für Hitler aber war der Einfluß von Frauen auf die Entwicklung seiner politischen Haltung höchst nebensächlich. Für Hitler sei die Rede vor versammeltem Volke wie eine Kopulation mit der Masse gewesen; sein Verhältnis zu Frauen war grundlegend gestört. Dieser Sachverhalt gilt mit Abstufungen eigenartigerweise für viele der Jahrhundertmänner, wenn man den Darlegungen Dörrzapfs (der sich im übrigen ausschließlich auf bereits veröffentlichte biographische Materialien stützt) Glauben schenken darf.

Natürlich gilt er nicht für die anderen drei ausgewählten Deutschen. Da sind die erotischen Oszillationen für jeden nachvollziehbar; es sind die in einem langen und wechselhaften Leben nun einmal vorkommenden neuen Begegnungen, die die bereits eingegangenen Bindungen auf die Probe stellen. Wie im richtigen Leben also. Dörrzapf muß hier natürlich Rücksicht nehmen auf seine deutschen Leser und seinen Hang zu flapsigen Bemerkungen, die stellenweise dieses Buch an den Rand des guten Geschmacks führen, bremsen. Einige Kostproben gefällig? Titos Geliebte Pelagaja habe ihm im fernen Kirgisien „die Läuse auf der Brust zerbissen“. (S.323) Da nehmen sich Atatürks sexuelle Abenteuer „mit Istanbuler Hafenhuren, bei denen Mustafa Kemal seine Anis-Schnaps-Nächte beendete“ (S.89), noch relativ zahm aus. Roosevelt war nach seiner Polioerkrankung schlicht „ein Krüppel“ (S.144). Und der auf Karriere erpichte Gorbatschow war ein „unappetitlicher Kriecher auf der Schleimspur der Partei“ (S.440), „wie ein Hund“ seinem Herrn ergeben. Aber derlei Geschmacklosigkeiten gehören mittlerweile zum üblichen Ton journalistischer Geschichtsbetrachtung; gewisse Nachrichtenmagazine haben diese Manier ja längst salonfähig gemacht. Natürlich kann man mit Herbert Wehner und Willy Brandt so nicht umgehen, noch weniger mit der Denkmalsgestalt Konrad Adenauer. Ihre politische Biographie wird durch keinerlei erotische Abenteuer oder sexuelle Fehltritte beeinträchtigt, wenngleich Wehners herber Umgang mit seinen drei Lotten für Dörrzapf hinlänglich Material bietet, um diese komplizierte Gestalt der deutschen Arbeiterbewegung dem Leser wirklich nahezubringen. Man wünschte sich, daß der Verfasser auch seinen ausländischen Helden diese Fairneß entgegengebracht hätte! Doch auch hier der Hang zum lockeren Urteil. Herbert Wehner wird als „schlechter Liebhaber“ tituliert, Brandts Liebesleben gar sei „außerordentlich erfolgreich“ gewesen! Doch das ist ja nichts gegen Brandmarkungen wie der „Macho“ Tito, der als „seniler Lustmolch“ endende Mao, das „triebhafte Kind“ Gandhi oder der „sexuelle Hochleistungssportler“ Kennedy. Da nimmt sich der „perfekte Witwer“ Adenauer ja noch ganz manierlich aus.

Spätestens hier fragt man sich nach dem Auswahlprinzip; neben Hitler drei deutsche Politiker, drei russische Kommunisten und Staatsmänner, zwei US-amerikanische Präsidenten, ein österreichischer Kaiser, je ein aus den unteren Volksschichten stammender chinesischer und jugoslawischer Revolutionär, dazu die beiden großen türkischen bzw. indischen Reformgestalten und schließlich, eine wahrhafte Jahrhundertgestalt, Nelson Mandela. Was werden die Engländer, Franzosen oder Italiener wohl dazu sagen, ganz zu schweigen vom Blick auf andere Kontinente? Oder waren das die konkurrenzlos hervorzuhebenden großen politisch-erotischen Leben, die das Jahrhundert hatte? Das muß man schlichtweg verneinen. Bis auf eine Ausnahme - Mandela eben, mit Abstrichen bei der Beziehung Raissas zu Gorbatschow - gelingt es Dörrzapf nicht, nachzuweisen, daß die Frauen seiner Helden irgendwie ihr persönliches Kraftfeld beeinflußt hätten.

Nun, entspannen wir also den Anspruch einer solchen Publikation. Auf die politischen Geschicke des ausklingenden Jahrhunderts, das alles andere als ein erotisches war, wirft es kein neues Licht. Wie die Frauen dieses Jahrhunderts aus der Rolle als „pflegerisches Anhängsel“ des Mannes mehr und mehr herausgetreten sind, wird durch die Biographien der vorgestellten Jahrhundertmänner nicht einsichtig. Man kann sich aber nicht ganz sicher sein, ob der Autor wirklich einen solchen Nachweis führen wollte. Wer diesem Rätsel auf die Spur kommen will, sich zugleich ein paar gut verpackte Nachhilfestunden zur politischen Geschichte dieses Jahrhunderts erhofft und gefeit ist gegen die Attitüde der journalistischen Allgewißheit, dem sei die Lektüre empfohlen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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