Eine Annotation von Clara Conradi


Keiser, Gabriele:

Mördergrube

Roman.

Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1998, 226 S.

Träume sind Schäume, heißt es. Doch manchmal werden sie auch wahr. Eine der Glücklichen, über die Fortuna unverhofft ihr Füllhorn geöffnet hat, ist die Arzthelferin Nina Lorenz, eine ebenso attraktive wie selbstbewußte Mitdreißigerin mit einem Faible für das geheimnisumwitterte Leben von Edgar Allen Poe und seine mystischen Storys. Vorbei die Zeit, wo Nina mit ihrem Schicksal haderte, weil sie sich mit einem Miniappartement begnügen mußte. Eine unerwartete Erbschaft erlaubt es ihr, sich ein Haus auf dem Lande zu kaufen, ganz wie sie es sich erträumt hat - mit blauen Fensterläden und einem Kirschbaum im Garten. Daß das „Traumhaus“ eher einer Bruchbude gleicht, kann sie ebensowenig schrecken wie der spießige Charme dörflicher Idylle. Sie kündigt ihren Job und beginnt voller Elan, das marode Eigenheim in ein gemütliches Zuhause zu verwandeln. Beim Aufräumen stößt sie auf ein Tagebuch mit seltsamen Eintragungen, eine verschlossene Truhe, die ihre Neugier entfacht, und ein abgebrochenes Messer, dem sie allerdings wenig Bedeutung beimißt- bis sie im Keller eine grausige Entdeckung macht und ihr mit Entsetzen klar wird, daß ihr Traumhaus eine mysteriöse Geschichte hat...

Keine Geringere als Ingrid Noll, mittlerweile Galionsfigur des deutschen Frauen- und Psychokrimis, hat dem Roman von Gabriele Keiser ein Gütesiegel verliehen. „Ihren Krimi habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Auch mein Mann war ganz begeistert“ - so der Lobpreis aus berufener Feder. Der Verlag hat ihn auf dem Einband des Buches öffentlich gemacht, was womöglich absatzfördernd ist, allerdings auch hohe Erwartungen weckt, zumindest die auf eine mehr als nur durchschnittlich unterhaltsame Lektüre.

Um es vorwegzunehmen: Die Nollsche Begeisterung teile ich nicht. Gabriele Kaiser hat zwar einen ganz ordentlichen, aber dabei etwas bemüht und glanzlos geratenen Krimi vorgelegt.

Mördergrube ist die Geschichte einer trotz flotter Diktion recht gemächlichen, aber doch nie langweilig werdenden Spurensuche, die zurück in die nebulöse Vergangenheit einer merkwürdigen Familie führt. Das Geschehen wird aus der Ich-Sicht zweier Figuren erzählt, wobei die zunehmend selbstgefällig wirkende Nina (ihr meist abschätziger Blick auf ihr mehr oder weniger nahestehende Personen hat mich doch empfindlich gestört) den Handlungsverlauf dominiert. Die Chronologie ihrer Erzählung wird mehrfach unterbrochen von traumatischen Lebenserinnerungen einer zunächst nicht näher identifizierten, offensichtlich psychisch gestörten Frau. Diese Reminiszenzen spiegeln Facetten eines komplizierten Wesens und lassen das blutig endende Drama einer inzestuösen Beziehung erahnen, das sich unter dem Dach von Ninas Traumhaus zugetragen hat. Und damit verrate ich keinesfalls zuviel, denn was sich für die neue Hausbesitzerin wie hinter dichtem Nebel verbirg, erscheint dem Leser als ein weitgehend offenes Geheimnis. Wirklich Überraschendes widerfährt ihm nicht. Die Spuren der Vergangenheit schrecken lediglich Nina.

Wer also vor allem eine adrenalinsteigernde Lektüre erwartet, wird wohl enttäuscht sein. Von all den Ingredienzien, die eine nervenaufreibende Psycho-, Grusel- oder Mysterystory braucht – ungeheuerliche Ereignisse, dunkle Geheimnisse, rätselhafte Verwicklungen, psychologische Tiefe, dramatische Höhepunkte oder mörderische Raffi- nesse –, hat Mördergrube ein bißchen zuwenig. Und so entsteht denn auch keine spannungsgeladene Atmosphäre, es knistert einfach nicht, höchstens im Gebälk des altersschwachen Hauses.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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