Eine Annotation von Volker Strebel


Gracq, Julien:

„Lesend schreiben“

Aus dem Französischen von Dieter Hornig.

Droschl Verlag, Graz/Wien 1997, 280 S.

„Jede große Landschaft ist eine Einladung, sie gehend in Besitz zu nehmen“ schreibt Julien Gracq und ist fasziniert, daß Begeisterung eine räumliche Dimension annehmen kann. Wenn der leidenschaftliche Wanderer Julien Gracq die Gedanken beim Dahinschreiten in Notizen festhält, bemerkt man allzubald, daß sein Erlebnis der Landschaft ersetzbar ist, mit einem ausschweifenden Text. Die Landschaft als Text, in den sich der Autor hineinschreibt.

Schreiben, wandern und lesen werden austauschbar, da sie seine Sinne gleichermaßen herausfordern. Lesend schreiben versammelt Hunderte aneinandergereihte Skizzen und Notizen, geordnet zu verschiedenen Themenbereichen, denen der literarische Wanderer Julien Gracq begegnet ist. Es geht um „Das Schreiben“, um „Lektüren“, um das Spannungsgefüge von „Landschaft und Roman“ - aber auch über „Deutschland“ oder den „Surrealismus“ wird nachgedacht. Und die großen französischen Romane melden sich sowieso zu Wort. An keiner Stelle verweilt Julien Gracq in einer Weise, daß kein neuerlicher Aufbruch mehr möglich scheint. Ein unermüdlicher und kräftiger Geist frappiert in eindrücklichen Bildern, liest vertraute Landschaften von neuem, begeht zum wiederholten Male einen bekannten Text.

Der 1910 geborene Julien Gracq hat sich längst den Ruf des heimlichen Fürsten der modernen französischen Literatur erschrieben. Bis zu seiner Pensionierung lehrte Gracq Geographie an einem Pariser Gymnasium. Seit er die Annahme des renommierten Prix Goncourt im Jahr 1951 demonstrativ verweigert hatte, galt er als Sonderling im Literaturbetrieb. Ein Unangepaßter, der während des Krieges Mitglied der Kommunistischen Partei war und ein Verehrer von Ernst Jünger ist. Gracq blieb ein notorischer Einzelgänger - kein Wunder für einen Wandernden, der am liebsten nur eines tat - „Lesend schreiben“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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