Eine Annotation von Klaus Ziermann


Sennett, Richard:

Der flexible Mensch

Die Kultur des neuen Kapitalismus.

Deutsch von Martin Richter.

Berlin Verlag, Berlin 1998, 224 S.

Ob der deutsche Titel von Richard Sennetts New Yorker Originalausgabe The Corrosion of Character der glücklichste ist, sei dahingestellt, denn nicht allein um die Kultur des neuen Kapitalismus geht es, sondern eher um Wesensmerkmale dieser Gesellschaft - speziell im Arbeitsbereich - und um Grundprobleme der Situation des Menschen darin. „Heute wird der Begriff ,flexibler Kapitalismus‘ zunehmend gebraucht, um ein System zu beschreiben, das mehr ist als eine Mutation eines alten Themas. Die Betonung liegt auf der Flexibilität. Starre Formen der Bürokratie stehen unter Beschuß, ebenso die Übel blinder Routine. Von den Arbeitnehmern wird verlangt, sich flexibler zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein, ständig Risiken einzugehen und weniger abhängig von Regeln und förmlichen Prozeduren zu werden“ (S. 10), heißt es in der „Einleitung“.

Acht Problemfelder werden von Sennett ausführlicher untersucht: „1. Drift. Wie persönliche Erfahrung in der modernen Arbeitswelt zerfällt“, „2.Routine. Ein Übel des alten Kapitalismus“, „3.Flexibilität. Die neue Strukturierung der Zeit“, „4.Unlesbarkeit. Warum moderne Arbeitsformen schwer zu durchschauen sind“, „5.Risiko. Warum Risiken auf sich zu nehmen verwirrend und deprimierend geworden ist“, „6.Das Arbeitsethos. Wie sich das Arbeitsethos gewandelt hat“, „7.Scheitern. Wie man mit dem Scheitern fertig wird“, „8.Das gefährliche Pronomen Gemeinschaft als Mittel gegen Drift“.

Richard Sennett, Soziologe von Haus aus, der Mitte der achtziger Jahre mit seinem Bestseller Verfall und Ende des öffentlichen Lebens zu einem der gegenwärtig bekanntesten Gesellschaftstheoretiker im englischsprachigen Raum avancierte, verblüfft auch in seinem neuen Buch durch brisante Fragestellungen und gekonnte geschichtsphilosophische Exkurse. Da das Buch auf eine empirische Studie zurückgeht, zeichnet es sich darüber hinaus durch ein reiches Faktenmaterial, vor allem genaue Beobachtungen von Trends im gegenwärtigen Arbeitsleben der USA, aus. Der Vorzug der Publikation besteht jedoch nicht so sehr in fertigen Problemlösungen und ein für allemal gültigen Gesamturteilen über die moderne Gesellschaft und ihre Arbeitswelt, sondern in seinem anregenden Charakter. Diesem Ziel dient auch der „Anhang“ mit 10 Tabellen über „Beschäftigung in ausgewählten Branchen mit Prognosen: 1979-2005“, „Einkommensunterschiede und Arbeitslosigkeit in den OECD-Staaten 1980-1995“, „Produktivitätszunahme in fünf Industriestaaten 1950-1986“, die „Mitgliederzahl der U.S.-Gewerkschaften 1940-1993“, die „Zusammensetzung der arbeitenden Bevölkerung nach Alter und Geschlecht und Anteil der Teilzeitarbeit 1969, 1979 und 1989“, „Organisation der Arbeitszeit 1991“, „Computernutzung im Rahmen von Bürotätigkeit 1993“, „Einkommen von Arbeitskräften in den achtziger Jahren, ein bis drei Jahre nach einem Stellenwechsel“, „Beschäftigung und Bildung 1990 und Prognose für 2005“ und „Gewerkschaftsmitgliedschaft im öffentlichen und privaten Sektor: 1983-1994“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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