Eine Annotation von Sabine Graßmann


Rohnstock, Katrin (Hrsg.):

Stiefbrüder

Was Ostmänner und Westmänner voneinander denken.

Elefanten Press, Berlin 1995, 204 S.

„Auffällig viele Westmänner gaben mir die Auskunft, sie kennten keine Männer aus dem Osten. Dieses Defizit dürfte keinen einzigen Ostmann auszeichnen“, schreibt Katrin Rohnstock im Vorwort zu diesem Buch. Denn: „Westmänner sind ihnen in den verschiedensten Rollen begegnet: als Hauseigentümer, als Eigner mit Rückgabeforderungen, als neue Chefs oder Arbeitskollegen, als Entwicklungshelfer in den Kommunen, Versicherungsvertreter oder Autoverkäufer. Die Ostmänner sind von diesen Erfahrungen emotional so aufgebracht oder so müde und inzwischen auch gleichgültig, daß sie wenig Lust zum Schreiben mobilisieren konnten.“ Dennoch ist es der Herausgeberin gelungen, nicht nur sich selbst einzubringen, sondern vierzehn Autorinnen und Autoren aus Ost und West und das Männerprojekt „Dissens“ zu motivieren, über Abgrenzungen zu Männern aus dem jeweils anderen deutschen Teil und über das eigene Selbstverständnis zu schreiben. Herausgekommen sind dabei ironische, melancholische, freche, nachdenkliche Texte und wissenschaftliche Untersuchungen. Klar wird, es gibt auf beiden Seiten Vorurteile und Klischees, teils aus gängigen Medien genährt, teils aus eigenen Erfahrungen pauschalisiert. So kommt der Ostler, käsig im Gesicht, immer noch im schlabbrigen Trainingsanzug zum Frühstücksbuffet, stellt hemmungslos seinen Bierbauch zur Schau, hat eine ausgeprägte Vorliebe für rote Kleidungsstücke. Der Westler, sonnengebräunt (ob vom Urlaub oder vom Sonnenstudio, verrät er nicht), immer mit blütenweißem Hemd, gestylt und wohlriechend, wedelt mit dem roten Momper-Schal. Der Ostmann geht zum Arbeitsamt, zu Aldi, zur AOK und zu Holliday-Reisen. Der Westmann strebt nach Chefetagen, richtet sich darin ein, kauft im La Fayette und denkt positiv. Ein Jungschnösel soll gestandenen Ost-Akademikern West-Wissen ver mitteln, die müssen halt noch viel lernen. „Wir Ostmänner haben nicht mehr von den Westmännern zu lernen als diese von uns. Dies einzusehen wäre bereits die Revolution der Verbrüderung“, schreibt Hans-Joachim Maaz. Neben den deutsch-deutschen Männer stehen natürlich auch Frauen - genauer gesagt, die arbeitende (so sie noch Arbeit hat) Ostfrau: Sie herrscht manchmal partnerschaftlich über ihren Angetrauten, während die den Haushalt führende Westfrau darauf bedacht ist, daß Männe genug Kohle mit nach Hause bringt... Geld reizt nicht weniger auch die Frau aus dem Osten, die sich nicht an den Rand der Gesellschaft drängen lassen möchte, deshalb wählt sie gerne einen betuchten Wessi, der sich zudem in den Verhältnissen gut auskennt, brillant parlieren kann oder als väterlicher Freund und Berater auftritt. Das trifft sich gut, denn Westmänner stehen auf Ostfrauen, die sind sinnlich, selbstbewußt, praktisch veranlagt. „Auf der formal registrierbaren Ebene der Ost-West-Eheschließungen heirateten 99,2% Ostfrauen Westmänner, aber nur 0,8% Westfrauen Ostmänner“, berichtet Katrin Rohnstock. Der Diplom-Soziologe Jürgen Sass kommentiert Ergebnisse einer Repräsentativerhebung des Deutschen Jugendinstituts München in Ost und West zum Partnerschaftsverhalten von Männern und kommt zu dem Schluß, daß die ostdeutschen Väter in vielen Punkten partnerschaftlicher eingestellt sind als die Väter im Westen. Die Männer in Ost und West tun sich schwer in der Annäherung. Den gesamtdeutschen „männlichen Schulterschluß“ gibt es nicht - noch nicht. Das vorliegende Buch bietet Ansichten, Lebensläufe, Brüche und Karrieren aus Ost und West - nicht nur für Männer.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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