Eine Sachbuch-Annotation von Gerhard Keiderling


Hübsch, Reinhard:

Als die Mauer wuchs

Zur Deutschlandpolitik der Christdemokraten 1945-1970

Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1998, 225S.

Es handelt sich um den Protokollband eines Symposiums zum Thema „Die Deutschlandpolitik der Christdemokraten in den 50er und 60er Jahren“ vom April 1997. Renommierte Historiker und Unionspolitiker aus den früheren beiden deutschen Staaten tragen ihre Ansichten vor. Eingangs gibt Reinhard Hübsch, Redakteur des Südwestfunks, in Auswertung der umfangreichen Literatur einen weitgespannten Überblick über Adenauers Deutschlandpolitik zwischen 1945 und 1959. Henning Köhler, Verfasser einer Adenauer-Biographie, zeichnet ein differenziertes Bild von Adenauers deutschlandpolitischen Vorstellungen. Wenngleich sich der Rheinländer „im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute mit der Teilung Deutschlands schon sehr früh abgefunden hätte“ (S. 91), könne man ihm doch kein generelles Desinteresse an der Wiedervereinigung unterstellen. Zwar hätte Adenauer im März 1952 die legendäre Stalin-Note schroff zurückgewiesen, doch wäre er nach 1955 „in die gesamtdeutsche Verantwortung“ hineingewachsen. Im Koreferat hierzu vertritt der Historiker Josef Foschepoth die Auffassung, daß für den ersten Bundeskanzler die Wiedervereinigungslosung immer nur Mittel zum Zweck gewesen sei, um sein Hauptziel Westintegration zu erreichen. Seine Formel „Wiedervereinigung durch Westintegration“ wirkte innenpolitisch disziplinierend und lenkte zudem „die verschiedenen nationalen Wünsche und Sehnsüchte nicht gegen den Westen, sondern gegen den Osten“ (S. 122). Zum Beweis zitiert er die „Kirkpatrick-Notiz“, die er 1986 der Forschung zugänglich gemacht hatte. Danach ließ Adenauer im Dezember 1955 die britische Regierung wissen, daß er selbst bei Erfüllung aller westlichen Vorbedingungen keine Wiedervereinigung wünsche. Rainer Barzel, früherer CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzender und Bundesminister, skizziert sodann die CDU-Deutschlandpolitik zwischen 1959/60 und den Grundlagenvertrag mit der DDR von 1972 und hebt als Hauptverdienst ein Offenhalten der deut schen Frage hervor.

Die beiden letzten Referate verdienen besondere Beachtung. Gerhard Fischer und Günther Wirth, vor 1989 im Hauptvorstand der CDU der DDR tätig, schildern - teilweise aus eigenem Erleben - die Schwierigkeiten, im besagten Zeitraum mit der CDU der Bundesrepublik in einen sachdienlichen Dialog zu kommen. Auf Betreiben Adenauers betrachtete man seit 1947/48 die Ost-CDU als einen „Trupp von SED-Vasallen“, den man mit Nichtachtung strafte. Dennoch war die DDR-CDU aus Gründen des Friedens und der nationalen Einheit der Deutschen immer darum bemüht, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Beide Referenten belegen dies durch viele Beispiele (Parteipolitiker wie Nuschke, Dertinger, Götting; Kirchenleute, Journalisten und andere Persönlichkeiten) und eigene Erlebnisse. Die auch schon im Einleitungsvortrag gestellte Frage, warum die Adenauer-CDU ihren ostdeutschen „Brüdern und Schwestern“ die Lebens- und Not-Hilfe versagte, konnte in der Diskussion nicht überzeugend beantwortet werden. So bleibt angemahnt, was Ernst Lemmer, zusammen mit Jakob Kaiser im Dezember 1948 von den Sowjets zum Rücktritt gezwungen, als ein Vermächtnis verstanden wissen wollte:

„Die Geschichte wird einst auch die Haltung derer zu würdigen wissen, die nicht geflohen sind, die nicht unmittelbar zum Weggang in den Westen gezwungen waren. Wir, die wir nicht bleiben konnten, werden uns gewiß nicht anmaßen, über ihr Verhalten zu urteilen, wenn wir alle eines Tages wieder vereint sein werden.“

(Ernst Lemmer: Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten, Frankfurt/M. 1968, S. 333.)

Das Symposium hat Grundzüge und Probleme der Deutschlandpolitik der bundesrepublikanischen CDU behandelt und somit nützliche Anregungen für eine weitere Forschung gegeben. Es hat zugleich auf noch bestehende Hemmnisse hingewiesen, die einer unvoreingenommenen wissenschaftlichen Analyse im Wege stehen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 1/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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