Eine Rezension von Christel Berger


Protokoll einer Konferenz zu Franz Fühmann

Brigitte Krüger/Margrid Bircken/Helmut John: Jeder hat seinen Fühmann

Zugänge zu Poetologie und Werk Franz Fühmanns.

Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 1998, 337 S.

Im Februar 1997 fand in Potsdam am Institut für Germanistik eine Konferenz statt, deren Titel: Jeder hat seinen Fühmann. Zugänge zu Poetologie und Werk Franz Fühmanns zu einem für Wissenschaftler ungewöhnlichen Herangehen aufforderte. Gefragt war also nicht nur fundierte Forschung, sondern auch persönliches Bekenntnis.

Prof. Hans Richter aus Jena, ein Fühmann-Biograph, demonstrierte den Konferenzteilnehmern als erster, wie spannend und bewegend so etwas sein kann, doch die meisten nachfolgenden Beiträge (bis auf Jürgen Grambow, der seine aufschlußreichen persönlichen Erinnerungen als Hinstorff-Mitarbeiter mit einigen leider nicht immer ganz richtigen Informationen zum damaligen Literaturbetrieb mischte) hielten sich mehr an die bewährten Muster - e i n Aspekt oder e i n Werk und dazu gediegene Umfeld-Recherche. Auch das ergibt dann im ganzen ein sehr interessantes Fühmann-Bild, besonders da Fachleute aus West und Ost (nicht nur Deutschlands!), Spezialisten für verschiedene - alte und neue- Literatur, ihre Fühmann-Interpretation in den Kontext ihres Spezialgebiets stellen. Beispielsweise sprach der Jean-Paul-Spezialist Uwe Schweickert aus Stuttgart über das Mißlingen-müssen eines an die Romantiker angelehnten Konzepts, die Lyrik-Fachfrau Ursula Heukenkamp von der Berliner Humboldt-Universität nahm sich Fühmanns Trakl-Interpretation vor, oder der Mediävist Hans-Jürgen Bachorski aus Potsdam verglich Fühmanns Nibelungenlied-Nacherzählung mit denen anderer aus der gleichen Zeit. Insgesamt 20 Beiträge wurden gehalten, und das war 20 mal zwar kein anderer Fühmann, aber 20 mal ein wichtiger Aspekt aus seinem Leben oder Schaffen.

Ein Beitrag hat mich fasziniert: Peter Beicken von der Universität Maryland/USA wies nach, daß Franz Fühmann offenbar von einem Angsterleben in der Kindheit geprägt sein mußte, das Vaterbild und damit verbundene Ängste machen das deutlich. Wie sich diese Prägung durch das literarische Werk zieht, es strukturiert, kraft eindrucksvoller Bilder bedeutend macht, wandelt - das nachzuweisen war für mich ein Erlebnis und der erfolgreiche Beweis, wie man beispielsweise Freudsche Erkenntnisse für die Literaturwissenschaft nutzbar machen kann.

Einige Themen und sogar einige Sätze Fühmanns erwiesen sich in der Konferenz als roter Faden: Einmal war das der unabgesprochene Nachweis eines Literaturkonzepts, das - gleichgültig, ob es sich um Nacherzählung klassischer Mythen, Essay, Erzählung oder Reportage handelte - wesentlich vom indirekten Gegenwartsbezug geprägt war, mehr noch: von der Annahme der Übereinstimmung (oder des In-Übereinstimmung-Bringens) der Meinung über die Gegenwart zwischen Autor und Leser.

Die zweite große Frage, der sich eine große Zahl von Referenten stellte, nämlich die nach dem Gescheitertsein des Autors (Ausgangspunkt war hierbei Franz Fühmanns Aussage im Testament), hängt meiner Ansicht nach unmittelbar mit ebendiesem Literaturkonzept zusammen, sie wurde jedoch unterschiedlich beantwortet. Sowohl Gründe als auch überhaupt Zustimmung oder Ablehnung dieser These ergaben sich wesentlich aus der Wertschätzung des jeweiligen Werkes, das betrachtet wurde. Das faßt aber möglicherweise nicht das eigentliche Problem, denn das müßte Scheitern begreifen im untrennbaren Zusammenhang mit - wie Brecht sagen würde - „der Sache“, die sich halt nicht in dürren Vorstellungen eines ökonomistischen oder kollektivistischen Sozialismus-Modells erschöpft, sondern eben auch jahrhundertealte Menschheitsträume nach Gleichheit, Gerechtigkeit, Humanität und Schöpfertum einschließt, sowie hinsichtlich der Literaturtradition nicht erst von den Erfindern des „sozialistischen Realismus“ herrührt. Da aber scheinen heutige Hochschul-Germanisten überfordert, die haben im Werk Fühmanns, das in seinen fragmentarischen Teilen noch wesentlich unerschlossen ist, noch genug Motiv- und Konflikt-Stoff für die Arbeit nachfolgender Generationen, dann auch wird sich erweisen, was literarisch gescheitert sein heißt, nämlich: ob Franz Fühmanns Texte noch gelesen werden und die Lebensprobleme und Sinne unserer Enkel berühren.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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