Eine Rezension von Gret Hofmann


Volker Keßling: Tod in Kruscherow.

Verlag am Park, Berlin 1997, 224 S.

Wer anfangs glaubt, es ginge um den Suizid eines Historikers, der nach seiner Entlassung aus dem öffentlichen Dienst wegen Stasi-Verstrickung in den See geht, sieht sich bei weiterem Lesen getäuscht. Dies ist nur der Aufhänger, um diesem Manne nachzuspüren. Das macht der Schwager des Wissenschaftlers, der diesen zu Lebzeiten nicht leiden konnte und ihm aus dem Weg gegangen war, weil der Historiker wie ein Karrierist und typischer DDR-Funktionär auftrat: besserwisserisch, starr in der Auffassung, dogmatisch. Was der Schwager - und mit ihm der Leser - nun über ihn erfährt, ist etwas ganz anderes. Er findet nämlich Aufzeichnungen des Toten, die eine tiefe Krise beschreiben.

Der Historiker hatte sich schon in jungen Jahren ein Pseudonym zugelegt und damit unerkannt Texte veröffentlicht, die gegen die öffentliche Linie verstoßen. Immer mehr identifiziert er sich mit dem erfundenen Schreiber, stößt sich an der Enge und Borniertheit des Vorgegebenen, und das endet schließlich in einer klinischen Schizophrenie. Dabei spielt außerdem eine Rolle, daß er sich an Texten einer Vaterfigur reibt, die während des Zweiten Weltkrieges an der Ermordung vieler beteiligt war und das guthieß und rechtfertigte. Ein weiteres Moment seines Lebens ist die Erfahrung, daß die öffentliche Hinrichtung eines polnischen Fremdarbeiters 1945, von der er als Geschichts-Student während des Ernteeinsatzes gehört hatte, in der DDR kein Fall für die Auseinandersetzung mit der deutschen und der DDR-Geschichte war. Summiert man die verschiedenen Fakten, stellt sich eine ziemlich heillose Welt vor, an der ein sensibles Wesen zerbrechen oder krank werden muß.

„Romanmontage“ nennt der Verlag oder der Autor das Buch, entschuldigt so gleichsam einen literarischen Mangel, den ich erheblich finde. Das Buch liefert jeweils Stückchen, die keinen Zusammenhang finden. Der vom Schwager beschriebene Mann hat nichts von dem, der aus den Aufzeichnungen spricht, und die Geschichte vom Suizid ist ein weiteres Kapitel, das zum Vorangegangenen kaum Bezug hat. Die Entwicklung des Protagonisten wird genauso wie die Zwänge, in denen er sich befunden haben soll, behauptet, aber nicht gestaltet. Die Texte des vermeintlichen Vaters bringen zwar eine Dimension in dieses Lebensbild, können aber lediglich die Sensibilität und die Qual dieses Mannes mit dieser Welt bestätigen. Nichts paßt zusammen beziehungsweise wird geklärt, und so bleibt es bis zum Schluß. Einzig wirklich überzeugend beschrieben ist die Krankheitsgeschichte des Mannes. Hier ist der Autor genau, voller Detailkenntnisse, und jeder, der sich über Symptome einer klinischen Schizophrenie außerhalb von medizinischen Fachtexten informieren will, erfährt eindrucksvoll, was da mit dem Kranken passiert. Als literarisches Bild des allgemeinen Zustandes von DDR-Intellektuellen oder überhaupt Zeitgenossen taugt es jedoch meiner Meinung nach in dieser Form auch nicht, dazu ist es zu speziell und naturalistisch.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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