Eine Rezension von Waldtraut Lewin


Nichts ist einfach

Marianne Fredriksson: Simon.

Roman.

Aus dem Schwedischen von Senta Kapoun.

Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M. 1998, 413 S.

Gemächlich kommt man daher aus dem Hohen Norden, gemächlich und ohne viel Aufhebens von sich und seiner Erzählweise zu machen. Da gibt’s nichts Schrilles und Poppiges, keine Brüche und Sprünge, Moderne und Postmoderne in der Literatur haben hier den Zug verpaßt. Hier erzählt man - oder zumindest Marianne Fredriksson - so, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, und die Zeit einer Geschichte ist deckungsgleich mit der realen Zeit.

Das nimmt manchmal fast groteske Züge an. Wenn es bieder heißt: „Sie tranken noch ein Glas Sherry. Dann meinte er ...“ Oder wenn sich die Autorin ständig bemüßigt fühlt, das Verbum Dicendi durch irgend ein anderes zu ersetzen („... benutzte er die Gelegenheit“, „...lachte er“, „... trumpfte sie auf“) Fühle ich mich stark an die Jungmädchenbücher meiner Kinderzeit erinnert oder an Einschlägiges von Heimburg und Courths-Mahler. Hier wie da ist die Welt irgendwie in Ordnung. Es gibt Trübungen, aber die meisten Leute sind doch ungemein warmherzig und klug und geben Einsichten von sich wie „Nichts ist einfach“ (was für eine der Heldinnen dann zum Vademecum wird!!). Hier haben sogar die Gewerkschaften noch was zu sagen, Arbeiter sind angesehene und aufgrund ihrer natürlichen Intelligenz und besagter Warmherzigkeit durchaus literarisch vorzeigbare Helden, die sich zu Busenfreunden von steinreichen Buchhändlern (gibt’s so was?) entwickeln, deren, der Buchhändler, Söhne dann wieder als Werftarbeiter gehn. Offenbar ist oder war da oben in Schweden der soziale Frieden doch was ganz anderes als hier. Glückliches Land.

Eins steht fest: Die meisten Menschen in diesem Buch sind gut. Und wenn sie mal nicht gut waren, kriegen sie entsetzliche Gewissensbisse und Schuldgefühle, bis hin zu psychischen Ausfällen. Denn, wie wir wissen: „Nichts ist einfach.“ Aber am Ende gibt es ja immer wieder zwischenmenschliche Korrelative, und wir können ganz getröstet sein: Die Leute auf dieser Welt werden sich schon arrangieren. Zumindest in Schweden. - Simon, die Titelfigur, ist als Baby von Adoptiveltern aufgenommen worden, denn er ist jüdischer Abstammung. Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür, man beschließt, Simon als eigenes Kind auszugeben und ihn im unklaren zu lassen über seine Herkunft. Dies führt später zu Irritationen in der Entwicklung des sensiblen, musisch begabten Kindes - aber alles wird gut, nicht zuletzt auch durch die ahnungsschwere gönnerische Mithilfe des jüdischen Buchhändlers und dessen durch Kindheitserlebnisse in Deutschland zunächst traumatisierten Sohns. Zum Schluß haben beide Jungs ihren Beruf, ihre Frau, ihr Glück und denken voller Dankbarkeit an die Generation der Älteren, seien sie nun noch am Leben oder schon tot.

Und nun kommt der Punkt, wo ich um Verzeihung bitten muß. Weil ich nämlich ungerecht war. Ja, ich habe mich bei der Lektüre über weite Strecken geärgert. Aber dann, unversehens, mit der größten Selbstverständlichkeit, offeriert das Buch ganz andere, ganz erstaunliche Passagen. Es gibt Traumsequenzen, Querverweise ins Mystisch-Mythologische, die gerade, weil sie nicht spektakulär daherkommen, sondern im Gegenteil eher beiläufig, äußerst anrührend wirken. Gewiß, Simons irrationale Seelenverwandtschaft mit dem alten Hethitern oder seine Begegnung mit Gestalten, die so etwas wie die schwedische Seele repräsentieren, rutschen immer an der Grenze zu Blut und Boden lang, aber sie überschreiten sie nie, und man möge der Autorin zugute halten, daß dergleichen Heimat- und Herkunftsmythologie dort oben gewiß nicht so negativ besetzt ist wie hierzulande. Es gibt eine wunderschöne Sequenz, wo Simon, durch eine Liebesgeschichte mit der falschen Frau an den Rand des psychischen und materiellen Zusammenbruchs gebracht, von einem mysteriösen LKW-Fahrer durch halb Schweden mitgenommen und dabei wieder aufgebaut wird - der „kleine Mann mit dem merkwürdigen Hut“ aus seinen Kindheitsträumen, Schutzgeist und Inkarnation des Landes gleichzeitig.

Nicht vergessen werden soll auch die problemlose Leichtigkeit, mit der Fredriksson erotische Episoden der direktesten Art ohne Prüderie und mit kräftigen Strichen in ihr Lebenspanorama einbaut.

Es ist höchst merkwürdig. Manchmal kommt mir die Autorin vor wie jemand, der seinen Garten relativ oberflächlich mit einem Spatenstich umgräbt. Aber an manchen Stellen, wo es Not tut, geht man tiefer in die Erde rein und fördert Ungesehenes zutage. Und es ist zwar ein ziemlich weites Feld, das da beackert wird -aber ein erfrischender Erdgeruch ist doch da, wenn man darüber stiefelt, und hin und wieder ein Goldklumpen.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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